25. Jahrgang | Nummer 24 | 21. November 2022

Gitarren geschruppt, Bässe wild geschlagen

von Thomas Behlert

Die Geschichte des traditionsreichen Labels Amiga reicht bis 1947 zurück, als der Kommunist und Sänger Ernst Busch von der sowjetischen Besatzungsmacht die Erlaubnis erhielt, unter dem Namen „Lied der Zeit“ auf Schellack drei Arbeiterlieder aufzunehmen. Noch im gleichen Jahr ging es unter dem Namen Amiga und mit leichter Muse weiter, beginnend mit den „Capri Fischern“.

Bis zur Währungsunion brachte das Label 2200 Langspielplatten (LPs) heraus, die jeweils 16,10 Mark kosteten, außerdem Singles für 4,60 Mark, Quartett-Singles (EPs, 8,10 Mark) und Kassetten (23,60 Mark). Die größten Gewinne fuhr das DDR-Label mit leichter Unterhaltung ein, wobei der Thüringer Herbert Roth und Frank Schöbel (Weihnachtsplatte!) einsam die Verkaufsspitze hielten.

In den 1970er Jahren mussten die Beat-Combos nicht mehr auf eine Geste von Amiga warten, denn sie konnten jetzt in Tonstudios, eingerichtet von gutverdienenden Musikern, aufnehmen oder gar im Studio des Radiosenders DT 64. So drängelten sich die Musikgruppen in den Studios und nahmen auch mal herrliches Zeugs auf, das leider bisher nicht auf Tonträgern erschien und nur selten in den staatlichen Rundfunkstationen gespielt wurde. Gegen Ende der 1980er Jahre verlor der Ost-Rock allerdings an Attraktivität, so dass sogar Spitzenbands nicht mehr die Säle füllten und viele LPs auf der Erstauflage hängen blieben.

Mit dem Ende der DDR löste sich auch der VEB Deutsche Schallplatte auf, der nach dem 1. Mai 1990 noch in eine GmbH umgewandelt worden war. Ein Jahr später kaufte ein Kieler Autohändler (sic!) den ganzen Laden und verhökerte 1993 das Klassik-Label Eterna an die Edel Company Music AG. Die BMG-Ariola übernahm den Backkatalog von Litera und Amiga. Innerhalb von fünf Jahren konnte Bertelsmann mehr als 30 Millionen DM Umsatz mit Rock und Pop aus der DDR verbuchen. Mittlerweile gehören BMG-Ariola und Amiga zu Sony, wo immer mal wieder ein Beleg für die Vielfalt ostdeutscher Rock- und Popmusik präsentiert wird, meist arrangiert vom letzten Amiga-Chef Jörg Stempel.

Pünktlich zum 75. Jubiläum von Amiga sind längst vergessene Alben gesammelt in Boxen erschienen. Hurra schreit man dabei über die DDR-Heavy-Metal Sammlung und mies drauf wird man bei „Beat, Rock & Pop“, die mit Thomas Natschinski & seiner Gruppe und den Roten Gitarren aus Polen belegt ist. Mit dabei ist auch die kurzlebige Band Joco Dev Sextett, die endlich zu lang verdienten Album-Ehren kommt. Zu hören gibt es ihren Hit „Stapellauf“ auch auf der Musikmischung „Ost-Kraut!“ Neben Titeln der Bands Puhdys, Electra Combo und Stern Combo Meißen, die wohl als Kaufanreiz dazu gepackt wurden, suchte man Raritäten aus, von denen einige bestimmt aus dem Musikspeicher im Hirn gelöscht waren und nun wieder auftauchen. Hach, was werden hier von jungen Menschen, die ordentlich an Musikschulen ausgebildet wurden, Gitarren geschruppt, Bässe wild geschlagen, Orgeln vergewaltigt, herrlich tönende Schlagzeugberge aufgebaut. Klassische Musik fließt in rockige Momente (Collegium Musicum), Folklore verbindet sich mit knackigen Tönen (Illes) und gar erste harte Momente (Set, Breakout), die sogar dem Heavy-Metal-Musik-Kenner Frank Schäfer gefallen könnten, knarzen und poltern aus den Boxen. Einige Combos (Hungaria, Rote Gitarren, Wir), die später in den Schlagerpopabgrund fielen, bieten progressive und krautige Ungetüme an. Ganz gewaltig quiekt und schreit die Ungarin Kati Kovacs unverständlich „Wind komm, bring den Regen her“.

Nach den vier CD-Vorgängern, die sich mit westlichen Krautrockern beschäftigten, ist nun der erste Teil Ost erschienen, der neben den bereits Genannten weitere DDR-Helden und sogar Krauter aus den Bruderländern Ungarn (Omega), CSSR (Blue Effect) und Polen (Die Skalden) präsentiert. Ok, Kraut war in der DDR nie ein prägender Musikbegriff. Man hätte ihn bestimmt umbenannt in „Sättigungsbeilagen-Beat“.

Es kam dann doch so viel zustande, dass nur wenige Wochen später ein zweiter Teil „Ost-Kraut“ erschien, der wieder als Untertitel den erklärenden Satz trägt: „Progressives aus den DDR-Archiven 1976-1982“. Doch leider ist der Teil 2 nur teilweise progressiv, denn es wird eher Pop gespielt und typischer Ostrock. Nicht mehr viel mit kosmischen Klängen, knackigem Krautrock und ersten Heavy-Metal-Klängen. Da wird von Karat etwas Spaß („Das Monster“) gemacht, Karussell („Entweder oder“), Magdeburg („Alte Bänder“), City („Der Tätowierte“) und Transit („Sturmflut“) sind zwar etwas rockiger, lassen aber die Melodien schnell im Popsumpf ertrinken. Und was die Modern Soul Band, Prinzip, Bernd Dewèt („Der Rock‘n Roll King aus dem Thüringer Wald“) und die Schlagersängerin Dina Straat auf einem Ost-Kraut-Sampler zu suchen haben, ist eurem buckligen Schreiberling bis zum heutigen Tag unverständlich. Ganz nah dran an den krautigen Klängen, an den Mischungen aus Folk und Rock, elektronischen Zaubereien und Jazzrock sind die polnischen Künstler SBB, Passion mit ihrem herrlichen Song „Morgendämmerung/Herzallerliebstes Mädel“, die Weimarer Gruppe Bayon, die asiatische Klänge mit modernen Elementen verband und „Das Haus der Kindheit“ nebst der Ouvertüre aus „Die Schlacht/der Traktor“ zu einem Ereignis werden lassen. Der Thüringer Jürgen Kerth, der Instrumentals liebte und bei „Auf die alten Tage“ seiner Gitarre feine Töne entlockte und den Blues in den Hintergrund verbannte, kann als kleiner Höhepunkt gelten.

Insgesamt sind die vier CDs unbedingt hörenswert und sollten als genialer Abschluss einer Musikrichtung stehen, die es in der DDR nie gab und die im vereinigten Musikland nie wieder kommt. Die beigefügten 80-seitigen Booklets mit interessanten Einzelheiten zu den Bands und seltene Fotos sind außerdem beste Bettlektüre.

Ost-Kraut! Teil 1 und Teil 2, Sampler, Bear Family Records, je 24,99 Euro.