25. Jahrgang | Nummer 13 | 20. Juni 2022

Der gefesselte Amor

von Renate Hoffmann

Bedeutet es Glück oder Unglück, wenn der flatterhafte, verspielte Wildfang, der Götter und Menschen in erotische Nöte stürzt, in Banden liegt? Glück – wohl nur für die scheinbar keusche Diana, die neben anderen Machtbereichen auch Göttin der Jagd ist und sich weitaus lieber mit ihren Gespielinnen, den Nymphen, in Wald und Flur tummelt. Unglück – für den Fortbestand der Menschheit. Ein heiterer, köstlicher, mythologischer Spaß, den Guiseppe Scarlatti (1718–1777) in eine Miniaturoper verwandelte.

Der theatralische Genuss aus gefälliger Musik, stimmlichem Wohlklang, Tanz und Pantomime fand in einer arkadischen Umgebung statt. Das klassizistische Liebhabertheater, ein Kleinod im idyllischen Park von Schloss Kochberg im Thüringischen, ist der Ort, wo sich Kunst, Historie und Natur vereinen und geeignet, das Beste aus Musik, Literatur und Theater aufzunehmen. So auch Scarlattis Ein-Stunden-Oper „Der gefangene Amor oder die Liebe in Fesseln“ (Amor prigioniero), vorgetragen in historischer Aufführungspraxis und den Regeln des Theaters der Goethezeit nachempfunden. Eine Koproduktion des Liebhabertheaters Schloss Kochberg mit dem Ensemble I Porporini.

Zur Erweckung arkadischer Gefühle erklingt eine Ouvertüre von Georg Christoph Wagenseil (1718–1777). Dann beginnt das Spiel. Man lehnt sich zurück, vergisst die Gegenwart und lauscht, eingesponnen in Dianens Jagdrevier (angedeutet in einfacher Kulisse). Amor, der blonde Schelm, in Weiß gekleidet, Pfeile und Bogen zur Hand, hockt übermüdet im Gebüsch – hatte er sich mit Psyche überworfen? – gähnt und entschlummert. Er bemerkt nicht, dass Diana und ihre beiden Begleiterinnen nahen. Aber sie bemerken ihn – den Wehrlosen. Die energische Göttin, erzürnt über Amors Umtriebe, die unter ihrer Nymphenschar Verwirrung stiften, bindet ihn flugs an Händen und Füßen und beraubt ihn seiner Waffen: Pfeile und Bogen. Sie macht ihn wehrlos.

Die Nymphen Irene und Silvia, ihrer Herrin treu ergeben, doch einer Liebelei gegenüber toleranter gesinnt, umschweben, in flatternde Gewänder gehüllt, leichtfüßig und tänzerisch die Szene. Wort- und tonlos. Nur Gestik und Mimik verraten ihre Gefühle.

Amors Erwachen gleicht einem Unglück größeren Ausmaßes. Er fleht, bettelt, greint, schmollt, schmeichelt, äugelt verschmitzt. Umsonst. Die Göttin bleibt unerbittlich. Doch nach ihrem Weggang gelingt es dem Verführer die beiden Nymphen zu umgarnen. Sie erlösen ihn. Und nun hat er seinen großen Auftritt. – Die zurückkehrende Diana schilt zwar ihre Gespielinnen, muss sich aber Amors Brandrede anhören. Sie wird nachdenklich (weil selber in Liebe befangen), geht in sich und am Ende gar auf die Knie vor dem lockeren Spaßvogel. Sie bittet um Vergebung. Eine allgemeine Versöhnung bahnt sich an.

Ergo: Die Liebe verbindet, / sie zähmt böse Triebe. / Der Streit entschwindet. / Es lebe die Liebe!

Die Sopranistin Anne Martha Schuitemaker sang die Partie der Diana in reiner, klanglicher Schönheit. Gerrit Berenike Heiter und Laila Cathleen Neuman gaben dem Stück durch Tanz und Pantomime unbeschwerte Leichtheit. Und Amor? Die Einmaligkeit der Situation wollte es, dass die Sängerin Frieda Jolande Barck wegen einer Unpässlichkeit nicht bei Stimme war, aber trotzdem die Rolle schauspielerisch übernahm und mit Bravour meisterte. Stimmlich glänzend gedoubelt von Marine Madelin, so dass man mitunter nicht wusste, von welcher der beiden die Singstimme des Liebesgottes ertönte. Regie führte Nils Niemann, die musikalische Leitung übernahm Gerd Amelung und für die Produktion zeichneten Silke Gablenz-Kolakovic und Gerd Amelung verantwortlich.

Eine beschwingte, gelungene Aufführung und vom Publikum mit viel Beifall bedacht.