25. Jahrgang | Nummer 25 | 5. Dezember 2022

Film ab

von Clemens Fischer

Paul Gallicos Bestseller „Flowers für Mrs. Harris“ von 1958 – bundesdeutsche Auflage weit über eine halbe Million – ist bereits 1982 erstmals verfilmt worden. Damals für das westdeutsche Fernsehen. Regie führte der vor allem als Darsteller in Unterhaltungsfilmen bekannte Peter Weck, die Mrs. Harris gab Inge Meysel. TV Spielfilm ätzte zu dem Streifen: Weck habe „die Geschichte so betulich umgesetzt, dass sie nur Inge-Meysel-Fans gefallen wird“.

Eine gewisse Betulichkeit ist der jetzigen Neu-Verfilmung von Anthony Fabian ebenfalls nicht abzusprechen, doch es kommt immerhin genügend Esprit und nicht zuletzt optische Opulenz der Mode von Christian Dior in den 1950er Jahre zusammen, dass man sich in den fast zwei Stunden nicht langweilen muss. Vorausgesetzt, dass man sich darauf einzulassen vermag, vom prallen Sozialkitsch der ganzen Story – britische Putzfrau mobilisiert die Arbeitnehmer der Firma Dior (fast bis) zum Streik, rettet so das Unternehmen und erhält nicht nur ein, sondern sogar zwei Traumkleider – zu abstrahieren und einfach einem Märchen zu folgen. Hauptdarstellerin Lesley Manville, 2018 als Beste Nebendarstellerin für den Oscar nominiert („Der seidene Faden“), liefert eine ebenso überzeugende Darstellung ab wie die großartige Isabelle Huppert als kotzbrockige Dior-Chefin. Und Paris in den 1950er Jahren mit Straßen noch fast ohne Autos, dafür jedoch mit reichlich Müll auf den Trottoirs, weil die Stadtreinigung streikt, liefert immer wieder stimmungsvolle Bildmotive …

„Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“, Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Anthony Fabian. Derzeit in den Kinos.

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Der Besprecher muss gestehen, dass auch er einst zu den halbgebildeten Ignoranten gehörte, die Leonard Cohens dutzend-, wenn nicht hundertfach gecoverten Welthit „Hallelujah“ jahrelang lediglich mit Jeff Buckley assoziierten, in dessen (zugegeben überragender) Interpretation er das Lied erstmals gehört hatte. Von Buckley selbst ist übrigens dokumentarisch überliefert, dass er gehofft hat, Cohen würde seine Fassung nie hören, denn die klinge ja, als sänge ein kleiner Junge.

Dass „Hallelujah“ zum international sicher meistgecoverten und -gespielten Werk Cohens werden sollte, war dem Song nicht an seiner Wiege gesungen worden. Dazu bedurfte es vielmehr einiger, teils abstruser Volten und Zufälle, die – für einen Filmplot aneinandergereiht – ausgereicht hätten, die Story wegen pathologischer Unglaubwürdigkeit im Orkus zu versenken. Es begann schon damit, dass ein (offenbar besonders dämlicher) Boss von Columbia Records, wo Cohen seinerzeit unter Vertrag stand, 1984 dem (fertig produzierten und bezahlten) Album „Various Positions“, für das „Hallelujah“ eingespielt worden war, die Abnahme verweigerte; ihm gefiel die Musik nicht; das Album ist in den USA nie erschienen. „Hallelujah“ verschwand samt Album und Schöpfer in der Versenkung. Als Bob Dylan trotzdem auf den Song aufmerksam wurde, coverte er ihn 1988 in zweien seiner Konzerte. Auch John Cale, Gründungsmitglied der experimentellen US-Rockband The Velvet Underground, war angetan und steuerte 1991 seine Fassung zu dem Tribute-Album an Cohen „I’am your fan“ bei, die sich wiederum bis zu Buckley herumsprach, der dem Song 1994 einen ersten kräftigen Push verpasste. Den eigentlichen, den internationalen Durchbruch aber brachte ausgerechnet ein Animationsfilm, und noch dazu einer um einen haarlosen grasgrünen Oger mit anatomisch recht eigentümlichen Ohren – „Shreck“ (2001) –, zu dessen Soundtrack der (textlich familienkompatibel frisierte) Song gehörte.

Dies alles und noch viel mehr – vor allem jede Menge O-Ton Cohen und jede Menge seiner Musik (von ihm selbst dargeboten sowie unterschiedlichsten Interpreten) – ist jetzt auf großer Kinoleinwand zu haben.

Apropos Bob Dylan: Dem hat Cohen mal erklärt, dass es ihn sieben Jahre gekostet habe, „Hallelujah“ fertig zu komponieren. Doch die Zahl sieben habe er nur aus Scham darüber genannt, wie lange es tatsächlich gedauert hätte …

„Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“, Regie und Kamera: Dan Geller und Dayna Goldfine (auch Schnitt). Derzeit in den Kinos.