Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 18. Februar 2008, Heft 4

Und jetzt bin ich in Köln

von Sarah Liebigt

Ende September vergangenen Jahres bin ich von Konstanz nach Köln gezogen. Rheinaufwärts. Die Monate gehen so schnell vorbei, daß ich das Gefühl habe, zwischen Bachelorarbeitsabgabe und Neujahr sei kaum Zeit vergangen. Auch die Ereignisse der vorigen Wochen bestärken mich darin. Oder eher die Beobachtungen morgens und abends in der Bahn und mittags im Supermarkt. In der Discounter-Kaufhalle.

Die vorige »Fasnacht« am Bodensee war doch gerade erst vorbei. Oder!? Plötzlich sitzen in der Bahn vereinzelt Menschen mit monströsen, schwarz gelockten Perücken, werde ich von hochgewachsenen beleibten Männern mit Aktentasche und rotweißer Narrenkappe auf dem Kopf überholt. Sehe ich, wenn ich am Bahnsteig warte, Riesenplakate mit der Aufschrift Wir sind Karneval. Darunter die kakelbunte Silhouette einer Narrenkappe, die das Wort Alaaf umrahmt. Über der Einfahrt zum Parkhaus der Köln Arena hängt seit Anfang November ein Plakat, das für die Lachende Köln Arena wirbt. Beginn 24. Januar, jetzt schon Karten sichern.

Ich bin vom Regen in die Traufe gekommen: Fasnacht auf Kölsch und – nach Einwohnerzahl – zwölfmal größer. Hier besorgt man sich Karten fürs Einsingen, zu Karneval sind die Firmenflure wie ausgestorben oder die Büros vernebelt mit Präkarnevalsabendbierdunst, man erkennt die eigenen Kollegen in Schminke und Kostüm kaum wieder.

In der Mittagspause gehen wir in den örtlichen Lebensmitteldiscountladen. Neben den aktuellen Angeboten liegen Perücken, Plüsch-Elchgeweihe und Biene-Maja-Hauben. Auf den Firmenfeiern wird Musik gespielt, die mich jedes Mal wieder dazu bringt, mit verschränkten Armen verärgert zu gucken und das Ende herbeizusehnen. Da simma dabeeei! Das ist prihiiima! Viva Coloniaaa! Töne und Takte zum Mitgrölen und -schunkeln.

Prima Vorbereitung auf Ende Januar. Schaufensterdekorationen werden mit ausgeleierten Luftschlagen und Konfetti aufgepeppt, dem lebensgroßen Pappaufsteller der nationalen Berühmtheit aus Sport, Kultur oder Politik werden Perücken aufgesetzt, und als ich am Neumarkt auf meine Bahn warte, hält gegenüber ein Wagen, von dem mir ein Frauengesicht mit Kurzhaarfrisur und Lippenstift entgegengrinst. Haare und Makeup in quietschrot. Ein runder Stempel Marita-Köllner-Original verdeckt halb die Pumuckl-Frisur.

Die Mittagspause am nächsten Tag verbringen wir damit, durch einen riesigen Laden zu rennen und Perücken, Kostüme, falsche Augenbrauen und diverse Hüte in Augenschein zu nehmen. Als ich an den Garderoben vorbeispurte, springen mir auf einmal drei voluminöse blauweiße Dirndlträgerinnen entgegen. Direkt daneben öffnet eine Matrone in rotschwarzem Kleid mit Volants den Vorhang der Garderobe und tritt mit schwingenden Röcken aus der Kabine auf den mit wartenden Freundinnen und Ehemännern überfüllten Gang.

Am Ende probieren wir Stewardeß-Kostüme, komplett mit Hütchen und Halstuch. Im Hintergrund läuft ein Karnevalslied nach dem anderen, und ich bin ein bißchen froh über die erzwungene Einstimmung auf die Karnevalszeit.

Auf dem Weg zurück ins Büro unterhält man sich über Norddeutsche in Köln und Kölner in Berlin, und ich grinse bei der Schilderung des Rosenmontagszuges in Berlin. Meine Kollegin berichtet von preußischen Attitüden am Rand der Umzugsstraße und beschreibt ungeduldig wartende Eltern, die immer wieder auf die Uhr schauen und schimpfen, daß der Zug schon zwanzig Minuten zu spät sei. Daß der Rosenmontagszug an einem Sonntag stattfand, sei noch die geringste Änderung beim Berliner Modell des Kölner Karnevals gewesen.

Am Ende hatte ich mich gegen die Totalverweigerung und für Kostüm an und durch entschieden. Ich nannte das Spektakel, ohne es jemandem zu verraten, einfach »ausgedehnten Fasching«, feierte einen Abend lang mit und versteckte in meiner Handtasche Notizblock und Stift, um jederzeit Notizen über fremde Sitten und Bräuche machen zu können.