von Wolfram Adolphi
Peter Danckert, der sozialdemokratische Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, ist enttäuscht. Die Herren Ma Canrong, Botschafter der VR China in Deutschland, und Yu Zaiqing, Vizepräsident des chinesischen Nationalen Olympischen Komitees und zugleich Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), haben die Einladung zu einer Anhörung des Bundestages »über die Menschenrechts-Situation in China im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008« am 24. Januar nicht angenommen. Die übrigen Eingeladenen – unter ihnen der IOC-Vizepräsident und Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes Thomas Bach, die Fechterinnen Claudia Bokel (Präsidentin der Athletenkommission des Europäischen Olympischen Komitees) und Britta Heidemann (Studentin der Regionalwissenschaften/China) sowie als wissenschaftlicher Sachverständiger der Tübinger Sportsoziologe Helmut Digel, der auch Vorstandsmitglied des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF ist – mußten auf eine Begegnung mit offiziellen chinesischen Teilnehmern verzichten. Die Chance für einen interessanten Meinungsaustausch wurde vertan.
Aber liegt das an den Chinesen? Weil sie die Einladung verweigerten? Oder nicht doch eher an den Deutschen, die einmal mehr nicht begriffen haben, daß Menschenrechte in den internationalen Beziehungen nicht durch selbstgerechtes Auftrumpfen verwirklicht werden können, sondern nur durch wirklichen Dialog – mithin eine Kommunikationsform, die die Fähigkeit zum Zuhören ebenso einschließt wie die Bereitschaft zu Selbstkritik und Selbstveränderung?
Denn genau an diesem Letzteren – dem Stattfinden eines wirklichen Dialogs – dürfen die Herren Ma und Yu getrost zweifeln. Nicht, daß über die Menschenrechte in China geredet werden sollte, dürfte sie zu ihrer Entscheidung gebracht haben, sondern wie das beabsichtigt war. Sie werden – das darf man wohl annehmen – die Drucksache 16/7273 des Bundestages vom 23. November 2007 zur Kenntnis genommen haben, enthaltend eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum exakt gleichen Thema wie dem der Anhörung sowie die Antworten der Bundesregierung darauf, und sie hätten schon sehr blauäugig sein müssen, um nicht zu erkennen, daß hier ein Lied gespielt werden sollte, das ihnen längst zur Genüge bekannt ist. Die Grundmelodie dieses Liedes lautet: Wir, die Deutschen, belehren die anderen, und die anderen – nicht alle natürlich, aber doch die meisten, und unter diesen seit mehr als hundert Jahren in fataler Kontinuität immer auch die Chinesen – haben sich belehren zu lassen, und wenn sie das nicht tun, ist das Grund genug, ihnen doppelt zu mißtrauen und nur noch eifriger den Refrain zu schmettern, der da geht: Wir haben trotzdem, trotzdem, trotzdem immer Recht.
Bei solchem Gesang geht alle Sensibilität in Scherben. Ungehört bleibt das Summen, das da mahnt, man solle doch einmal innehalten, um zu prüfen, ob man tatsächlich auf dem hohen Rosse sitzt, von dem aus anklägerisch in die Welt zu blicken man sich so fraglos berechtigt fühlt; und keine Chance haben Stimmen, die sich mit der Frage melden, ob man sich eigentlich auch zum Umgekehrten bereit finden würde: zu einer gleichartigen Behandlung durch die Chinesen.
Also ziehen sie mit einer »Alles, und zwar sofort«-Strategie vom Leder, die Bündnisgrünen in ihrer Großen Anfrage, und merken nicht, wie sie das Kind mit dem Bade ausschütten. Es ist bei einer solchen Großen Anfrage üblich, in einer Vorbemerkung der Fragesteller den eigenen Standpunkt darzustellen, und das geht in diesem Falle so: Zunächst wird die »massive Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit« beklagt; dann geht es um »willkürliche Enteignungen und weitere Zwangsmaßnahmen beim Stadtumbau für die Olympischen Spiele«; es folgt die Auffassung, daß »die Olympiavorbereitung von der Regierung als Katalysator für mehr Unterdrückung anstatt für mehr Freiheit genutzt wird«; weiter wird die Verhängung der Todesstrafe thematisiert; und schließlich wird China als »wichtigstem wirtschaftlichem und sicherheitspolitischem Partner des Sudan« eine »Unterstützung der sudanesischen Kriegspolitik in Darfur« zugeschrieben.
Gibt es einen Zweifel daran, daß dies alles unerhört ernste Themen sind? Natürlich nicht. Muß darüber geredet, verhandelt, beraten werden? Selbstverständlich. Sind Proteste angezeigt? Ganz gewiß.
Nur: Hält man die chinesische Seite wirklich für so einfältig, nicht zu erkennen, wie unglaubwürdig das Verfahren ist? Es liegt doch auf der Hand, daß man sich in China fragen wird, warum vor den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 oder 2002 in Salt Lake City keine Anhörung mit dem Botschafter der USA stattfand – trotz dort noch immer üblicher Todesstrafe, trotz des Afghanistan-Krieges und trotz des Gefangenenlagers in Guantanamo. Und Darfur: Meint man wirklich, die Chinesen durchschauten die westliche Verantwortung für die dortigen Vorgänge nicht – und nicht die westlichen Interessen? Schließlich die »willkürlichen Enteignungen und weiteren Zwangsmaßnahmen beim Stadtumbau«: Jeder hat noch im Ohr, wie glücklich das deutsche Transrapid-Konsortium war, daß es seine Referenzstrecke in Shanghai bauen durfte, wo ihm keine »ausufernde Umweltgesetzgebung« und schon gar keine Bürgerinitiativen im Wege standen, sondern die Trasse rasch und »unbürokratisch« freigeräumt wurde, und wie sehr man in diesen deutschen Kreisen beklagt, daß in Deutschland solche Verhältnisse (noch) nicht hergestellt werden können.
»Aber das waren ja nicht wir«, mögen die Bündnisgrünen nun sagen, und vergessen dabei, daß er in ihrer Regierungszeit geschah, dieser Transrapid-Deal – wie sie auch gern aus den Augen verlieren, daß, wenn sie in Frage 19 über Tibet reden, den Chinesen nicht verborgen geblieben sein dürfte, daß die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Teilnahme am Afghanistankrieg gleichbedeutend ist mit dem Einsatz deutschen Militärs in einem Land, das unmittelbar an dieses zu China gehörende Tibet grenzt. Man stelle sich für einen winzigen Augenblick vor, chinesische Truppen kämpften in Tschechien. Und glaubt man wirklich, die chinesische Seite hätte nur deshalb, weil sie nicht jeden Tag darüber redet, vergessen, daß im NATO-Krieg gegen Jugoslawien, bei dem die rot-grüne Bundesregierung erstmals seit 1945 wieder deutsche Soldaten in den Krieg geführt hat, die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert worden ist? Es ist nicht bekannt geworden, daß das für Deutschland ein Grund gewesen wäre, sich aus dem ohnehin völkerrechtswidrigen Krieg zurückzuziehen.
Aus vierundzwanzig Fragen besteht die Große Anfrage, ihr Gestus bleibt immer der gleiche. Sie mögen sich dabei konsequent und mit sich im Reinen fühlen, die Bündnisgrünen, und ganz sicher werden sie sich dann, wenn das Dokument im Plenum des Bundestages noch einmal debattiert werden wird, kämpferisch damit auseinandersetzen, daß die Antworten der Bundesregierung ihren Ansprüchen auf schärfere Auseinandersetzung mit China an dieser und jener Stelle nicht genügen: dem gleichberechtigten Dialog mit China – dem einzigen also, aus dem heraus es tatsächlich zu Veränderungen kommen kann, und zwar zu Veränderungen auf beiden Seiten – haben sie einen Bärendienst erwiesen.
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