25. Jahrgang | Nummer 5 | 28. Februar 2022

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „König Lear“ – Renaissance Theater / „Der Diener zweier Herren“ – Berliner Ensemble.

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Renaissance: Weg vom argen Weg der Erkenntnis 

Der Mensch als „armes, nacktes, zweizinkiges Tier“. Davon erzählt Shakespeare im „König Lear“ und jagt den alten, von Machtverlust und Verblendung gezeichneten Graubart durch alle denkbar irdischen Höhen und Tiefen, Natur- und Menschengewalten und schließlich auf den argen Weg der Erkenntnis. An dessen Ende kommt ihm denn auch die Erleuchtung, dass alles Streben auf Erden eitel sei und Narretei.

Man kann dieses schwarzschillernde Drama vom ewigen Jammer der menschlichen Kreatur wie ein seltsam fernes und gerade dadurch unheimlich nahes, uns arg betreffendes Märchenbuch ganz altmeisterlich aufblättern. Und das Gran Süße im Galligen, im Blöden Komisches, im blutspritzend Brutalen das Groteske, im rasenden Irrsinn Hellsichtiges und im tiefsten Aberwitz das alltäglich Absurde sichtbar machen und damit die unglaubliche Tragödie zur Komödie des Menschseins.

Diesmal geht Regisseur Guntbert Warns, der neue Chef des Renaissancetheaters (einst Protagonist des längst vergangenen Schiller-Theaters), schon durch die Entscheidung für den sprachstarken Übersetzer und draufgängerischen Bearbeiter Thomas Melle (selbst ein erfolgreicher Dramatiker), einen ganz anderen Weg.

Da schillern, funkeln und blitzen nämlich keine menschlichen Ambivalenzen, leuchten keine subtil psychologischen Feinzeichnungen, da krachen vielmehr Groteske und Farce zusammen und entwerfen geradezu lehrstückhaft ein Polit-Kabarett über den Versuch eines gesellschaftlichen Systemwechsels: Goneril (Katrin Striebeck) und Reagan (Jaqueline Macaulay). die beiden emanzenhaft rasenden Schwestern, wollen zusammen mit Edmund, dem Underdog (Matthias Mosbach), das Machtsystem Lear sprengen (Felix von Manteufel als fetter Tattergreis im Nachthemd). Die drei faseln viel von Systemveränderung, entfachen begeistert ein zünftiges Hauen und Stechen, wobei schnell klar wird: Hier wechselt kein System, hier passiert keine Revolution durch Frauenpower. Hier tobt ein bluttriefender, kabarettistisch aufgeschäumter Comic mit depperten Männern und zwei wilden Weibern. – Das Publikum, angestachelt vom satirischen Gewitzel und saftigen Klamauk lacht sich scheckig. Und die Tragödie zugleich in den Orkus.

Von dort gibt dann Thomas Melle den beiden Furien unglaubhaft das unglaubliche Schlusswort: „Auch wir finden’s traurig, auch wir leiden mit./ Doch kein Paradies ohne Höllenritt./ Bald sind es solche wie wir, die entscheiden./ Vielleicht lässt sich dann das Schlimmste vermeiden.“

Von Traurigkeit und Leiden natürlich keine Spur. Was bleibt ist – immerhin im Sinne Shakespeares – die Warnung: Mit solchen Leuten wird jede Zukunft schlimm.

Übrigens: kürzlich gab es im Gorki-Theater eine „Lear“-Version, die mittels Frauenpower und Männerbashing den Klassiker queer aufmischt und mit Gendersternchen dekoriert: „Queen Lear“; Titelrolle: die große Corinna Harfouch. Sie aber konnte die zeitgeistgeile Chose aus futuristisch grell ballerndem Allotria im All mit dem Shakespeare-Raumschiff und düster existenzialistischem Endspiel an einer der Berliner Straßenbahnhaltestelle auch nicht wuppen. Darüber demnächst Näheres.

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BE: Now we have the salad 

Venedig 1746: Eine als Mann verkleidete Frau auf der Suche nach ihrem Liebsten; ein Diener, der in Verkennung der Lage sich bei beiden verdingt. Und das Verwechseln, Verstecken, Missverstehen nimmt seinen rasenden Verlauf in Richtung Absurdistan… So geht Carlo Goldonis krachender Commedia dell’arte-Klassiker – ein Jahrmarktsspektakel deftiger Rokoko-Typen; seit jeher ein Festspiel für sportive Komödianten (und Komödiantinnen) mit jeder Menge Lust auf Zucker für deren Affen.

Doch das darf nicht sein. Jetzt im BE läuft „Der Diener zweier Herren“ mit Regisseur und Neu-Autor Antú Romero Nunes unter weitestgehender Vermeidung von Goldoni ganz anders. Weil, so steht es im Programmheft, die verrückte Klamotte ein Stück über Heimat, Fremde, Zuwanderung sein soll. Und noch dazu ein bissiger Kommentar auf Geschlechterrollen. Kann man, ganz im Geist unserer Zeit, ja alles machen mit Goldoni, dem tollen Scherzkeks volkstümlicher Massenunterhaltung – wenn‘s denn wirklich klipp-klappt und zündet.

Aber was tut die Regie? Sie macht aus Italien einen wilden amerikanischen Südstaaten-Westen, wo auf „Quietlands“ eine mafios degenerierte Farmer-Gang haust, die ein breit gekautes Denglisch quatscht: „Now we have the salad“. Übersetzt via Übertitelungsanlage „Da haben wir den Salat“. Dieses Mackerdeppen-Team ist durchweg mit Frauen besetzt, die herausgeputzt mit Ekelmaske, Halbglatze, Dickbauch sowie Beinkleidern mit Hasenpfoten hinterm Hosenlatz breitbeinig und blöd an der Rampe herumrülpsen. Aha, die alten weißen selbstredend toxischen Kerle! Als lächerliche Macho-Kulisse für die mit ihren Geistesblitzen („I have a ghost-lightening“) alles überstrahlende, hinreißende Stefanie Reinsperger als Servant; bei Goldoni Truffaldino, der Diener.

Allein dieser Servant in Seppelhosen ist dicht bei Goldoni und natürlich meist kurz vorm Kollaps. Er verausgabt sich, zuweilen mit traurigem Augenaufschlag, tobt in wagehalsigsten Slapstickiaden sowie rhetorischen Schnellsprech-Orgien im gewitzten – und weil Stefanie eine Ösi ist – auch noch wienerisch eingefärbten äänglisch Kaugummi-Kauderwelsch. „Life is no sugar-licking“. Jaja, no Zuckerschlecken. Deshalb als Trösterle das Spielzeugschäfchen, das sie immerzu auf Rädchen hinter sich herschleppt.

Die quecksilbrige Reinsperger wuppt also allein das ganze dröge Western-Dingsbums mit den offensichtlich bloß fürs albern modische Männlichkeits-Bashing engagierten Macho-Pappkameraden. Mein Beileid für die unverschämt unterforderten Komödiantinnen Constanze Becker, Judith Engel, Lili Epply, Cynthia Micas.

Da soll man sich nun unentwegt lachend auf die Schenkel schlagen ohne zu kapieren, wie der Plot geht und was die ganze hässlich herumlungernde, unlustige Theaterei mit Colt-Gefuchtel und Cowboyhut-Posen eigentlich soll? Doch wir haben ja die Reinsperger! Wenigstens die als „Ghost-lightening“. Ansonsten: Kein Zuckerschlecken, hahaha.