26. Jahrgang | Nummer 13 | 19. Juni 2023

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Klaus Maria Brandauer, Ausnahmemime – Sie 2008 als Dorfrichter Adam in Peter Steins Inszenierung vom „Zerbrochenen Krug“ am Berliner Ensemble zu sehen, war schon ein Theatererlebnis der besonderen Art. Doch ein gänzlich unvergessliches hatten Sie dem Verfasser dieser Zeilen bereits ein Jahr zuvor als Wallenstein beim gleichen Regisseur beschert. Durch Ihre Abwesenheit. Und das kam so: Stein hatte einen Jahrhundertmarathon auf die Beine gestellt – alle drei Teile des „Wallenstein“ und nahezu ungekürzt am Stück. Beginn am Nachmittag und durch den Abend sowie die halbe Nacht. Esther Slevogt sprach seinerzeit in nachtkritik zwar abschätzig von „Überwältigungsästhetik im Breitwandformat“ und schmähte das Regiewerk als „fein ziselierten Naturalismus“, doch sie lag damit völlig daneben. Gespielt wurde in einer aufgelassenen Brauerei in Berlin-Neukölln. Die Karten gingen weg wie warme Semmeln. Doch dann fiel Ihnen ein Kulissenteil auf den Fuß. Ausgerechnet Ihnen, der sie jeder Selbstgefährdung des Mimen bei seinem Job, etwa um mehr Authentizität zu erreichen, strikt abhold sind: „[…] es wäre dumm, sich ein Messer in die Brust zu rammen, wenn die Figur erstochen wird. Das tut weh und ist albern.“ Beim „Wallenstein“ absolvierten Sie noch ein paar Vorstellungen im Rollstuhl. Doch an dem Tag, für den der Verfasser seine Tickets ergattert hatte, ging gar nichts mehr. Allerdings fiel der Abend nicht etwa aus, nein, der Regisseur höchst selbst sprang ein und gab, ohne Kostüm, das Textbuch in der Rechten, den Titelhelden. Und erwies sich ohne Abstriche als zweitbeste „Besetzung“, die Ihr Fehlen nicht nur verschmerzen ließ, sondern zum ganz eigenen Erlebnis wurde. Unvergesslich eben.

Am 22. Juni 2023 werden Sie nun 80. Da können wir am heutigen Erscheinungstag dieser Ausgabe (19. Juni 2023) natürlich noch nicht gratulieren. Denn das brächte bekanntermaßen Unglück. Aber dass wir kräftig auf Sie anstoßen werden, davon dürfen Sie schon einmal ausgehen.

 

Annalena Baerbock, völlig unbegreiflicher Weise immer noch Vorsteherin des Auswärtigen Amtes – Anlässlich der Vorstellung der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) der Bundesrepublik am 14. Juni 2023 erläuterten Sie Ihre Vorstellung von – so der konzeptionelle Ansatz der NSS – integrierter Sicherheit: „Sicherheit im 21. Jahrhundert bedeutet, in der Apotheke verlässlich lebensnotwendige Medikamente zu bekommen. Sicherheit bedeutet, beim Chatten mit Freunden nicht von China ausspioniert oder beim Scrollen durch die sozialen Netzwerke nicht von russischen Bots manipuliert zu werden.“

Mal abgesehen davon, dass das Kanzlerinnen-Handy unseres Wissens von den US-amerikanischen Freunden abgehört wurde: Sind das die Prioritäten, die hinter einer Stirn, die „vom Völkerrecht her“ kommt, wabern? Sicherheit im 21. Jahrhundert ist also nicht zuvorderst, wenn es keinen Krieg mit Russland gibt, der zu einem nuklearen Inferno eskalieren könnte?

Um es mal nicht, wie es an dieser Stelle häufig geschieht, feinziseliert durch die Blume, sondern ganz direkt zu sagen: Fünf Meter Feldweg, werte Dame, haben mehr sicherheitspolitischen Sachverstand als Sie.

Armes Deutschland.

 

Letzte Generation, Klub militanter Klimakleber – Laut Presseberichten waren Sie „fassungslos“, weil Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Schule im brandenburgischen Kleinmachnow diese Meinung zu Ihren bevorzugten Aktivitäten geäußert hat: „Ich finde das völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße.“ Möglicherweise schnappatmend hielten Sie dem Kanzler entgegen: „Herr Scholz, wie können Sie es wagen, sich vor die Kinder zu stellen, deren Zukunft Sie gerade vernichten und davon zu sprechen, dass Sie Protest gegen Ihre zerstörerische Politik ‚völlig bekloppt‘ finden?“ Vielleicht hätten Sie Scholz besser komplett zugehört, denn er sagte den Kindern auch, er finde es „völlig vertretbar“, dass man Kundgebungen veranstalte, demonstriere und für seine Ziele eintrete. „Aber das ist eine Aktion, von der ich glaube, dass sie nicht weiterhilft.“

Scholz hat also offenbar kein Problem mit, wie Sie insinuieren, Protesten gegen seine Politik, wohl aber mit der Wahl Ihrer Mittel. Und damit steht er bekanntlich nicht völlig allein: „Große Ablehnung für Methoden der Letzten Generation […] Drei Viertel der Teilnehmer einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur lehnten den Versuch, mit Aktionen wie Straßenblockaden mehr Klimaschutz durchzusetzen, ab […].“ (stern, 13.05.2023).

Doch das war ja schon häufiger das Problem mit selbsternannten Aposteln – die können in der Regel besser austeilen denn einstecken.

 

Heinz Rudolf Kunze, Rockpoet – In einem Interview – entdeckt in der Ostfriesen-Zeitung – verrieten Sie, dass Ihnen die Zuschreibung „Oberlehrer“ sehr missfällt. Ungeachtet dessen äußerten Sie: „Das Gendern ist für mich der Tod des künstlerischen Umgangs mit Sprache. Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, mit welchen Worten ich Menschen respektiere.“ Man solle Ihnen doch bitte glauben, dass Sie Menschen aller Art achten, auch wenn Sie von „den Wählern oder den Bürgern“ sprechen.

Nicht dass wir so vermessen wären, die Sprache des Blättchens in jedem Fall als „künstlerisch“ gewertet wissen zu wollen, doch glauben wir Ihnen unbedingt und verwahren uns wie Sie gegen jeden Vorwurf der Respektlosigkeit.

 

Michael Kellner, ehemals grüner Bundesgeschäftsführer und Bauherr, heute Staatssekretär im Habeckministerium – „Wir bauen erst das Haus um und danach das Land“, haben Sie vor drei Jahren auf einem Rundgang über die Baustelle der künftigen Parteizentrale der Grünen in Berlin-Mitte angeblich erklärt. Bereits Ende 2019 begannen die Bauarbeiten: Einbau einer Wärmepumpe in die Residenz inklusive, in einem fünfstöckigen Altbau. Bis heute halten die Bauarbeiten an. Mitarbeiter und nahegelegene Hotelgäste sind wegen des lange andauernden Baulärms genervt. Im Herbst dieses Jahres sollen die Arbeiten nach vier Jahren endlich abgeschlossen werden. So hofft man dort. Die Modernisierung soll am Ende rund fünf Millionen Euro gekostet haben.

Inzwischen sind Sie trotz dieser Erfahrungen schon dabei, das Land umzubauen, ohne dass das erste Projekt fertig ist und funktioniert. Wir mögen uns gar nicht ausmalen, was dem Land bei der Wärmewende durch Wärmepumpen noch alles bevorsteht. Dass es so flott nicht gehen wird, wie auch von Ihnen geplant, liegt auf der Hand.

 

Ulrich Seidler, Laudator & Lautmaler – In Ihrem sehr einfühlsamen Porträt des Ausnahmeschauspielers Hermann Beyer aus Anlass von dessen 80. Geburtstag – Berliner Zeitung vom 27. bis 29. Mai 2023 – schenkten Sie dem Sprachgebrauch des Deutschen en passant eine neue, uns bisher jedenfalls unbekannte Metapher; „Das Meckernd-Metallische in seiner Stimme kann sehr schneidend und sehr zart werden, die Worte purzeln ihm aus dem lächelnden Mundwinkel, aber manchmal kommen sie geflogen wie Patronen aus einer Mauser.“

Unfraglich – ein schönes Bild!

Und doch zugleich – ein vertracktes Rätsel.
Denn aus einer Mauser herkömmlicher Bauart fliegen nun einmal keine Patronen. Man kann höchstens das Magazin entfernen und die Patronen dann mit dem Daumen aus demselben kicken. Da bleibt „geflogen“ allerdings auf der Strecke und damit das ganze Bild. Geflogen hingegen kommen Geschosse, nämlich aus der Mündungsöffnung, und leere Patronenhülsen, ihrerseits aus dem Auswurfschlitz an der rechten Seite des Gehäuses; beides wie bei halbautomatischen Waffen üblich. Erstere können tödlich sein, letztere nur unangenehm schmerzhaft, wenn man zufällig die Flugbahn des heißen Metalls kreuzt.

Womit wir wieder bei Hermann Beyer und seinen Worten wären.

Tödlich?

Schmerzhaft?

Oder doch einfach nur – schnell und trefflich?

In letzterem Falle sollte auf den (metaphorischen) Schusswaffengebrauch vielleicht doch besser verzichtet werden …

 

Wärmewende, grün-rote Herzenssache – Der Habeck & Co.sche Versuch, Deutschland zu einer – natürlich! – besonders klimafreundlichen Wärmepumpenmonokulturlandschaft umzumodeln, ist auf vielfältigen, nicht abebbenden Widerstand gestoßen, mit dem die Verursacher entweder nicht gerechnet hatten oder den sie einfach auszusitzen gedachten. Das hat nicht funktioniert. Ein entsprechendes Heizungsgesetz im Schweinsgalopp durch den Bundestag zu peitschen, ist an der Renitenz der FDP – manchmal ist die offenbar doch noch zu etwas gut – gescheitert. Laut Passauer Neue Presse ist „aus dem anfänglichen ungläubigen Staunen über die Heizungspläne ein echter, handfester Protest geworden ist – ein wachsender Widerstand gegen eine Politik, die von vielen offenkundig als Irrsinn wahrgenommen wird“. Und es zeige sich, „dass der Protest zunehmend aus einem Milieu kommt, das sich sonst in politischen Dingen eher leise und zurückhaltend zeigt – der bürgerlichen Mitte“. Der Münchner Merkur verwies in diesem Kontext auf „viele, viele tausend ganz normale Bürger, die zornig sind über das unsoziale Heiz-Gesetz“ und stellte lapidar fest: „Es ist legitim, sich gegen das Murks-Gesetz aufzulehnen.“

Dadurch ist die Wärmewende à la Habeck erst gegen Wände und dann fast an die Wand gelaufen. Nun möge die FDP dafür Sorge tragen, dass die zwischen den Ampelkoalitionären doch noch gefundenen Kompromisse nicht wieder zu Lasten der Bürger aufgeweicht werden!

 

Paul Linke, Kollege, Berliner Zeitung – Am Morgen des diesjährigen Finales der Champions League (10. Juni 2023) witzelten Sie in Ihrem Blatt: Was hätte wohl jemand geantwortet, dem 1992, dem Jahr der Erfindung der sogenannten europäischen Königsklasse, die diesjährige Partie prophezeit worden wäre?: Die arabische Abu Dhabi United Group (Eigentümer von Manchester City) tritt gegen die chinesische Staatsholding Suning Holdings Group (Eigentümer von Inter Mailand) an, und zwar in einem Land (Türkei), das von seinem Präsidenten seit 20 Jahren systematisch in Richtung Diktatur choreografiert wird, sowie gepfiffen von einem polnischen Schiedsrichter, der kürzlich Gastredner bei einem ultrarechten Politiker seines Landes war, der sich seinerseits ein Polen ohne Juden, Homosexuelle und andere Störfaktoren wünscht.

Für 1992 boten sie alternativ drei hypothetische Entgegnungen an, von denen die beiden ersteren nicht der Rede wert waren, doch die dritte hatte es in sich: „Eher qualifiziert sich dieser komische Oberliga-Mitte-Klub Union Berlin für die Champions League.“

Was wollten Sie uns damit durch die Blume sagen? Dass selbst ein Universum wie das des Fußballs, in dem die schönste Nebensache der Welt längst zum bloßen Geschäft verkommen ist und das sich offenbar unaufhaltsam im ethisch-moralischen Niedergang befindet, hin und wieder einer Ausnahme bedarf, die die Regel als solche bestätigt?
Nun ja, Trost können wir daraus zwar nicht schöpfen, doch für die Berliner Unioner – einziges Event von statistischer Bedeutung in der bisherigen Vereinsgeschichte war der Gewinn des FDGB-Pokals 1968 in der DDR – freuen wir uns trotzdem!