„Freunde und ganz besonders Freundinnen
sind unsere selbstgewählte Familie,
Schutz gegen all die Fremden,
die mich nicht verstehen.“
(Hazel Rosenstrauch)
In Zeiten von Corona sind viele Freundschaften beendet worden – durch unterschiedliche Auffassungen über die Pandemie und ihre Ursachen sowie die getroffenen gesundheitspolitischen Maßnahmen, durch mangelnde Kontaktmöglichkeiten oder gar Besuchsverbote, durch Krankheit und Tod oder einfach durch andere, plötzlich wichtiger erscheinende Kontakte. Gleichzeitig wurden auch neue Freundschaften geschlossen – aufgrund erfahrener Solidarität und Zuwendung, gemeinsamer Leiden und kleiner Freuden, durch neue Wege, die Menschen in diesen Zeiten gegangen sind. Es gibt noch keine Untersuchung dazu, welche Seite überwogen hat. Auch der Autor Sebastian Schoepp kann diese Frage nicht abschließend beantworten, der Titel seines Buches scheint jedoch darauf hinzuweisen, dass hier Rettungsmaßnahmen notwendig sind. In jedem Falle hätten Umdenkprozesse stattgefunden.
Der Kommunikationswissenschaftler und langjährige Journalist Schoepp versteht sein Buch als „Plädoyer für eine unterschätze Sozialbeziehung“. Dazu analysiert er sowohl historische philosophische Überlegungen zum Thema (Aristoteles und Sokrates) und überlieferte Freundschaftsbeziehungen (zum Beispiel Goethe und Schiller oder Karoline von Günderode und Bettina von Arnim, Rosa Luxemburg und Clara Zetkin etc.), als auch seine eigenen Kontakte und Beziehungen. Für ihn sind sie sowohl Triebkraft des sozialen Wandels als auch „Fels in der Brandung“. Gleichzeitig – so die von ihm zitierte Feministin Marilyn Friedmann –, seien sie „in unserer Kultur die umstrittenste, beständigste und befriedigendste aller persönlichen Bindungen“. Er vergleicht sie daher mit einer Liebesbeziehung; beides könne man weder herbeireden noch kaufen. Jedoch gerade in den Ursachen für ihr Ende, würden sie sich unterscheiden. Ein Vorteil der Freundschaft gegenüber Liebesbeziehungen sei, dass erstere zu mehreren Menschen möglich sei (bestimmte Formen der Liebe auch, hier hängt der Autor offensichtlich einer historisch-christlichen Vorstellung an).
Für die gegenwärtigen Debatten, Wertungen und teilweise Rücktritte erhellend ist (zumindest für die Forderungen danach), sein Kapitel über Freundschaft in Politik und Wirtschaft. Seine dazu gestellte Frage, ob hier Freundschaft grundsätzlich zu verurteilen sei, regt zum weiteren Nachdenken an. Das Misstrauen gegenüber zwischenmenschlichen Beziehungen in Politik, Verwaltung und Business sei ein relativ junges Phänomen, „in der Vormoderne (sei) Patronage Vorstellungen von idealer Gesellschaft sehr nahe (gekommen)“ zitiert er den Historiker Jens Ivo Engels aus dessen „Geschichte der Korruption“. „Vor dem Entstehen des Marktkapitalismus galt es als normal, ja als moralische Pflicht, Angehörige und Freunde zu fördern, es gehörte zu den Aufgaben eines guten leaders“.
Bei seiner Analyse modernen Verhaltens dürfen natürlich Facebook und die dort neu entstandene Art von Freundschaften nicht fehlen. Sein Fazit hier: Es sei ein Vehikel der Selbstvermarktung; Kontakte (so der nun korrekte Ausdruck) seien zur Ware geworden. Allerdings böten soziale Netzwerke die Chance, Freundschaften auf standby zu halten. Auch hierzu wird es weiterer Analysen bedürfen. Insofern ist die vorliegende kulturhistorische Abhandlung Anregung, auf persönlicher Ebene eigene soziale Beziehungen sowohl zu überdenken, sie wertzuschätzen und zu pflegen, als auch die von ihm angeregten wissenschaftlichen Untersuchungen weiterzuführen.
Sebastian Schoepp: Rettet die Freundschaft! Wie wir gemeinsam wieder zu mehr Leichtigkeit und Lebensfreude finden, Westend Verlag, Frankfurt/Main 2022, 240 Seiten, 24,00 Euro.
Schlagwörter: Beziehungen, Freundschaft, Sebastian Schoepp, Viola Schubert-Lehnhardt