Im jüngsten, dem XXIV. Hauptgutachten der Monopolkommission über „Wettbewerb 2022“ wird der Vorstoß von Wirtschaftsminister Robert Habeck zu einer Verschärfung des Wettbewerbsrechts „grundsätzlich positiv“, wenn auch nicht in allen Punkten zustimmend, bewertet. Der Minister hatte im Juni angekündigt, „wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“. Angesichts einer Spritpreisexplosion, die auch auf die Monopolstellung der Ölkonzerne zurückzuführen ist, sah sich Habeck genötigt, die im Koalitionsvertrag vereinbarten wettbewerbsrechtlichen Vorhaben zeitlich vorzuziehen und „möglichst schnell“ Vorschläge zu einem schärferen Kartellrecht vorzulegen. Firmenentflechtungen und ein „Aufbrechen der Marktstrukturen“ sollen unter gewissen Voraussetzungen als äußerstes Mittel (ultima ratio) auch dann möglich sein, wenn – anders als im geltenden Recht – keine missbräuchliche Ausnutzung der Marktmacht nachgewiesen werden kann. Die heute existierenden hohen Hürden für eine kartellrechtliche Gewinnabschöpfung (dem Unternehmen muss vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln nachgewiesen werden), die bislang noch nie genutzt worden sind (sic!), sollen gesenkt werden. Nicht mehr das Kartellamt müsste dann ein solches Handeln nachweisen, sondern im Sinne einer „Beweislastumkehr“ sollen die betroffenen Unternehmen das Gegenteil begründen müssen. Und schließlich soll die Untersuchung einzelner Wirtschaftszweige mit dem Ziel verbessert werden, daraus unmittelbar kartellrechtliche Maßnahmen abzuleiten.
Es liegt zwar noch kein Entwurf der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vor, aber wichtige Unternehmerverbände, allen voran der Bundesverband der deutschen Industrie, laufen bereits jetzt Sturm gegen die Absicht der Bundesregierung. Deren Forderungen und die Stellungnahme der Monopolkommission zeigen jedoch, dass dringender Handlungsbedarf existiert; nicht wenige Kommentatoren sprechen bezüglich des geltenden GWB sogar von einem „zahnlosen“ Gesetz, hat es doch die wachsende Macht der Großkonzerne nicht verhindern können. Welcher Handlungsbedarf existiert, zeigt nicht erst die aktuelle Gewinnexplosion der Ölkonzerne um (nicht etwa auf) durchschnittlich 127 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Schon vor zehn Jahren regte die Monopolkommission aus gegebenem Anlass eine kartellrechtliche Untersuchung der Raffineriesektors an, blitzte mit dem Vorschlag bei der damaligen Regierung aber ab. Dabei ist die Ölwirtschaft nur ein besonders auffälliger Bereich, das Problem ist aus vielen Sektoren bekannt. Ein Grund für die zu geringe Durchschlagskraft des Kartellrechts sind die vielen Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher, die es bietet. So ermöglicht es der sogenannte „Effizienzeinwand“ den Konzernen immer wieder, regulierende Eingriffe abzuwehren. Mit der in Aussicht genommenen Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen im Effizienzbegriff wird diese Lücke womöglich sogar noch verbreitert. Die Monopolkommission lässt zudem durchblicken, dass die Ausstattung des Amtes mit circa 400 Beschäftigten zu gering ist, um eine ausreichende analytische Tiefe und Breite zu entwickeln und gerichtsfeste Daten zu liefern. Gegenüber den zehntausenden Anwälten und Beratern, die für die Wirtschaft tätig sind, ist es hoffnungslos unterbesetzt, ein Tatbestand, der auch bei der Finanzaufsicht (siehe Wirecard-Skandal) oder der Steuerfahndung längst festgestellt wurde.
Die Konzentration und Zentralisation der Wirtschaft ist bei allem Auf und Ab und aller branchenmäßigen Differenzierung insgesamt weit vorangeschritten. Die Analysen der Monopolkommission zeigen keineswegs deren wirkliches Ausmaß. So wird im Gutachten zwar festgestellt, die gesamtwirtschaftliche Konzentrations- und Marktmachtentwicklung sei in Deutschland konstant, aber abgesehen vom bereits hohen Niveau der Konzentration wird die Gesamtentwicklung, vor allem, wenn internationale Verflechtungen in die Betrachtung einbezogen werden, insgesamt unterzeichnet. Der Anteil der 100 größten Unternehmen an der Wertschöpfung in Deutschland ist seit über vierzig Jahren zwar fast kontinuierlich von fast 20 auf gegenwärtig 14 Prozent gesunken und auch die personelle und Kapitalverflechtung zwischen ihnen ist rückläufig, aber die binnenwirtschaftliche Marktabgrenzung und die Begrenzung auf hundert Unternehmen verzerren das Bild. So kann dem Bericht auch entnommen werden, dass der Inlandsanteil an der Wertschöpfung sowohl bei den Großunternehmen als auch bei den 100 Größten inzwischen nur noch bei etwa 14 Prozent liegt. Wie aussagekräftig kann eine Analyse sein, die sich eine solche Begrenzung auferlegt? In der Industrie ist der Konzentrationsgrad deutlich höher als im Durchschnitt, hier liegt der Wertschöpfungsanteil der 50 Größten bei etwa 30 Prozent. Im Handel sowie im Verkehrs- und Dienstleistungssektor konzentrieren sich bei den 10 umsatzstärksten Unternehmen jeweils um die elf Prozent des Umsatzes; im Kreditgewerbe verfügen die zehn größten Unternehmen zusammen über fast 45 Prozent der gesamten Bilanzsumme. Die Monopolkommission sieht jedoch bei der Konzentrationsbewegung insgesamt „keinen besorgniserregenden Trend“, verweist aber immerhin auf eine zunehmende Unternehmenskonzentration in hoch konzentrierten Dienstleistungsbranchen, auf immer höhere Preisaufschläge (markups) von Großunternehmen – sie signalisieren eine zunehmende Marktmacht – und den hohen „indirekten“ Verflechtungsgrad von Unternehmen über Beteiligungen institutioneller Anteilseigner.
Es mag Geschmacksache und vom interessengeleiteten Blickwinkel abhängig sein, ob diese Trends als „besorgniserregend“ oder als „unkritisch“ bezeichnet werden, aber was die wirtschaftliche Macht anbelangt, sollte es zu denken geben, dass knapp dreißigtausend Großunternehmen, also weit weniger als ein Prozent aller 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland, immerhin 70 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Umsatzes realisieren; vor zwanzig Jahren lag dieser Wert noch unter 60 Prozent. Nicht wenige dieser Unternehmen sind „too big to fail“ und haben die Möglichkeit eines „opting out“, verfügen also über ein beträchtliches ökonomisches und politisches Erpressungspotenzial sowohl gegenüber seinen Zulieferern und Abnehmern als auch gegenüber seinen Beschäftigten und dem Staat. Die binnenwirtschaftliche Analyse beschränkt zudem den Blick. Die Globalisierung der Wirtschaft und die neuen Internet-basierten Technologien im Cyberspace haben einen gewaltigen Machtzuwachs bei den internationalen Internet-Konzernen zur Folge. Trotz aller Bemühungen, diesen Markt zu regulieren, haben nicht nur die nationalen, sondern auch die internationalen Wettbewerbshüter hier bislang weitgehend versagt. Bezeichnend dafür ist die Forderung einer erneuten Verschärfung des Kartellrechts, obwohl die jüngste Novellierung des GWB, das „GWB-Digitalisierungsgesetz“ erst vor einem reichlichen Jahr in Kraft getreten ist. Die damalige Bundesregierung lobte sich, damit angemessen auf aktuelle Marktentwicklungen und Problemlagen reagiert zu haben. Der Kartellrechtsexperte Rupprecht Podszun schrieb in seinem Gutachten damals, die großen Internetkonzerne „sind – zumindest in der westlichen Welt – die zentralen Akteure der Internetwirtschaft. Doch eine ‚Internetwirtschaft‘ gibt es nicht mehr, alle Wertschöpfungsprozesse der Wirtschaft sind oder werden digitalisiert und vernetzt. Dadurch ändern sich die Infrastruktur der Ökonomie und ihre Parameter. Im Wettbewerb setzen sich zunehmend diejenigen durch, die Netzwerkeffekte durch den Betrieb einer Plattform generieren. Datensammlung und -verwertung sowie die Nutzung von Algorithmen (und zunehmend auch künstlicher Intelligenz) verändern die Wirtschaft. Netzwerkeffekte und Datenmacht wirken häufig spiralartig und führen dazu, dass nur ein zentraler Operateur überbleibt („the winner takes it all“). Immer stärker werden auf dieser Basis Zugänge zu Märkten verengt und Verbraucher in digitale Ökosysteme, sogenannte „walled gardens“ („ummauerte Gärten“, aus denen man nicht mehr entkommen kann, J.L.), gelockt. Viele Transaktionen laufen inzwischen über Plattformen, häufig unter Kontrolle der GAFAs (Google, Apple, Facebook, Amazon, J.L.). Dadurch konzentriert sich wirtschaftliche Macht auf wenige Akteure.“ Diesen Tatbeständen wird mit dem geltenden Kartellrecht keineswegs angemessen begegnet und eine Vielzahl wettbewerbsverzerrender Praktiken werden durch das Wettbewerbsrecht (es umfasst neben dem GWB auch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb) von vornherein nicht erfasst. Überhaupt müssten die „Segnungen“ des kapitalistischen Marktwettbewerbs stärker hinterfragt werden. Das Kartellamt beruft sich explizit auf Adam Smiths 250 Jahre alte „unsichtbare Hand“ und das Leitbild eines funktionierenden Wettbewerbs. Damit ist kein „freier“ oder „vollständiger“ Wettbewerb gemeint, aber im Zweifel setzt man wohl doch eher auf die „Freiheit des Wettbewerbs“ oder „wirtschaftliche Freiheit“ als auf eine Marktregulierung im Interesse der Bevölkerungsmehrheiten. Freiheitsrechte sind unter den heutigen Bedingungen sowieso ungleich verteilt; der Wettbewerb ist also von vornerein unfair und von Ungleichheit geprägt.
Immerhin hat sich die Monopolkommission auch der Analyse indirekter, sogenannter Horizontalverflechtungen über institutionelle Anleger, die nationale Grenzen überschreitet, zugewendet. So ist beispielsweise BlackRock, der weltweit größte Anleger, an vielen, eigentlich konkurrierenden Unternehmen beteiligt und greift in deren Firmenstrategie ein; Marktmanipulationen sind dabei fast unvermeidlich. Werden nur die deutschen Märkte betrachtet, so liegen Horizontalverflechtungen nur in weniger als 20 Prozent der Wirtschaftsgruppen vor. Wird eine EU-Abgrenzung gewählt, liegt dieser Wert bei 80 Prozent. Zurecht sieht die Monopolkommission hier ein „schwerwiegendes wettbewerbliches Problempotenzial“. Konsequenzen hat diese Feststellung nicht. Das gilt zum Beispiel auch für die vielzitierte, einige Jahre zurückliegende Untersuchung Züricher Forscher, wonach 147 internationale Finanzkonzerne über ihre Beteiligungen und diverse damit verbundene Instrumente auf etwa vierzig Prozent der Weltwirtschaft entscheidenden Einfluss ausüben. Auch in Deutschland ist das ökonomische Gewicht der Finanzkonzerne übermächtig. Mit einem Eigenkapital von vier Billionen Euro verfügen sie über Aktiva in Höhe von 16 Billionen und greifen mit diesem Potential in höchstem Maße aktiv in das Konkurrenzgeschehen ein. Der „Realsektor“ verfügt nur über wenig mehr als der Hälfte dieses Bruttovermögens. Der Begriff einer „Oligarchie der Finanzkonzerne“ ist angesichts dieser Verhältnisse nicht zu weit hergeholt. (siehe mein Beitrag im Blättchen 5/2020)
Ob die wettbewerbsverzerrende Machtkonzentration einiger weniger Hundert Konzerne auf den Märkten und in der Gesellschaft insgesamt durch eine GWB-Novelle begrenzt und kontrolliert werden kann, ist bei all seinen Grenzen und Lücken also mehr als fraglich. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Ampelregierung halten weiter an; einer erweiterten Möglichkeit zur Gewinnabschöpfung beispielsweise steht die FDP – wie auch die Monopolkommission – eher ablehnend gegenüber. Bis es zu einer Gesetzesnovelle kommt, werden noch viele Kräfte darauf Einfluss zu nehmen suchen. Als Robert Habeck seine Pläne verkündet hatte, erzählte der FDP-Politiker und zeitweilige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle einer Zeitung über einen ähnlichen, nicht erfolgreichen Vorstoß im Jahr 2009: „Die Fraktion stand hinter mir, auch wenn das heute Einzelne anders darstellen mögen. Der Widerstand kam vor allem aus den großen Wirtschaftsverbänden. Hauptgegner war der BDI, der Bundesverband der deutschen Industrie. Was das bedeutet, war mir klar, ich war kein politischer Anfänger. Wenn der BDI dagegen war, war auch das Kanzleramt dagegen und weite Teile der CDU. Mich hat das nicht gestört. So ist es halt, eine chemisch reine Demokratie gibt es nicht“, und, so möchte man hinzufügen, Demokratie in der Wirtschaft schon gar nicht.
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