26. Jahrgang | Nummer 20 | 25. September 2023

„L’État, c’est moi – der Staat bin ich“?!

von Hans-Peter Götz

Während der langen, rund 54 Jahre dauernden

Herrschaft Louis’ XIV. war Frankreich

in rund 33 Jahren in Kriegen engagiert […].

Auslöser all dieser Konflikte waren

ausnahmslos französische Angriffe […].

 

Johannes Willms

 

Louis XIV., der vor allem ob seiner pathologischen Prunksucht sogenannte Sonnenkönig aus dem Hause Bourbon, erfand den Absolutismus als Herrschaftsform, um sich den französischen Hochadel einerseits vom Halse, zugleich jedoch allzeit unter Kontrolle zu halten. Der hatte seinerseits in Gestalt der Fronde unter Führern aus den Häusern Condé und Conti zweimal versucht, den jungen König an die Kandare zu nehmen. Louis XIV. obsiegte, doch wollte es die Ironie des Schicksals, dass 1714, nach über 50-jähriger Regentschaft, ausgerechnet Vertreter der Häuser Condé und Conti, konkret der Enkelgeneration der Frondeure, im dynastisch geregelten Ranking der potenziellen Thronfolger soweit nach oben gelangt waren, dass reale Chancen auf die Krone bestanden. Louis XIV. löste das Problem einmal mehr auf absolutistische Weise – durch einen „Akt monarchischer Willkür“: Er proklamierte zwei seiner nicht erbberechtigten Söhne, die Mutter war Madame de Montespan, eine langjährige Mätresse des Königs, zu „Prinzen königlichen Bluts“. Was diese in der Phalanx der potenziellen Thronanwärter vor die Condé und Conti katapultierte – wie der im vergangenen Jahr verstorbene Johannes Willms in seiner jetzt postum erschienenen über 500-seitigen Biographie minutiös nachgezeichnet hat.

Louis XIV. war bereits sieben Jahre Inhaber der Königswürde, bevor er 1661, nach dem Tode seines Mentors und de facto Vormundes, des Kardinals Mazarin, das Heft des Handelns als Staatsoberhaupt selbst in die Hand nahm und sogleich verkündete: „La face de théâtre change – es wird ein anderes Stück gespielt.“ Worin sich der Unterschied manifestierte – Mazarin hatte außenpolitisch offene Diplomatie und geheimdiplomatisches Finassieren bevorzugt, um Frankreichs Interessen zu wahren –, ließ sich 30 Jahre später, 1691, einem zeitgenössischen Pamphlet („Les Souprirs de la France esclave – Die Seufzer des versklavten Frankreichs“) entnehmen: „Wir galten einst als eine honette, humane und zivilisierte Nation, deren Wesen das Gegenteil von dem der Barbaren sei. Heute ist im Verständnis der Nachbarn ein Franzose und ein Kannibale ein und dasselbe.“

Dieser denkwürdige Abstieg im Hinblick auf die Reputation Frankreichs bei seinen Nachbarn verdankte sich allerdings nicht einfach einem König, der jahrzehntelang immer wieder Kriege führte, in denen Frankreich durchweg der Angreifer war. Um Ruhm und Ehre zu gewinnen, um die bis dato spanische Vorherrschaft in Europa durch eine französische zu ersetzen, um sein Land zu vergrößern oder um unbotmäßige Nachbarn sowie fernere Feinde abzustrafen. All dies war gängiger Usus der Potentaten jener Zeit: „[…] Krieg zu führen galt […] als eine ehrenvolle, ja royale Tätigkeit.“ Den Ruf Frankreichs auf Generationen ruiniert hat Louis XIV. vielmehr durch die barbarische Art und Weise seiner Kriegsführung, die er im Laufe der Zeit entwickelte und intensivierte und für die sehr viel später die Metapher „verbrannte Erde“ gebräuchlich wurde. Dazu gehörte, ganze „Landstriche systematisch auszubrennen“, damit Gegner sich dort nicht festsetzen und ihre Truppen versorgen konnten, und Städte nach ihrer Eroberung weitgehend zu zerstören, wie Heidelberg, das französisches Militär in vier Jahren gleich dreimal heimsuchte. Mannheim wurde „vollständig dem Erdboden gleichgemacht“. Genua wurde mit „bislang beispielloser Brutalität“ beschossen, sodass „zwei Drittel […] danach in Trümmern lagen“, und zwar „um die Wirksamkeit einer neuen Waffe zu erproben“; der „waffentechnische Clou“ dieser Mörser bestand darin, dass damit „wahlweise Brand- und Sprengbomben verschossen werden konnten, deren Zerstörungspotenzial um ein Vielfaches das der herkömmlichen Stein- oder Eisenkugeln übertraf“. „Das andere große Beispiel für die militärisch sinnlose Vernichtung einer blühenden Stadt bot der systematische Beschuss von Brüssel Mitte August 1695, mit dem durch Brandbomben der gesamte alte Stadtkern der Metropole in Schutt und Asche gelegt wurde.“

Auch die Innenpolitik Louis XIV. war von ähnlicher Rigorosität: „Komplementär zur äußeren Machterweiterung“, so Willms, wurde die „Beseitigung des französischen Protestantismus […] mit unnachsichtiger Brutalität betrieben […].“ 1598 war es Heinrich IV., dem ersten Bourbonenkönig und Großvater Louis‘ XIV., mit dem Edikt von Nantes, das den Hugenotten freie Religionsausübung zugestand, gelungen, das von religiösen Bürgerkriegszuständen geplagte Land ruhigzustellen. Doch ab 1661 ließ Louis XIV. systematisch antiprotestantische Repressionen in Gang setzten und rechtlich fixieren. Schon 1680 war dadurch die Hälfte der protestantischen Gotteshäuser in Frankreich wieder geschlossen. So wurde das Edikt von Nantes sukzessive seiner Substanz beraubt und schließlich 1685 durch das Edikt von Fotainebleau auch offiziell aufgehoben. Die Massenbekehrung der Ketzer wurde währenddessen mit staatlich verordnetem Zwang vollzogen und ging mit pogromartigen Ausschreitungen einher. Bis 1715 verließen „trotz aller Strafandrohungen und Verbote […] vermutlich […] rund 200.000 Hugenotten“ ihre Heimat.

Wills Resümee über Louis XIV.: „Sein geradezu besessenes Verlangen nach Ruhm war ebenso bestimmend wie sein durch ein hypertrophiertes Selbstbewusstsein bedingter Mangel an Urteilsvermögen. […] Das verursachte immer neue Frustrationen, auf die er wie ein verzogenes Kind reagierte, indem er den Unterlegenen mit ausgepichter Grausamkeit zusetzte. […] Hinzu kam […] seine groteske Unfähigkeit, die vorhandenen Mittel mit den angestrebten Zielen in ein Verhältnis zu setzen. Versailles [Errichtung und Unterhalt dieser bombastischen Schlossanlage sowie das pompöse Hofleben kosteten Hunderte von Millionen Livres – A.M.] ist dafür nur ein besonders gravierendes Beispiel. Seine Herrschaft begann und endete damit, einen Quasi-Bankrott durch eine prächtige Fassade zu verdecken.“

Dazu noch dieses: „Ich bin der Staat (‚L’État, c’est moi‘) hat Louis XIV. zwar nie gesagt, aber es ist gleichwohl der harte Kern seines Selbstverständnisses als Herrscher, nach der er stets gehandelt hat.“

Nichtsdestotrotz, und so schließt Johannes Willms: „Die Erinnerung an sein Regime leistet bis heute einen enormen Beitrag zur nationalen Selbstvergewisserung Frankreichs.“ Wo man mindestens in der politischen Elite und nicht zuletzt wegen des Sonnenkönigs ohne Anflüge von Selbstzweifeln eine Attitüde pflegt, die der eigentlich nur im Ausland gebräuchlichen Attribuierung als La Grande Nation nie widersprechen würde. Obwohl dazu mindestens seit Louis XIV. Anlass ohne Unterlass bestände …

Alles in allem – ein höchst lesenswertes Buch.

Cum grano salis – dass der Verlag sich entschieden hat, die zahlreichen Abbildungen ausschließlich in weitgehend gräulichem Schwarz-Weiß zu präsentieren, nimmt dem Band einiges von seinem Charme. Nicht zuletzt angesichts des Preises.

PS: Mit dem Sterben Louis’ XIV. – das kein plötzliches war, sondern sich über Wochen hinzog – sehr viel eingehender als Johannes Willms beschäftigt hat sich Jahrzehnte früher Karl Zuchardt. Seine brillante Novelle „1715. Ludwig von Frankreich“ findet sich in dem Sammelband „Die Stunde der Wahrheit. Abschied und Ende“, der überdies ebenso psychologisch überzeugende Erzählungen zum Ableben Heinrichs VIII. (England), Philipps II. (Spanien) und Friedrichs des Großen (Preußen) enthält. Das Buch war in der DDR ein Bestseller mit zehn Auflagen allein beim Mitteldeutschen Verlag in Halle an der Saale. Und keiner einzigen Auflage mehr nach 1990. Doch antiquarisch zu haben ist es nach wie vor.

Johannes Willms: Louis XIV. Der Sonnenkönig und seine Zeit, C.H. Beck, München 2023, 532 Seiten, 36,00 Euro.