26. Jahrgang | Nummer 13 | 19. Juni 2023

Schon wieder „Brilliant Pebbles“?

von Peter Linke, zz. Almaty

Als im Frühjahr 2018 Donald Trump die Schaffung einer sogenannten Space Force ankündigte, war dies alles andere als ein wenig durchdachter, spontaner Schnellschuss des damaligen US-Präsidenten. Vorausgegangen waren jahrelange Debatten über die bestmögliche Nutzung des erdnahen Raums zur Gewährleistung konventioneller militärischer Dominanz der USA in den internationalen Beziehungen nach Ende des Kalten Krieges. Ronald Reagans berüchtigte SDI-Initiative war zwar Anfang der 1990er Jahre aus technischen und politischen Gründen weitestgehend aufgegeben worden, ihr Geist jedoch lebte fort: So war in „New World Vistas: Air and Space Power for the 21st Century“, einer Pentagon-Studie aus dem Jahr 1995, zu lesen: „Zur Aufrechterhaltung ihrer Stellung als Supermacht müssen die USA nicht nur in der Lage sein, globale Lageeinschätzungen auf Grundlage weltraumgestützter Informationen vornehmen zu können, sondern auch militärische Macht direkt auf die Erde oder luftgestützte Ziele mit Hilfe kinetischer oder Strahlenwaffen zu projizieren.“

Dass die traditionelle US-Luftwaffe dabei nicht unbedingt federführend sein müsse, machte zwei Jahre später eine „Global Engagement: A Vision for the 21st Century Air Force“ betitelte Denkschrift deutlich, die einen „Übergang von einer Luftwaffe zu einer Luft-Weltraumwaffe – und weiter auf evolutionärem Wege zu einer Weltraum-Luftwaffe“ anregte. In die gleiche Kerbe schlug Senator Bob Smith, einer der vehementesten Verfechter von US-Weltraumwaffen, in seinem Ende 1999 im renommierten Air and Space Power Journal veröffentlichten Beitrag „The Challenge of Space Power“: „Ich sehe die deutliche Möglichkeit, diese Zeit unangefochtener konventioneller Überlegenheit auf der Erde zu nutzen, um substantielle Ressourcen in den Weltraum zu verlegen. Die daraus resultierende Sicherheit wäre größer, als sie alle Schiffe, Panzer und Flugzeuge dieser Welt je gewährleisten könnten […].“

Eine Expertenkommission unter Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld spann Anfang der 2000er den Faden weiter, forderte „ein robusteres Wissenschafts- und Technologieprogramm“ zur beschleunigten „Entwicklung und Stationierung weltraumbasierter Funkmess- und Lasertechnik, von Hyperspektralsensoren sowie wiederverwendbarer Trägermittel“. Auch brauche es „Mittel und Initiative zur Verbesserung der Lageerfassung, von Kapazitäten zur Warnung vor Angriffen, effektiveren Schutz von US-Satelliten, ‚Präventions- und Negationssysteme’ sowie Systeme rascher Reaktion und Machtprojektion großer Reichweite wie Hyperschall- oder suborbitales Interventionsgerät […]“. In diesem Zusammenhang prüfte eine Kommission im Auftrag des Kongresses die Machbarkeit einer separaten, von der Luftwaffe unabhängigen Weltraum-Teilstreitkraft und kam zu dem Schluss, dass die Zeit dafür weder personell noch fiskalisch reif sei: „Wahrscheinlicher und angemessener“, so die Experten, „wäre die Schaffung eines Weltraum-Korps innerhalb der Luftwaffe, ähnlich der Heeres-Luftwaffe im 2. Weltkrieg […]“.

Etwas energischer agierte 2008 die sogenannte Allard-Kommission. Unter einem Berg technisch-organisatorischen Kauderwelschs lauerte nicht mehr und nicht weniger als der Versuch, die für die weitere Militarisierung des Weltraums notwendigen politischen Entscheidungsprozesse einer radikalen Revision zu unterziehen. Diesbezüglich kritisch angemerkt: das Fehlen einer höchsten Koordinierungsstelle für Amerikas Weltraumkapazitäten in Form eines Nationalen Weltraumrates (NSC). Der war 1993 infolge von Querelen zwischen dem Weißen Haus und der Nationalen Aeronautik- und Raumfahrtbehörde (NASA) aufgelöst worden. Ausgehend von der Allard-Kommission mehrten sich in den folgenden Jahren sowohl seitens der Politik als auch der Industrie Stimmen, die seine Wiederherstellung forderten. Es war Präsident Trump, der im Juni 2017 diesen Stimmen nachgab und dem NSC unter Vizepräsident Mike Pence neues Leben einhauchte. Und während der Kongress noch immer das Für und Wider eines Space Corps im Rahmen der Air Force (ähnlich dem Marine Corps unter der Navy) debattierte, machte Trump erneut Nägel mit Köpfen, als er im März 2018 als erster US-Präsident verkündete, das Land benötige eine Space Force (SF) als sechste eigenständige Teilstreitkraft (neben der Marine, , der Luftwaffe, dem Heer, der Marineinfanterie und der Küstenwache). Als Trump Ende 2019 ein entsprechendes Gesetz unterzeichnete, nannte sich der neue Dienst zwar Space Force, konnte sich jedoch zum Leidwesen nicht weiniger Politiker und Militärs von der Luftwaffe nicht vollständig freimachen. Auch wurde die neue Formation weder mit dem Nationalen Aufklärungsamt (NRO), noch der Nationalen Behörde für Geographische Aufklärung (NGA) zusammengelegt. Verwehrt wurde ihr darüber hinaus der Zugriff auf die Weltraumprogramme und das Personal des Heeres und der Marine.

Das technologische Rückgrat der SF bildet seit Oktober vergangenen Jahres die 2019 gegründete Weltraumentwicklungsagentur (SDA). Ihr derzeit zentrales Anliegen: die Sicherstellung der totalen Aufklärung gegnerischer (sprich: russischer und chinesischer) Satelliten. Erreichen möchte man dies im Rahmen eines „Proliferated Warfighter Space Architecture“ genannten Programms, dass die Etablierung eines vermaschten Netzwerks von mindestens 1000 preiswerten (und leicht austauschbaren) Kleinsatelliten auf niedrigen Umlaufbahnen mit militärischen Fähigkeiten vorsieht, die von der Kommunikation und Überwachung über die globale Navigation bis hin zur Raketenabwehr reichen sollen.

Doch für den Pentagon-Systemtechnologen Rogan Shimmin ist dies lediglich „ein Knoten in einem Netzwerk von Netzwerken, welches letztlich die Kommunikationssatelliten des Verteidigungsministeriums auf allen übrigen Umlaufbahnen“ – auch den mittleren und den geostationären – über entsprechende optische Laser-Terminals miteinander sowie mit ausgesuchten kommerziellen Flugkörpern (etwa des Unternehmens SpaceX von Elon Musk) verbinden soll.

Voraussetzung dafür – die Erneuerung der geostationären Satellitenebene und die Erweiterung des 2014 angelaufenen, sechs Satelliten umfassenden Geosynchronen Weltraumlageerfassungsprogramms (GSSAP) um das geheime sogenannte Silent-Barker-Programm der US Air Force, das dem Vernehmen nach in Kürze gestartet wird.

Als weiteres Manko ausgemacht – die Qualität terrestrischer Such- und Folgesensorik. Die Weltraumüberwachung des Pentagons stütze sich immer noch zu sehr auf optische Teleskope und Radartechnik aus der Zeit des Kalten Kriegs, deren Aufgabe es war, vor anfliegenden sowjetischen Raketen zu warnen. Überwachungstechnisch entsprechend wenig erfasst geblieben sei dabei die südliche Hemisphäre. Hinzu komme das Unvermögen terrestrischer Radare und Teleskope, eine permanente Satellitenverortung in Echtzeit zu gewährleisten.

Abhilfe soll hier die seit 2017 in der Entwicklung befindliche sogenannte Deep Space Advanced Radar Cabability (DARC) bringen: Ein Allwetter-24-Stunden-Tiefenradar zur geostationären Beobachtung, das in diesem Frühjahr entscheidende Test absolviert habe. Vorläufig geplante Stationierungen: drei – in der Indo-Pazifischen Region, in Kontinentalamerika und in Europa. Beschrieben als „komplementäre Struktur“ zum 2020 auf dem zu den Marshallinseln gehörenden Kwajalein-Atoll in Betrieb genommen Space-Fence- Radar zur Überwachung niedriger Umlaufbahnen soll es unter anderem potentielle Gefahren für Amerikas Frühwarnsatelliten aufklären.

Derart komplexe Vernetzungen erfordern vor allem eines: fortgeschrittene Rechentechnik, ein robustes Internet für den Weltraum – oder wie es in SDA-Kreisen heißt – ein „Outernet“, das derzeit offensichtlich in der Entwicklung ist, und dessen ultimative Aufgabe, laut Eric Felt vom US-Luftwaffenbeschaffungsamt, darin besteht, sämtliche „Sensoren“ über alle Domänen – Luft, Land, See, Weltraum und virtuellem Raum – hinweg mit „Schießgerät“ in diesen Domänen zu verbinden.

Wesentliche Voraussetzungen dafür werden bereits geschaffen – etwa in Form hochmoderner terrestrischer Relaisstationen (deren erste gegenwärtig auf Guam entsteht), welche Signale unterschiedlicher Satellitennetzwerke zur Früherkennung von Raketenstarts weiterleiten, Scharniere bilden zwischen bereits existierenden Infrarotsatelliten sowie künftigen Systemen, die heute noch in der Entwicklung sind.

Darüber hinaus werden als zuverlässig eingeschätzte Partner konsequent in Washingtons aktuelle Weltraumpläne eingebaut. So Australien, das aufgrund seiner Lage auf der Südhalbkugel sowie potentieller Raketenstartplätze in Äquatornähe von Space-Force-General Nina Armagno unlängst als „Gold am Ende eines Regenbogens“ gepriesen wurde. Und Canberra tut einiges, um diesem Image gerecht zu werden: Im März vergangenen Jahres hob es mit viel Pomp ein eigenes „Weltraumkommando“ aus der Taufe, dessen Ausbau laut Verteidigungsminister Richard Marles zügig vorangetrieben werde. Washington hat indessen längst damit begonnen, sich in Down Under breitzumachen: Die Verlagerung seines Weltraumbeobachtungsteleskops von White Sands (New Mexico) nach Westaustralien dürfte diesbezüglich nur ein erster Schritt gewesen sein.

Mit Japan, einem anderen wichtigen Partner, treibt man inzwischen zügig den Aufbau eines Weltraumtiefenradars in der Provinz Yamaguchi (rund 750 km südwestlich von Tokio) voran. Des Weiteren wird die Space Force demnächst japanische Quasi-Zenit-Satelliten mit einer Reihe optischer Sensoren ausstatten.

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Auch wenn in den aktuellen Weltraumplänen Washingtons jeder Bezug auf das letztlich gescheiterte SDI-Projekt peinlichst vermieden wird, bleibt ein gewisses Déjà-vu nicht aus. Etwa im Hinblick auf die Idee mit den vielen niedrig fliegenden Satelliten, die jede noch so kleine Gefahrenlage erkennen und eliminieren sollen. Wer denkt da nicht an „Brilliant Pebbles“, jene in den 1980ern von Lowell Wood und Edward Teller (dem „Vater“ der Wasserstoffbombe) in den Tiefen des Lawrence-Livermore-Laboratoriums in Kalifornien ausgeknobelten Wahnsinnsidee?! Damals sollten bekanntlich tausende Kleinsatelliten mit je einer Abwehrrakete an Bord aufsteigende Interkontinentalraketen direkt über dem Gebiet der UdSSR zerstören. Dass die Erinnerung daran jetzt wieder aufploppt, mag nicht zuletzt daran liegen, dass der erste Chef der SDA Mike Griffin hieß. Der war seinerzeit einer der technischen Köpfe hinter dem „Brilliant Pebbles“-Konzept.