Freudig schritten Russlands Kommunisten heuer in den März: „Für uns sind unsere Frauen der Inbegriff von Schönheit, ein Beispiel für unermüdliche Arbeit und liebevolle Herzen. Wir erinnern uns immer an ihre besondere Aufgabe auf Erden – Leben zu schenken, häuslichen Komfort zu schaffen, Kinder zu erziehen, zu schaffen und zu verzaubern.“ So gab zum Internationalen Frauentag Gennadi Sjuganow, 78 Jahre alt und Vorsitzender der KPRF seit 30 Jahren, den Ton an. Der geriet allzu altväterlich.
Tage zuvor hatte Gennadi Andrejewitsch als Vorsitzender der Jury noch einen von den Kommunisten veranstalteten Wettbewerb für Kinder und Jugendliche aus früheren Republiken und Regionen „UdSSR – Großes Land“ anlässlich des 100. Jahrestages seiner Gründung ausgewertet. „Der leckere Kuchen und das Teetrinken brachten die Kinder einander noch näher und bestätigten sie in ihrer Überzeugung, dass die UdSSR ein großartiges Land ist. Wir müssen uns an unsere Geschichte erinnern, stolz darauf sein und dürfen nicht zulassen, dass jemand über unsere Errungenschaften lächelt“, gab ihnen die KP mit auf den Weg.
Mit einem Strauß roter Nelken und einer routiniert frei gehaltenen halbstündigen Gedenkrede ehrte der Chef der föderationsweit vertretenen KP Josef Stalin anlässlich des 70. Todestages des großen Diktators am 5. März. Die Botschaft: „Stalins große Taten, Errungenschaften und Siege werden über Jahrhunderte weiterleben!“ Heute sei es Pflicht, „das ukrainische Volk von der Naziherrschaft zu befreien“ und Hauptinhalt des Kampfes „die leninistisch-stalinistische Modernisierung“. Staatschef Wladimir Putin sollte sich an diese Erfolgsformel erinnern: „Es ist vor allem der russische Geist, die große russische, siegreiche Geschichte. Es ist auch der sowjetische Patriotismus und die sowjetische Gerechtigkeit. Und zusammen werden sie den Sieg hervorbringen, den wir uns alle wünschen!“
Widerspruch der Obrigkeit musste die mit rund 150.000 Mitgliedern und 18,9 Prozent der Wählerstimmen bei den Dumawahlen 2021 stärkste als „Systempartei“ geduldete Opposition nicht erwarten. Wer wohl sollte auch etwas gegen „unsere tapferen Freundinnen“, die „lieben, lieben Frauen“ haben? Wer Kritik an Stalin und die Erinnerung an dessen Verbrechen wagte, ist wie die Gesellschaft Memorial längst verboten. Den Menschenrechtlern des Sacharow-Zentrums wurden die Räume gekündigt, die Helsinki Gruppe aufgelöst – allesamt sind als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt.
In der Trauer um die Sowjetunion sind sich die Kommunisten mit dem Mächtigen im Kreml durchaus einig, auch da ist Widerspruch nicht zu befürchten. Den Sieg im Krieg gegen die Ukraine, der offiziell immer noch keiner sein soll, sehnt Putin schon als Oberkommandierender herbei. „Für die Front und den Sieg“ gab ihrerseits die KP im Februar ihrem „105. humanitären Konvoi“ für Armee und Bevölkerung als Losung mit. Der 106. startet am 27. März in die „jetzt bereits russischen Regionen“.
Aber wo bleibt bei solch trauter, national-patriotischer Gemeinsamkeit dann noch die Opposition? Das fragen sich inzwischen Kommunisten selbst. Sie wollen wenigstens auf sozialem Gebiet ihre Daseinsberechtigung als politische Kraft im Interesse der Bürger zeigen. Doch „regionale Behörden verbieten Kundgebungen unter jedem Vorwand“, klagen sie. „Die KPRF lässt man nicht oppositionell sein“, titelte die Nesawissimaja Gaseta.
Dafür gibt es schmerzlichen Anlass. Die Kosten für kommunale Dienstleistungen in Russland steigen seit dem 1. Dezember 2022 um durchschnittlich 9 Prozent, berichtet das Portal Wedomosti. Die Erhöhung der Tarife für verschiedene Arten von öffentlichen Dienstleistungen sei vom 1. Juli 2023 auf den 1. Dezember 2022 und den 1. Januar 2023 vorgezogen worden, erklärte die Regierung. „Die Unternehmen brauchen jetzt Geld“, heißt es in der Moskauer Stadtregierung schlicht. Laut Irina Gentzler vom Institut für Stadtökonomie steigen die Kosten für Arbeiten und Materialien, die Versorgungsunternehmen seien laut den Verantwortlichen unterfinanziert.
„Die Erhöhung wird die ärmsten Bevölkerungsschichten am stärksten treffen“, warnt das Wirtschaftsportal RBK. Als Grundlage des Haushaltsentwurfs für die nächsten drei Jahre ging das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung von einer Inflation von 12,4 Prozent bis Ende 2022 aus. Das Ministerium prognostiziert nun einen Rückgang der Realeinkommen in diesem Jahr von minus 2,2 Prozent gemäß den „Hauptrichtungen der Haushalts-, Steuer-, Zoll- und Tarifpolitik für das Jahr 2023 und die Planungsperiode 2024 und 2025“. Die Preise würden um 5,5 Prozent steigen, während das real verfügbare Einkommen nur um 1,6 Prozent zunehmen werde.
Kundgebungen gegen die Erhöhung der Wohnungs- und Versorgungstarife, zu der die KP aufgerufen hatte, wurden laut Presseberichten in fünf Städten der Region Orenburg – Orenburg, Buzuluk, Orsk, Abdulino und Dombarovka – verweigert. Zunächst seien sie genehmigt, dann mit Hinweis auf unzureichende Sicherheitsmaßnahmen abgesagt worden. Verwiesen wurde auf eine vorgebliche Terrorattacke in Brjansk. Vor Wochenfrist war es nach Angaben des Gouverneurs der nahe der ukrainischen Grenze gelegenen Region zu einem Anschlag durch eine „ukrainische Sabotagegruppe“ gekommen“. Ein Auto sei beschossen, ein Mensch getötet ein weiterer verletzt worden. Moskau meldete nach Explosionen in zwei Brjansker Öldepots Gefechte.
Nach Angaben der KP seien allerdings auch in den Regionen Iwanowo und Jaroslawl Kundgebungen verboten worden, mussten die Kommunisten Zuhause bleiben. Dort allerdings unter dem Hinweis auf „Hygienevorschriften“. Sergej Obuchow, Leiter der analytischen Abteilung der KPRF, erklärte gegenüber der Nesawissimaja Gaseta, in Orenburg seien die Dekrete absichtlich so verfasst, dass es unmöglich sei festzustellen, auf welche Rechtsgrundlage sie sich beziehen. „Wahrscheinlich wurde das Papier jedoch absichtlich so verfasst, dass es nicht aufgrund von Unstimmigkeiten mit den Anweisungen der föderalen Behörden angefochten werden kann.“ Obuchow meint, dass die Behörden eine Art Reflex haben – was auch immer im Lande geschieht, man muss zuerst die Kundgebungen der Opposition verbieten.
Dafür haben sie seit Dezember einen größeren Spielraum. Präsident Putin unterzeichnete ein Gesetz mit einer langen Liste von Orten, an denen Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen verboten sind. Dabei geht es um Behördengebäude und deren Umgebung, Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen, Häfen, Universitäten und deren Gelände, Schulen, Krankenhäuser, Kirchen und deren Umgebung. Zudem gelte das Verbot nach einem Bericht der Gaseta.ru auch für „Bereiche in der Nähe von lebenserhaltenden Einrichtungen, einschließlich solcher, die das Funktionieren von Strom-, Wärme-, Wasser- und Gasnetzen gewährleisten“. Und wo gäbe es die nicht? Die Regionen dürften zusätzlich ihre eigenen Verbote für historische, kulturelle und andere Orte festlegen.
„Bei der Abwägung zwischen Demokratie und Sicherheit geben die Behörden der Sicherheit eindeutig den Vorrang“, meint Alexej Muchin, Generaldirektor des Zentrums für politische Information. Die regionalen Behörden, weiß hingegen der politische Analyst Nikolai Mironow, fürchteten seit Beginn der „Spezialoperation“ einen „politischen Aufruhr, insbesondere seitens der Opposition“. Sozial-ökonomische Proteste der Kommunisten würden ohnehin nur „ein populäres Thema anheizen und so ihre Popularität erhöhen“.
Den Verdacht, es solle von der kommunistischen Opposition am besten wenig zu sehen sein, nährt eine Auflistung der sinkenden Sendezeiten im einflussreichen Zentralen Fernsehen. In der vorletzten Februarwoche rutschte die Partei vom ersten auf den letzten Platz, rechnete das KP-Zentrum zur Erforschung der Politischen Kultur vor. An der Spitze der Einschaltquoten stehe die unangefochtene Machtpartei Einiges Russland, gefolgt von den rechtskonservativen Liberal Demokraten des im April 2022 verstorbenen ultranationalistischen Gründervaters Wladimir Schirinowski und Gerechtes Russland für die Wahrheit. Der Anteil von Einiges Russland stieg von elf Prozent auf 55 Prozent. Der Anteil der KPRF sank von 38 auf neun Prozent.
Der Druck auf die Kommunisten werde bleiben und sich noch verstärken, soll aus Kremlkreisen angekündigt worden sein: 2024 finden Präsidentenwahlen statt. Die Kommunisten denken bereits öffentlich über ihren Kandidaten nach. Doch besonders im Schatten des Kriegszustandes seiner „Spezialoperation“ kann der Kreml Opposition von der Opposition schon gar nicht brauchen.
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