Es ist der Berliner Galerie der Moderne zu verdanken, dass wieder an den vor gut zwei Jahren im Alter von 85 Jahren verstorbenen Maler Klaus Roenspieß – er gehörte der Berliner Malerschule an – erinnert wird. Fast sein ganzes Leben spielte sich zwischen Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain ab. Berlin hat er auch als seinen eigentlichen „Lebensraum“ betrachtet. Immer ist er aber ein Einzelgänger gewesen, obwohl er mit seinen Künstlerfreunden intensive Kontakte unterhielt.
Durch seine dunkle, feste Malerei, den expressiven Grundgestus, der Raum durch Wirkung und Gegenwirkung von Farbe erzeugt, ist er bekannt geworden. Scheinbar wird das Gegenständliche verschluckt durch die monochrome Farbe (man hat auch von einer „schwarzen Periode“ gesprochen). Doch aus dem Dunkel wachsen magisch, geheimnisvoll Formen und Farben hervor, vermitteln Tröstliches und Bedrohliches. Geisterhaft, vexierbildhaft tauchen gegenständliche Motive auf – Bäume, Straßen, Mauern, Brücken, Kanäle, Gebäude, Höfe, Strände in unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten. Diese Vexierbilder muss sich das Auge des Betrachters erst aus dem Farbgefüge zusammensuchen. Gegenständliches und Physiognomiehaftes werden vom Künstler in den gegenstandslosen Formablauf impliziert. Er vermag so eine Bildsprache von unerhörter Sensibilität zu entwickeln. Der Betrachter findet Brücken in die Erinnerung und eigene Erfahrung, identifizierbare Formen zu eigenen Erinnerungen, aber stets fügt der Künstler dem Bekannten – nie geht es ihm um exakte topografische Identität – Unbekanntes hinzu und führt den Betrachter so unversehens in seine geistige Provinz, wo Erscheinung und Vision die Wirklichkeit verdrängt haben und uns von Zerrissenheit und Unruhe befreien sollen.
Doch nicht die bekannten Berliner Stadtansichten Roenspieß‘ stellt nun der Galerist Max Kattner aus, sondern jüngere Arbeiten von der Ostseeküste, aus Ahrenshoop und Warnemünde, in Dänemark, auf Bornholm, vereinzelt aber auch Kochel am See oder Berlin und Umgebung. Hat der Maler früher formal kleinteiliger, vom Erlebnis genrehafter gearbeitet, steigert er nunmehr seine Bilder zu tafelartigen, mitunter steilen Wänden, die aber immer ihre expressive Kraft behalten. Mit großen Schwüngen – von einer bisher bei ihm nicht bekannten Vehemenz – brechen die Teile auf zu ausdrucksstarken Formen. Die gesamte Bildtektonik ist in Bewegung, in Veränderung geraten. Der Rhythmus der Landschaft wird aber durch die streng rhythmisch geordneten Formen und die gleichmäßig verteilte Farbe wiedergegeben. Bilder mit einer handschriftlichen Geste, eine Übertragung der psychischen Aktion in die Bildform. So entstehen Formsignale, Gestaltzeichen, Erlebnisberichte, die Bewegungsabläufe, Vibrationen und Klangbilder einschließen.
Nicht von der Zeichnung wird das Bildgerüst getragen, sondern von der farbigen Form, die selber Zeichen ist. Das Zeichen fügt sich selber in die Fläche ein; es wird nicht vorgezeichnet und dann mit Farbe ausgefüllt, sondern es ist von vornherein als farbige Erscheinung da.
Roenspieß malt gleichsam ungegenständlich „Landschaften“, auf denen die verborgenen Kräfte der Natur, ihr inneres Leben zum Ausdruck kommen. Aus fast absichtslos gesetzten Strichen und Formen ergibt sich das Bildzeichen einer Stadt oder Landschaft, der „Seestadt“ Kopenhagen, des Darßer Waldes, der dänischen Küste oder einer Straße in Warnemünde mit dem Haus von Edvard Munch. Vielfach ist die Erinnerung an menschliche Figurationen in seinen Bildern verwoben. Sie stehen vor dem wellengepeitschten Meer und schauen den Betrachter an („Am Meer“, 2008). Roenspieß will den Betrachter ins Bild holen, ihm das Tosen des Meeres, das Rauschen der Bäume – ganz Vertikale –, die Stille eines Gehöfts hautnah vermitteln. Der fixierte Betrachterstandpunkt außerhalb des Bildes wird aufgehoben und der Betrachter gewissermaßen ins Bild hineingezogen, Bewegungsvorgänge werden in simultaner Aufreihung gezeigt. In der Einbindung des Gegenständlichen in übergeordnete Bewegungszusammenhänge, der facettierenden Aufschlüsselung der Bildfläche, um sie mit Lichtwerten auszuzeichnen, wird die Welt sichtbar gemacht.
Immer wieder überrascht der Künstler die scheinbar vertrauten Dinge in seinem Blickfeld, beschneidet sie auf merkwürdige Weise, malt sie von unerwarteten Winkeln aus, verdichtet sie zu Blau-, Braun-, Grün- und Rottönen oder lässt sie in plötzlich aufglänzenden Farbschauern von Rosa, Krapprot, Flieder, Chromgelb und hellem sonnengesprenkeltem Grün zergehen. Die Materie erscheint halbgeformt und erweckt den Eindruck, als wolle sie sich jeden Augenblick in dem Licht auflösen, aus dem sie gemacht ist. Nicht um den flüchtigen Augenblick geht es Roenspieß, nicht um das Vorüberhuschende und Entgleitende der Erscheinung, sondern um deren Dichte und Dauer im Sinne der gestalteten Malerei, die sich in die Natur nicht mehr einfühlt, sondern ihr eine Ordnung entrissen hat, die im Kunstwerk jetzt selbständig gegenüber der Natur steht. Ein jedes Bild stellt so eine seelische Zerreißprobe dar. Lautlos haben sich Gedanken auf den Gegenständen abgelagert. Die Empfindung wird zur Wirklichkeit. Mit rein optischen Mitteln kann nun die frei gesetzte Farbe Gefühle hervorrufen.
Klaus Roenspieß, der „Tektoniker der Innerlichkeit“ (Roland März), wäre im Januar 2024 88 Jahre alt geworden.
Klaus Roenspieß – Malerei. Galerie der Moderne, Hindenburgdamm 57 C, 12203 Berlin-Lichterfelde, Die-Do 14:00-19:00 Uhr, Fr/Sa 10:00-14:00 Uhr, bis 13. Januar 2024.
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