25. Jahrgang | Nummer 3 | 31. Januar 2022

Nachschlagen …

von Renate Hoffmann

… im „Büchmann“, wenn man leichtfertig dahingesagt hatte: „Kein Mensch muss müssen“, oder gestern kam eine „Hiobsbotschaft“ ins Haus, oder kaum zu glauben, es geschehen noch „Zeichen und Wunder“, oder wenn jemanden der „Weltschmerz“ plagt. G. E. Lessing, die Bibel und Jean Paul. Erstaunen ohnegleichen.

Zitate, Redewendungen, Wortschöpfungen, historische Ereignisse, die im Sprachgebrauch ihre Aufnahme fanden, er trug sie akribisch zusammen: August Methusalem Georg Büchmann. 1822 in Berlin geboren, Studium der klassischen Philologie, Theologie, Archäologie und zum Dr. phil. promoviert. Lehrtätigkeit in Warschau, Paris, Brandenburg an der Havel und Berlin (Friedrich-Werdersche Gewerbeschule).

Georg Büchmann war ein Sprachgenie. Er beherrschte Latein, Griechisch, Hebräisch; darüber hinaus Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Dänisch, Schwedisch und Polnisch. Hinzu kam seine Neigung, in Wissen, Alltag und Lebenskunst vergangener Tage vorzudringen. Genauigkeit in der Aussage und Forschergeist taten das Ihrige.

Nun folgt eine schicksalhafte Begegnung: Der Sprachbegeisterte hält 1864 im Königlichen Schauspielhaus zu Berlin einen Vortrag. Thema: „Landläufige Citate“. Unter den Hörern befindet sich der Verleger Friedrich Weidling, derzeitiger Besitzer der Haude- und Spenerschen Verlagsbuchhandlung. Aufmerksam geworden und interessiert, bewegt er Büchmann, das Vorgetragene zu erweitern und zu überarbeiten. Im selben Jahr noch erscheint der kleinformatige Band von 220 Seiten und bestückt mit 750 Zitaten. Es ist die Geburtsstunde der „Geflügelten Worte“. Den Titel entlehnt der Verfasser bei Homer, in dessen „Ilias“ und „Odyssee“ der Begriff mehrfach nachweislich ist. – Ungeahnter Erfolg stellte sich ein. Allein bis 1868 erschienen jährlich Neuauflagen. In Büchmanns Todesjahr 1884 zählte man bereits die 14. Auflage.

Vor mir liegen drei „Büchmänner“. Der jüngste von ihnen ist mit seinen 650 Seiten und mehr als 4000 Einträgen weitaus umfangreicher als der Erstling. Er gilt als „Unveränderte Taschenbuchausgabe der 43. neubearbeiteten und aktualisierten Ausgabe durch Winfried Hofmann“ („Der Neue Büchmann“, erschienen bei Ullstein 2021). – Der älteste trägt das Erscheinungsjahr 1919, einen noblen roten Buchrücken und auf dem Buchdeckel das goldgeprägte Brustbild der Minerva mit der Umschrift des Horaz: „Sapere – aude“, „Wage es, weise zu sein“. (Wenn das nur so einfach wäre mit der Weisheit).

Im Aufbau gleichen sich die drei Exemplare. Redewendungen und Zitate aus der Bibel, von Schriftstellern verschiedener Länder, aus volkstümlicher Überlieferung und nach besonderen historischen Ereignissen folgen aufeinander. – In das neueste Werk wurden inzwischen auch moderne Begriffe aus Werbung, Wissenschaft und Technik, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind, aufgenommen.

In den „Geflügelten Worten“ zu blättern, ist wie das Lesen in einer spannenden Berichterstattung, prall gefüllt mit Überraschungen: Klarstellung ursprünglicher Sinngehalte, Aufdecken von Plagiaten, Aha-Erlebnisse von Seite zu Seite. Und jede Nennung ist mit einer gesicherten Quellenangabe versehen.

Alle drei „Büchmänner“ beginnen mit ein und demselben Wort und ein und derselben Erläuterung dazu: „Ein wüster, ungeordneter Zustand heißt für uns nach Genesis 1, 2 ‚Tohuwabohu‘ nach dem hebräischen Ausdruck für wüst und leer.“ Ich hätte es eher für den Dialekt eines noch unentdeckten Volkstammes weit hinten im Urwald gehalten, denn für ein Wort aus der Heiligen Schrift. – „Die drei Grazien“ entstammen nicht einem Schönheitswettbewerb, sondern tummeln sich als Göttinnen der Anmut in der griechischen Mythologie. – Und den „Kategorischen Imperativ“ erdachte Immanuel Kant. – „Die Welt will betrogen sein“, diese traurige Feststellung traf vorzeiten Sebastian Brant (1458–1521) in seinem 1494 erschienenen „Narrenschiff“ (eine arg pessimistische Haltung). – Die Weimarer Klassiker fehlen selbstverständlich nicht. „Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“; schreibt Friedrich Schiller in der „Jungfrau von Orleans“ (kein Gegenargument!) Und was Herrn Goethe betrifft, so ist die Tragödie des „Faust“ angefüllt mit Gedanken, die sich zu „Geflügelten Worten“ entwickelten. Allerdings gibt es auch Bedenkliches: Szene „Nacht“ – „Ach Gott! die Kunst ist lang, / Und kurz ist unser Leben“. Wenn Goethe den Ausspruch nach Seneca hier auch in umgekehrter Reihenfolge zitiert, so bleibt er dennoch nicht alleiniger Urheber des Gedankens. Man sollte „sich nicht mit fremden Federn schmücken“, Herr Geheimrat. (Nach einer Fabel von Aesop: „Die Dohle und die Vögel“.) – Galileo Galileis Widerruf „Und sie bewegt sich doch“ wird widerrufen, es soll eine spätere Erfindung sein (aber eine heroische!). – Informationen zum Ausspruch: „Potemkinsche Dörfer“ bauen und zur Aufforderung: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ werden gegeben. –

Überwältigt von dem Wissensschatz, hatte ich die Absicht, mit dem „Geflügelten Wort“: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ zu enden. Es wird zwar mit Sokrates und seinem Prozess in Verbindung gebracht, ist aber in diesem Wortlaut nicht gefallen. Deshalb wähle ich lieber die gesicherte Redewendung: „Errare humanum est.“