25. Jahrgang | Nummer 13 | 20. Juni 2022

Chinas Null-Covid-Strategie

von Gundula Henkel

Als vor gut zwei Jahren im chinesischen Wuhan bekannt wurde, dass das neue SARS-Virus sich auch von Mensch zu Mensch überträgt, schickte die chinesische Führung Millionen von Menschen kurzerhand in die Isolation. Eine riesige Maschinerie der Infektionskontrolle und -prävention lief an. Das führte dazu, dass die chinesische Bevölkerung – anders als hierzulande – nach wenigen Wochen wieder ein einigermaßen normales Leben in Wuhan aufnehmen und die Verluste aufgrund der kurzfristigen und strikten Eindämmungsmaßnahmen zunächst zügig kompensiert werden konnten.

Seither setzt die chinesische Führung auf eine konsequente Null-Covid-Strategie und geht auch nach zwei Jahren nicht von ihr ab. Im Gegenteil, die Null-Covid-Politik wurde auf das gesamte Land ausgeweitet. Sobald eine Infektion bekannt wird, werden zum Teil ganze Wohngebiete abgeriegelt, tausende von Einwohnern zum Testen geladen, Produktionen und Verkehrsadern stillgelegt. Die neuen Technologien machen es möglich, dass vielfältige Apps entwickelt wurden, um das Infektionsgeschehen im Land nicht nur effektiv zu kontrollieren, sondern auch präventiv Infektionsausbrüche zu verhindern. Auf diese Weise können die meisten Chinesen ohne größere Einschränkungen und ständige Lockdowns im Inland leben.

Allerdings hat sich das Land in den letzten zwei Jahren weitestgehend von der Außenwelt abgeschirmt. Einreisen aus dem Ausland werden streng kontrolliert und stark limitiert. Wer dennoch nach China einreisen will, muss sich den mehrwöchigen Quarantäneregeln unterziehen, das gilt für ausländische wie chinesische Bürger.

Sicher, die Welt bekommt diese strikten Maßnahmen auch zu spüren. Lieferketten sind unterbrochen, Zulieferungen fallen weg. China ist mittlerweile ein wichtiger Player im globalen Handel. Gut 60 Prozent der Zwischenprodukte kommen inzwischen zum großen Teil aus China. Und je weiter die Pandemie fortschreitet, umso stärker werden die Unternehmen unter Druck gesetzt, weil sie sie immer öfter und immer schneller auf die Eindämmungsmaßnahmen der chinesischen Führung reagieren müssen.

Hierzulande setzt die Politik auf ein Arrangement mit dem „Virus“ und hofft, mit Impfungen, Tests und Medikamenten und so weiter aus der Pandemie herauszukommen. Eine konsequente Pandemiebekämpfung wie in China wird abgelehnt und zunehmend auch verurteilt. „Null Covid“, so heißt es vielfach, sei nicht durchzuhalten.

Auch Chinas Führung ist sich durchaus bewusst, dass strikte Eindämmungsmaßnahmen immer wieder das Wirtschaften im Lande behindern, Produkte nicht ausgeliefert werden können, notwendige Importe nicht ankommen. Und doch hält sie die sozialen und wirtschaftlichen Kosten dieser Politik offenbar immer noch für hinnehmbar. Sie weiß sehr genau, eine ungehinderte Verbreitung des Virus und ein landesweiter unkontrollierter Seuchenausbruch führten unweigerlich zum Zusammenbruch der gesamten chinesischen Gesellschaft.

Das liegt unter anderem an Chinas Gesundheitssystem. Es kennt keine medizinischen Zentren und das bewährte Hausarztsystem, wie wir beides in Deutschland gewohnt sind. Ein Arzt muss im Land durchschnittlich mehr als 6000 Menschen versorgen, international liegt der Wert bei 1500 bis 2000. Jeder Schnupfen, jede kleine Schnittwunde wird im Krankenhaus behandelt. Nicht selten stellen sich die Kranken mitten in der Nacht an, um am frühen Morgen eine Nummer zu ziehen, die ihnen dann nach Zahlung der zu erwartenden Kosten einen Termin beim Facharzt ermöglicht. Auch den Allgemeinmediziner, wie wir ihn kennen, gibt es nicht im medizinischen Alltag Chinas. Hinzukommt, dass die traditionelle konfuzianische Gesellschaftslehre den körperlich Tätigen weniger schätzt, somit vor allem Ärzte ausgebildet werden und die Krankenhäuser kaum über medizinisches Pflegepersonal verfügen. Die chinesische Führung weiß ob der Fragilität der medizinischen Versorgung im Land. Für die meisten Chinesen gilt ohnehin, alles dafür zu tun, nicht krank zu werden und ein Krankenhaus aufsuchen zu müssen. Und das nicht allein wegen der knappen Kapazitäten, sondern auch wegen der hohen Kosten, die jeder Arztbesuch mit sich bringt.

Insofern weiß sich die chinesische Führung auch mit dem Großteil der Bevölkerung in ihren Bemühungen eins. Den erwähnten Kontrollverlust über das Virus und die damit verbundene Destabilisierung der Gesellschaft wollen beide Seiten unter allen Umständen verhindern. Und nicht allein, weil die Führung dann die Legimitation für die politische Macht im Land verlieren kann, sondern auch deshalb, weil viele Menschen im Land noch sehr wache Erinnerungen an die Zeiten haben, wo das das Land in Armut und Chaos versank, Produktionen brachlagen und kaum das Notwendigste zu Kaufen gab.

Die Autorin ist Sinologin und lebt in Magdeburg.