von Jörn Schütrumpf
Fragt der Talmudschüler den Rabbi, was Chuzpe sei. Den Bart sich streichend, antwortet der: Chuzpe ist, wenn jemand Mutter und Vater erschlägt und vor seinem Richter mildernde Umstände erbittet, weil er Vollwaise ist.
Nach diesem bewährten Rezept verfährt die CDU seit den Tagen, als Ludwig Erhard, ihr angebliches Nicht-Mitglied, Wirtschaftsminister sowie später offizielles Mitglied und Bundeskanzler, begann, »Gastarbeiter« ins Land zu holen: Er benötigte den Pöbel fremder Zunge – aber nur als Arbeitsvieh fürs »Wirtschaftswunder«, nicht als Bürger. Schließlich sei die Bundesrepublik kein Einwanderungsland. Menschen hätten wir selber genug, nur nicht Arbeitskräfte.
Adolf Hitler und die Seinen sowie die Eliten in Wirtschaft und Militär, die sich – ohne Adolf Hitler, aber mit vielen der Seinen – wenn auch nur mit Mühen und dank diskreter Beihilfe bei der Strafverfolgungsvereitelung durch die US-amerikanische Besatzungsmacht hatten in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft retten können, hinterließen den Deutschen 1945 nicht nur den Massenmord an Juden, Slawen sowie Sinti und Roma und einen verlorenen Krieg. Sie bescherten ihnen auch eine ethnisch »gereinigte« Bevölkerung, worüber nach Kriegsende von den wenigsten Deutschen Wehklagen zu vernehmen waren.
Die Nationalsozialisten waren ab 1930 jedoch vor allem wegen ihrer sozialen Gleichheitsversprechen und ihrer Anti-Versailles-Politik gewählt worden – und weniger, weil sie versprochen hatten, den deutschen »Volkskörper« von »fremdrassigem Blut« zu reinigen. Was das sein sollte, konnte sich ohnehin kaum jemand richtig vorstellen.
Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht von 1913 gab allen, die in einem Staat geboren waren, der zum Deutschen Reich gehörte, die deutsche Staatsbürgerschaft – bedingungslos! Weder verlangte man von den Polen, die in der Provinz Posen, aber auch im Ruhrgebiet, Berlin und sonstwo im Reich lebten, daß sie Deutsch beherrschten – auch nicht von den Lausitzer Sorben und den Kaschuben in Westpreußen, den Bewohnern von Deutsch-Ostafrika, von Kamerun und Deutsch-Südwestafrika, geschweige denn von den Dänen in Schleswig und den Friesen auf den Inseln, nicht einmal von den so verhaßten Franzosen in Elsaß und Lothringen. Selbst der Gedanke, den Menschen mosaischen Glaubens, auch wenn sie nur jiddisch sprachen, Steine in den Weg zu legen, drang 1913 nicht mehr durch – Antisemitismus galt seit der Dreyfus-Affäre als ein französisches Problem. Auf den Ämtern erschienen deutsche Staatsbürger notfalls mit Dolmetscher. Die bürgerlichen Ehrenrechte verlor, wer gegen die deutschen Gesetze verstieß, und nicht, wer die deutsche Sprache nicht beherrschte. Heute werden Gesetz und Sprache oft verwechselt.
Die genannten und noch viele weitere Völkerschaften – zugegeben: mit einem nur geringem Anteil an Afrikanern – hatten sich seit viertausend Jahren zur deutschen Bevölkerung »vermischt«. Siehe Jürgen Jessel: Blut und Boden, in: Blättchen, 17/1998. Demnächst noch einmal im Blättchen!
1935 wurden den Menschen jüdischer Herkunft (egal welcher Zunge) die Staatsbürgerschaftsrechte mit den Nürnberger Gesetzen genommen. In deren Umfeld erfanden die Nazis den deutschen Staatsbürger neu – samt, damals noch nicht fälschungssicherem, Personalausweis; vorher gab es so etwas gar nicht – und machten den Staatsbürger zu einem Wesen deutscher Sprache. Der Geist dieser Gesetze – minus »Judengesetzgebung« – prägt bis heute nachhaltig das Einbürgerungsverfahren. Wobei an die Kleinigkeit erinnert sei, daß im Grundgesetz der Bundesrepublik ursprünglich ein Asylrecht verankert war (auch wenn Adenauers Staatssekretär Globke hieß und einst die Nürnberger Gesetze kommentiert hatte) und wir heute näher bei den Nürnberger Gesetzen stehen als 1949. Auch das ein Erfolg, den sich die CDU gutschreiben kann, obwohl sie ihn nur mit Hilfe der SPD erringen konnte. Die pflegt allerdings seit 1914 auf ihre Lumpereien nur heimlich stolz zu sein und nicht auch noch mit ihnen zu pranzen beziehungsweise aus ihnen politisches Kapital ziehen zu wollen.
Trotz vernichtender militärischer Niederlage haben die Nationalsozialisten eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht: eine nicht nur sprachlich »entmischte« deutsche Staatsbürger-Bevölkerung, weitgehend »entjudet«, nicht minder befreit von den erkennbaren slawischen »Elementen«, entlastet von »unnützen Essern« – gemeint waren die in der T4-Aktion ermordeten Behinderten – und im Bestand der Linken und Homosexuellen zumindest spürbar reduziert. Nur daß die Nationalsozialisten die Früchte dieses Sieges heimlich und nicht mit Liszt untermalter Eilsondermeldung auskosten konnten – still beklatscht von denen, die geholfen hatten, die jüdischen Nachbarn und die europäischen Nachbarvölker auszuplündern.
Mit der »Umzeichnung« der Bevölkerungskarten in Osteuropa vollendeten Stalin und Churchill ab 1944 lediglich ein Werk, das Hitler 1939 gemeinsam mit Stalin begonnen hatte. Vertriebene und Daheimgebliebene rückten zusammen und zeugten jahrzehntelang unter sich.
Westdeutschland fast »judenfrei«, mit nur wenigen Linken (viele hatten den Rat: Geh doch rüber in den Osten, nicht erst abgewartet, waren dort aber in die nächste Diktatur gestolpert, die sie oft, zumindest am Anfang, für gerecht und berechtigt gehalten hatten) – dieser von den Nazis erzielte »Fortschritt«, diese Fiktion einer einsprachigen und auch sonst, allerdings nicht sozial, homogenen Bevölkerung, wird seit Jahrzehnten von der CDU beinhart verteidigt, natürlich unter strikter Beachtung der Gesetze. Wir leben doch schließlich in einem Rechtsstaat!
Deutschland war bis 1935 ein Schmelztigel verschiedener Kulturen und Sprachen, der ständig ungewöhnliche und kreative Menschen hervorsprudelte. Heute gilt Angela Merkel schon als bemerkenswert – und die Inzucht als zu verteidigender Normalzustand. Diese Seuche sitzt tief.
Seit 1982 haben sich alle Bundesregierungen erkennbar bemüht, die deutschsprachige Jugend, natürlich ordentlich sozial gestaffelt, verkommen zu lassen, so sehr, daß es jetzt selbst der Wirtschaft zu viel wird. Noch erfolgreicher waren sie bei der »Reinhaltung des deutschen Volkskörpers« – Gerüchte, daß für solche Verdienste der Führer in der Schweiz Ritterkreuze aus Diamanten hinterlegt habe, sind bisher aber unbestätigt.
Generation um Generation wird Zuwanderern mit einem Geflecht subtiler Regelungen der wirtschaftliche Erfolg, also das erhoffte bessere Leben, unmöglich gemacht. Jetzt schlagen die Nachgeborenen zurück – zunächst noch unorganisiert. Das ist aber erst der Anfang. Wir werden alle einen hohen Preis zu bezahlen haben für unsere Duldung dieses Staatsrassismus. Denn Ausländerfeindlichkeit ist keine Meinung, sondern die Aufforderung zu Verbrechen – an beide Seiten.
Schlagwörter: Jörn Schütrumpf