26. Jahrgang | Nummer 15 | 17. Juli 2023

Alles wie bei den Männern?

von Michaela Klingberg

Ab Mitte Juli findet die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland statt. Seit der furiosen Europameisterschaft 2022 in England steigt der Zuschauerzuspruch sowohl in den Stadien als auch vor den Endgeräten. Beim Deutschen Fußballbund (DFB) hat man erkannt, dass Investitionen in die Qualität der Trainingsstätten und die Trainerausbildung zur Förderung des Nachwuchses notwendig sind, um den positiven Trend nicht wieder zu verschlafen, wie 2011 nach dem Turnier im eigenen Land geschehen. Nationalspielerin Alexandra Popp vom VfL Wolfsburg ist mit der Entwicklung durchaus zufrieden, allerdings sei man im Ausland bereits weiter. „In anderen Ländern geht man die Schritte in Sachen Professionalisierung und Vermarktung noch konsequenter, sodass wir aufpassen müssen, dass wir nicht überholt werden“, so die 32 Jahre alte Stürmerin. „Denn Deutschland möchte mit seinem Fußball dabei sein an der Weltspitze, und dazu gehört eben mehr, als einfach nur guten Fußball zu spielen.“

Ab der neuen Saison ist die Förderung des Frauenfußballs für Profiklubs ein verpflichtendes B-Kriterium für den Lizenzerhalt, bei Nichteinhalt droht eine Geldstrafe. Einen Nachteil hat das Engagement und gestiegene Investment der Männerklubs. Mit Turbine Potsdam, Champions-League-Sieger 2010, sechsfacher Deutscher Meister und dreifacher DFB-Pokalsieger seit der Wiedervereinigung, verabschiedete sich in dieser Saison ein Aushängeschild des Frauenfußballs mit lediglich acht Punkten sang- und klanglos aus der 1. Bundesliga.

Die Idee zur Gründung der ersten Frauenfußballmannschaft in Potsdam entsteht auf einer Betriebsfeier des VEB Energieversorgung Ende der 1970er Jahre. Am schwarzen Brett des Betriebes hängt fortan ein Zettel: „Gründen Frauen-Fußball-Mannschaft. Bitte melden. 3. März 1971. 18 Uhr im Klubhaus, Walter Junker’. BSG Turbine Potsdam Sektion Fußball“. Am Abend des 3. März befindet sich Bernd Schröder, Abteilungsleiter im Energiekombinat Potsdam, zum Essen im Klubheim. Er, zu seiner aktiven Zeit Torhüter bei Lok Leipzig und Stahl Silbitz, hat zu diesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrung als Trainer, ist aber offensichtlich der einzige, der für diesen Posten zur Verfügung steht. Bereits ein Jahr später gewinnt Turbine die erstmals ausgespielte Bezirksmeisterschaft.

Das Interesse der Frauen am Fußball ist in jenen Jahren groß. Ende 1971 gibt es bereits 150 Frauen-Teams in der DDR, aber keinen organisierten Spielbetrieb. Gegnerische Mannschaften werden per Annonce gesucht. Zumeist finden Spiele zu Volksfesten oder gelegentlich vor Ligaspielen der Männer statt. Den Funktionären bleibt die Entwicklung der Frauen nicht verborgen, vor allem nicht die steigende Zahl der weiblichen Vereinsmitglieder.

Ende der 1970er-Jahre setzt ein Umdenken ein. 1979 wird die „Bezirksbestenermittlung“ eingeführt, um eine „DDR-Besten-Frauenmannschaft“ ermitteln zu lassen. Eine reguläre Meisterschaft soll die „Bestenermittlung“ allerdings nicht darstellen, denn dafür müssten gesonderte Mittel bereitgestellt werden. Da man keinerlei Interesse hat, knapp bemessene Gelder in den Frauenfußball zu investieren, dauert es bis zur Saison 1987/88, ehe eine DDR-Frauenfußball-Oberliga einen regelmäßigen Spielbetrieb aufnehmen kann. Neben Turbine Potsdam ist fortan die BSG Rotation Schlema das herausragende Team.

In den Wirren der Wiedervereinigung beginnt der Kampf ums Überleben auch für die zahlreichen Frauenvereine. Das Arbeiten unter marktwirtschaftlichen Bedingungen bedeutet zunächst, dass die Leistungsträgerinnen zu zahlungskräftigeren Westvereinen wechseln. Der Universitätssportverein Jena und Wismut Aue (ehemals Rotation Schlema) schaffen 1990 den Sprung in die Bundesliga, steigen aber wieder ab. Turbine Potsdam benötigt in den 1990ern einige Zeit, aber im Jahr 1994 gelingt der Aufstieg in die Nordstaffel der Bundesliga, drei Jahre später wird die Qualifikation für die neu eingeführte eingleisige erste Liga geschafft.

Turbine Potsdam ist das Lebenswerk Bernd Schröders, über 45 Jahre hat Deutschlands erfolgreichster Vereinstrainer den Klub zu einer Topadresse im nationalen und internationalen Frauenfußball entwickelt. „Davon ist heute nichts mehr übrig“, klagt der Ehrenpräsident des Klubs und findet unmissverständliche Worte. Schröder, der in seiner Trainerkarriere 37 Titel gewann, ist fassungslos über den Niedergang seines Klubs. Bei der aktuellen Weltmeisterschaft werden noch immer zehn Spielerinnen in unterschiedlichen Teams dabei sein, die zu seiner aktiven Zeit die Schuhe für Turbine geschnürt haben. Der Trainer betont, dass der Fall in die Bedeutungslosigkeit an den handelnden Personen liege, verweist aber auch auf strukturelle Probleme: „Ohne jährliche Investitionen von sieben, acht Millionen Euro kann man selbst national nicht mehr bestehen. Turbine kommt auf einen Jahresetat von zwei Millionen und hat keine erstklassigen Spielerinnen mehr zu bieten. Heute haben wir weder exzellente Trainer noch die finanziellen Ressourcen, um Talente zu verpflichten. Viel mehr als 2000 Euro monatlich kann eine Spielerin bei uns nicht verdienen, anderswo bekommen sie ein Vielfaches.“

Inzwischen ist der Verein nicht nur von den finanzstärksten Vereinen wie dem VfL Wolfsburg und Bayern München überholt worden. Misswirtschaft und Streitigkeiten auf Führungsebene wirkten als Beschleuniger für den Absturz. Nach einigen schlechten Jahren sieht es in der Saison 2021/22 lange so aus, als könne Potsdam, entgegen der Entwicklung des Aussterbens reiner Frauenvereine und der Verdrängung oder Übernahme von Traditionsvereinen durch Lizenzklubs, noch einmal an alte Erfolge anknüpfen: Das Team spielt lange um den dritten Tabellenplatz und erreichte das Pokalfinale, verliert dann aber die entscheidenden Spiele.

Im Anschluss scheint der Verein zu implodieren. Trainer Sofian Chahed, dessen Vertrag noch im Winter zuvor verlängert worden war, wird entlassen. An der Trainerdebatte scheiden sich die Geister, infolgedessen tritt Präsident Rolf Kutzmutz zurück. Weitere Personalrochaden ziehen sich durch die gesamte aktuelle Saison mit vier Trainerwechseln und dreizehn Abgängen von Spielerinnen, darunter viele Leistungsträgerinnen. Die Mängelliste ist lang: Schlechte Trainingsplatzbedingungen, veraltete Trainingsmethoden, Kommunikationsprobleme und autoritärer Führungsstil, Physiotherapeuten, die über Verletzungen nicht ausreichend informiert sind, und fehlende Ansprechpartner für die Spielerinnen, die sich durch die Gegebenheiten nicht rein auf den Sport konzentrieren können, sowie überlastete ehrenamtlichen Strukturen.

Interessante Projekte entstehen derzeit abseits von Potsdam. In der Regionalliga Nordost schließt sich Hertha BSC mit Hertha 03 Zehlendorf zusammen, Union Berlin strebt ebenfalls nach oben. Beim FC Viktoria 1889 in Berlin haben sechs Frauen, alle Unternehmerinnen aus Wirtschaft, Sport und Medien um Ex-Nationalspielerin Ariane Hingst – die übrigens knapp zehn Jahre in Potsdam unter Schröder spielte –, die Viki-Girls vor einem Jahr aus dem Hauptverein ausgegliedert und eine GmbH gegründet. Sie glauben, dass ihr Modell den Berliner Frauenfußball revolutionieren wird. Zu Saisonbeginn 2022/23 sammeln die sechs Gründerinnen eine Million Euro ein. 87 Investoren beteiligen sich, darunter Franziska van Almsick, Carolin Kebekus und Dunja Hayali. Perspektivisch wird der Aufstieg in die Bundesliga angepeilt, vorerst scheiterte man jedoch deutlich in den Aufstiegsspielen zur 2. Bundesliga am Hamburger SV. Ob das Projekt nachhaltig ist oder ob nicht der Unterbau und Nachwuchstalente fehlen, wird die Zukunft zeigen.

Dass das gestiegene Interesse auch neue Probleme mit sich bringt, zeigt das mit 44.000 Zuschauern ausverkaufte Pokalfinale zwischen dem SC Freiburg und dem VfL Wolfsburg. Die Fans der Breisgauerinnen berichten von erheblichen Problemen bei der Genehmigung von Dingen, die unverzichtbar sind im Fan-Alltag: Fahnen, Banner und Konfetti für eine Choreographie. Alle fristgerecht angemeldeten und genehmigten Spruchbänder werden im Zuge der Einlasskontrollen verboten. Auch dass alle Steh- und Sitzblöcke der jeweiligen Vereinsfans selbstverständlich nebeneinander liegen müssen, war von den Organisatoren nicht bedacht worden. Man kann nur hoffen, dass die Kritik der Corrillo Ultras, der Unterstützer des SC Freiburg, es werde aktuell alles darangesetzt, den Frauenfußball zu einem möglichst emotionslosen und durchkommerzialisierten Unterhaltungsspektakel zu formen, sich nicht bewahrheitet. Dem DFB wäre zu wünschen, dass er aus Fehlern des Männerfußballs lernt.