25. Jahrgang | Nummer 21 | 10. Oktober 2022

Techno goes Jules Verne

von Thomas Behlert

Wer sich immer mal wieder durch die Radiosender zappt, um einen vernünftigen zu finden, der trifft leider nur auf Sender, denen schon längst die Musikideen ausgegangen sind, die sich dumpf an die letzten verbliebenen Hörer anwanzen und deren Moderatoren entweder Alkoholiker sind oder sich mit ihren Hits der 80er und 90er und dem Dreck von heute abgefunden haben. Bis dahin war man froh, den 1990er Jahren entronnen zu sein, keine DJs mit verunglückten Mixen mehr hören zu müssen oder die schmierigen Popmusiker mit ihren vielen Kuschelrockeinsätzen.

Noch einmal sollen sie aufzählt werden, die „Dancer“, die DJs, die gar riesige Aufläufe durch die Straßen Berlins organisierten und sie später in einer hässlichen Stadt im Ruhrgebiet tödlich enden ließen, die alte Bunker belagerten und auf ehemaligen Flugzeugrollbahnen mit Flakscheinwerfern und musikalischen Nichtigkeiten die Jugend den reichlich vorhandenen Drogen in die Fänge trieben. Keiner dieser Hitparadenstürmer konnte ein Konzert gestalten, sie präsentierten ihre auf die Schnelle und an Mischpulten hergestellten Klänge mal so zwischen Auftritten anderer hampelnder Akteure vergleichbarer Couleur.

Die Namen sind fast vergessen, die Produzenten tot oder fett und unansehnlich: Haddaway, Ace Of Base, 2 Unlimited, Scooter, Snap und Eiffel 65. Zwischen den Genannten – all dem Techno (oder Tekkno) und Roxette, Bryan Adams, Scorpions sowie Tic Tac Toe … kurze Lesepause für die, die sich übergeben müssen … – tauchten auch noch Musikprojekte auf, die alte Lieder, Kindersongs oder Filmmusiken gehörig verwursteten und mit riesigem Werbeaufwand von geldgierigen Plattenfirmen in Clubs und Radiostationen präsentierten. So trällerten plötzlich Mo-Do „Eins, Zwei, Polizei“, Marusha „Somewhere Over the Rainow“, Dolls United „Eine Insel mit zwei Bergen“ ohne Rücksicht auf Verluste los, und DJ Quicksilver entblödete sich nicht,  Martin Luther Kings „I Have A Dream“ zum Schunkelhit umzuschmieden.

Schuld an diesen aufkommenden Mixen hatten ganz eindeutig die Band U96, die gleich am Anfang jenes mistigen Jahrzehnts den Soundtrack des Kriegsfilms „Das Boot“ aber so etwas von in die Tonne traten und ersäuften, dass sie damit die Hitparaden 13 Wochen anführte. Immer und überall hörte man das Echolot des U-Bootes, so dass man glatt auf einen Asteroideneinschlag hoffte, der der Musik den Stecker zog. Klaus Doldinger, Jazzmusiker und Filmkomponist des Originals, war allerdings zufrieden, denn der Scheiß verkaufte sich mehr als 1.000.000-mal, die Techno-Bewegung hatte ihren Vorreiter und kroch aus dem „Unterground“ an die Oberfläche.

Nun ist U96 wieder da und bewegt sich nach 30 Jahren Ruhe im Karton wie gehabt im kommerziellen Fahrwasser, indem sie sich Jules Vernes Klassiker „20 000 Meilen unter dem Meer“ griffen und daraus eine Art Musical bastelten. An Bord sind nur noch Lewerenz und Hauss, denn Alex Christensen ist von Bord gegangen, wenn auch leider nur von U96. Gemeinsam mit dem Schauspieler Claude-Oliver Rudolph macht der Rest natürlich keinen Techno mehr, sondern irgendwie Pop und, laut Waschzettel, Lounge-Elektronik. Brrrr. Nun wollen die U96-Grufties das sogenannte Fantasy-Musical auch noch live aufführen, in kleinen Theatern oder Stadthallen, unter anderem in Städten, in die sich sonst kein Künstler verirrt (Magdeburg, Erfurt, Kiel, Hannover, Lingen). Wenn das klappt, ist mit dem Revival weiterer Untoter aus den 1990ern zu rechnen. Gott und Habeck (wenn der schon sonst nix Gescheites zustande bringt) mögen uns bewahren.

U96: „20 000 Meilen unter dem Meer“, Motor Entertainment (Edel), 14,99 Euro (CD), 24,99 Euro (Vinyl).