26. Jahrgang | Nummer 16 | 31. Juli 2023

Wird das britische Königshaus noch gebraucht?

von Brigitta Wagner

Richard von Gloucester, der spätere König Richard III., charakterisierte sich durch die Worte: „Ich sage wenig, denke desto mehr.“

Seit Mai 2023 ist Großbritannien mit einem neuen König gesegnet, König Charles III., in dieser Position offizielles Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, weltliches Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche, Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte, Oberhaupt des 56 Staaten umfassenden Commonwealth of Nations und bereits seit 1977 im Kronrat vertreten, der mit der Befugnis ausgestattet ist, staatliche Dokumente zu unterzeichnen.

Charles III. ist die älteste Person in der britischen Geschichte, die jemals den Thron bestieg. Ein Umstand, der ihm reichlich Zeit und Raum gegeben haben dürfte, sich auf diese Aufgabe vorzubereiten und zeitgleich seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden, das Königshaus dem modernen Zeitalter anzupassen.

In den Tagen vor der Krönung wurde diese Herausforderung erstmals etwas auf die Probe gestellt durch die Ankündigung, angeregt durch den Erzbischof der anglikanischen Kirche, ein „freiwilliges Treuegelöbnis“ der britischen Untertanen und der Untertanen des Commonwealth gegenüber dem König, seinen Erben und Nachfolgern abzulegen. Dieses vorauseilende Versprechen, gerichtet gleichermaßen an alle Glaubensgemeinschaften und Atheisten, stieß auf nicht geringes Unverständnis. Wer kann schon für die Royals aus dem Hause Windsor die Hand ins Feuer legen oder wissen, mit welchen falschen Freunden sich das Königshaus in Zukunft gemein macht, erinnert sei an die Beinahe-Königin Wallis Simpson und ihre Vertrautheit mit deutschen Nazigrößen.

Ein weiterer Wermutstropfen waren die übergriffigen Maßnahmen der Polizei und der Justiz gegenüber bekennenden Anti-Royalisten der Kampagne „Not My King“. Ein besonders für diesen Anlass verabschiedetes Gesetz gestattete es, Plakate der Kampagne und deren Anführer in Verwahrung zu nehmen. Die Begründung dieser vorbeugenden Maßnahme leuchtete jedem denkenden Untertanen sofort ein: Die Pferde der Krönungsprozession könnten durch den Anblick der Plakate und Menschen scheuen und jeder, der die sorgfältige Choreographie der dreitägigen Feierlichkeiten störte, musste weg. Die Polizei hat sich später für die Überreaktion gegenüber friedlichen Demonstranten entschuldigt. Der gemeine britische Untertan war etwas verschnupft, glaubte er doch immer noch an das heilige Recht auf Rede- und Pressefreiheit. Das eingeforderte Treuegelöbnis vor den Krönungsfeierlichkeiten betrachteten einige Vertreter des Commonwealth als Affront, der eine „Gemeinsame Erklärung der First Nations, Indigener Völker und Interessenvertreter aus 12 Ländern des Commonwealth“ auslöste, die anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten am 6. Mai 2023 an den König überreicht wurde. Konkrete Forderungen an das Königshaus umfassen einen Fünf-Punkte-Katalog u.a. mit folgenden Schritten: „Die förmliche Entschuldigung und Einleitung eines Prozesses der wiedergutmachenden Gerechtigkeit […] das Königshaus verpflichte sich sofort zu Gesprächen über Entschädigung für die Unterdrückung der Völker, die Plünderung der Ressourcen, die Verunglimpfung der Kultur aufzunehmen und den Reichtum, der die Grundlage der Krone bildet, an die Völker zurückzugeben, denen er gestohlen wurde […].“

Bis zum heutigen Tag äußerte sich der ansonsten gesprächsfreudige König auf Tagungen der Commonwealth-Länder nicht zu diesen Forderungen. Sprecher des Königshauses teilen wortkarg mit, nur die Regierung sei befugt diese Thematik zu bearbeiten. Gelegenheit, den vom Königshaus reklamierten Anspruch des Anti-Rassismus, der Diversität und der Aufarbeitung des kolonialen Erbes zu verfolgen, ließen der König und alle noch im Arbeitsmodus befindlichen Mitglieder der königlichen Familie verstreichen.

Gelegenheit, die „soft powers“ eines Monarchen im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen, hätte am 22. Juni, dem alljährlichen Gedenktag für die Opfer des „Windrush-Skandals“, bestanden. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von der britischen Regierung die Einwanderung von Bürgern aus dem karibischen Raum befördert, um neue Arbeitskräfte für den Wiederaufbau in der Stahlindustrie, im Kohlebergbau, im Dienstleistungssektor, im Transport-und Gesundheitswesen zu gewinnen. Die damals hochwillkommenen Einwanderer, die Großbritannien auf dem Schiff Windrush erreichten, die man ohne Pässe beließ, lebten Jahrzehnte im guten Glauben gleichwertige Bürger Britanniens zu sein, hatten sie doch einen erheblichen Beitrag zum ökonomischen Wiedererstarken der Wirtschaft und des Sozialsystems geleistet. Unter der damaligen Innenministerin Theresa May, der späteren Premierministerin und allen nachfolgenden Konservativen Premierministern von Boris Johnson, Liz Truss bis zu Rishi Sunak wurde eine radikale Kehrtwende vollzogen. Unter dem Deckmantel der „Bekämpfung der illegalen Einwanderung“ wurde die Windrush-Generation nach 50 Jahren zu rechtlosen Einwanderern, der man das Residenzrecht, das Recht auf Weiterarbeit, Anspruch auf Renten und Sozialbeihilfen absprach. Versuche, nachträglich Einbürgerungsprozesse dieser Bürger und ihrer Nachkommen einzuleiten, wurden durch staatliche Maßnahmen hintertrieben, schon ausgestellte Pässe wurden konfisziert, zwangsweise Deportation und Inhaftierung angedroht. Innenministerin May verfolgte explizit das Ziel, eine möglichst „feindliche Stimmung“ gegenüber der Windrush-Generation zu erzeugen, um die Einwanderer zur Ausreise zu bewegen, was ihr teilweise gelungen ist. Entschädigungen aus einem Fonds für die  erlittenen materiellen und immateriellen Schäden wurden 95 Prozent der WindrushGeneration bisher vorenthalten. Dem Rassismusvorwurf im engsten königlichen Familienkreis (siehe Blättchen, 8/2023) und Duldung in staatlichen Behörden, allen voran Polizei und Feuerwehr, ist der König nur unzureichend entgegengetreten.

Was vom modernen Zeitgeist übrig bleibt, ist das vegane Salbungsmittel bei der Krönungszeremonie und im Gegensatz zu seiner Mutter, Königin Elisabeth II., darf man Charles berühren, wenn er sich zu seinen Untertanen begibt. In seinem bisherigen Leben als jahrzehntelanger Thronanwärter hinterließ Charles einen befremdlichen Eindruck seiner ihn persönlich nahegehenden Interessen. An erster Stelle stehen Erhalt und Fortschreibung seiner Steuerprivilegien für den königlichen Haushalt und seine Stiftungen, einschließlich Mitnahme von EU-Agrarsubventionen. Daneben zeigen sich Verdruss, wenn ihm der Gesetzgeber die königliche Fuchsjagd zu Pferde mit Hundemeute verbietet, seine Ablehnung der Kritik durch Mediziner an der von ihm vermarkteten Tinktur sowie mehr oder weniger diskrete Hinweise an Architekten und Städteplaner, welchen Architekturstil Charles bevorzugt und welche Lieblingsarchitekten des Königs mit Aufträgen bedacht werden sollten.

Nach aktuellen Umfragen zur konstitutionellen Monarchie können sich ca. 50 Prozent der Bürger, je nach Alter und Landesteil, ein Leben ohne diesen König vorstellen. Der König verspricht eine Fortsetzung seiner Regentschaft nach dem Motto „Weiter wie bisher“. Beispiele sind in den letzten Tagen: Krönung im schottischen Landesteil, Maskenball hier, Pferderennen dort etc. Wir sehen eine Familie mit Hang zur Selbstinszenierung, Bereicherung und Besserwisserei, selbst wenn man berücksichtigt, dass einige verhaltensauffällige Exemplare bereits in den Ruhestand versetzt worden sind.

Demgegenüber steht der „Gemeine Untertan“ hilflos vor unterfinanziertem Gesundheitswesen, maroder Wasserversorgung und einer als zutiefst rassistisch, misogyn und homophob empfundenen Polizei und Feuerwehr.