25. Jahrgang | Nummer 2 | 17. Januar 2022

„Die Neue Weltbühne“ in der Presse ihrer Zeit

von Andreas Gängel

Das Blättchen fühlt sich der Tradition der undogmatischen Linken der Weimarer Republik verpflichtet, insbesondere der Weltbühne von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Wie aber steht es um Die Neue Weltbühne? Die Deutsche Digitale Bibliothek hat mit dem Deutschen Zeitungsportal einen Zugang zu historischen Zeitungen freigeschaltet. Reizvoll, zu schauen, was einst über die Die Neue Weltbühne berichtet wurde.

Die Weltbühne war 1933 verboten worden, Herausgeber und Chefredakteur Ossietzky sowie ihre Mitarbeiter wurden verhaftet, alsbald wurde ihnen die Staatsangehörigkeit aberkannt. Auf das Verbot war man indes vorbereitet: Bereits im September 1932 war als Ableger des Blattes die Wiener Weltbühne erschienen. Nunmehr vereinigten sich die Wiener und die Prager Ausgabe unter dem Titel Die Neue Weltbühne (NWB). Willi Schlamm, der schon die Wiener Weltbühne geleitet hatte (und später als William S. Schlamm einen streng konservativen Kurs verfolgte), stand der Redaktion zunächst vor.

Die Nationalsozialisten reagierten schnell. Am 30. Mai 1933 meldete die deutsche Presse: „Auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.1933 wird die Verbreitung nachstehender Zeitungen im Inland bis auf weiteres verboten: … ‚Die Neue Weltbühne (Wochenschrift), Prag (Tschechoslowakei)‘“. Das Durlacher Tageblatt vom 16. August 1933 schrieb unter der Überschrift „Deutsche Hetzblätter im Ausland“: „Die berüchtigten Hefte der ‚Weltbühne‘ erscheinen, ihres führenden Kopfes Ossietzky beraubt, in Prag, Wien, Zürich als ‚Neue Weltbühne‘, sozialistisch wie die alte und verlogen und hetzerisch. Allerdings die ‚Großen‘ der ‚Weltbühne‘ fehlen. Kurt Tucholsky ist die Lust am Schreiben vergangen. An erster Stelle in diesen Heften erscheinen Aufsätze von Leo Trotzki.“

Die NWB war eine von mehreren Exilzeitungen und -zeitschriften, die sich politisch und vor allem in ihrer Haltung zur Sowjetunion keineswegs einig waren. Am 15. September 1933 schrieb Johanna Levy in der Kulturzeitschrift Das blaue Heft über „Die Blaetter der Emigration“: „Die im heutigen Deutschland erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften unterscheiden sich fast nur noch durch die sprachliche Qualität, […] mit welcher sie den vorgekochten Phrasenschwall der amtlichen Pressestelle aufgewärmt wiedergeben. Die im Ausland erscheinenden Blätter unterstehen weder einer Zensur noch einer im dritten Reich anscheinend im Geheimen bestehenden Stelle für Sprachvergewaltigung. Wie wird diese Freiheit ausgenutzt?“ Levy betrachtete elf Publikationen, die eigentlich ein gemeinsames Ziel hatten: „Kampf gegen den Faschismus, Kampf insbesondere gegen Hitler“. Schlaglichtartig gab sie wieder, wie sie sich dennoch gegenseitig bekämpften. „Der ‚Gegenangriff‘ greift die ,Neue Weltbühne‘ an, die ‚Neue Weltbühne‘ darauf den ‚Gegenangriff‘.“

In der Auseinandersetzung ging es um die Aufgaben Sowjetrusslands im Kampf gegen die Hitlerdiktatur, wie man auch der Deutschen Freiheit vom 31. August 1933 entnehmen kann, die meldete, dass zwischen zwei „Prager Linksblättern“ eine Polemik darüber entstanden sei.

Die (partei)politische Verortung der Publikationen gab immer wieder Anlass zum Meinungsstreit. So veröffentlichte die Deutsche Freiheit am 5. April 1934 „Eine Richtigstellung“: „Neue Weltbühne nicht kommunistisch!“ Darin heißt es: „Wie uns die ‚Neue Weltbühne‘ mitteilt, ist diese Information unrichtig. Die Chefredaktion gibt uns Auskünfte über die Ursachen des Ausscheidens Willi Schlamms, die rein politisch und redaktionstechnisch sind, auf die wir aber nicht näher eingehen wollen, und fährt fort: ‚Wir versichern Ihnen nun, dass weder Willi Münzenberg noch irgendeine andere Stelle der Dritten Internationale noch eine von ihr unmittelbar noch mittelbar abhängige Institution an der ‚Neuen Weltbühne‘ finanziell in irgendeiner Form beteiligt ist. Wir versichern Ihnen ferner, dass auch nicht die Absicht besteht, eine solche Beteiligung herbeizuführen, und dass darüber während des ganzen Bestehens der ‚Neuen Weltbühne‘ auch niemals verhandelt wurde. Wir fügen hinzu, dass im ganzen Betrieb der ‚Neuen Weltbühne‘ und selbstverständlich auch in der Redaktion kein Mitglied der Kommunistischen Partei vorhanden ist. Der unterzeichnete Chefredakteur ist politisch durchaus unabhängig […] Wir betonen, dass die ‚Neue Weltbühne“ genau wie die ‚Weltbühne“ zur Zeit des Erscheinens in Berlin frei von jeder politischen Bindung geführt wird, und dass wir nicht anstehen werden, Kritik an allen Parteien einschließlich der kommunistischen zu üben, wenn sich das nach unsrer Ansicht als notwendig herausstellt.“

Bereits am 27. März 1934 schrieb der Neue Vorwärts: „Sie werden begreifen, dass wir uns in die Angelegenheiten der ‚Neuen Weltbühne‘ nicht einmischen wollen. Die Mitteilung, dass außer Willy Schlamm nun auch Gregor Bienstock und Heinrich Fischer ausgeschieden sind, liegt auch uns vor. Mit einer Beurteilung der neugeschaffenen Situation möchten wir abwarten, bis sich die neue Leitung vorgestellt hat.“

Die neue Leitung der Zeitschrift übernahm der 33-jährige Hermann Budzislawski. Dafür geriet er laut Karlsruher Tagblatt vom 13. Juni 1935 auf die 4. Ausbürgerungsliste. Von den 38 Betroffenen heißt es: „Die Hälfte der Ausgebürgerten sind jüdische Emigranten, die draußen mit Schrift und Wort gegen Deutschland agitieren.“

Die Zeitschrift Europäische Hefte – Revue für Politik und Kultur, zu der Schlamm gewechselt war, konstatierte am 26. Juni 1935: „Und gar in der ‚Neuen Weltbühne‘ geht’s ja seit langem heiter zu – ein anerkennenswertes verlegerisches Entgelt für die schlechte Laune, die der benachbarte ‚Simpl‘ verbreitet, so was an europäischem ‚Linksruck‘ hätte selbst Svejk […] nicht für möglich gehalten.“

Mit den stalinistischen Schauprozessen in Moskau verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den Exilzeitungen und -zeitschriften. Am 1. März 1937 übte die Sozialistische Warte – Blätter für kritisch-aktiven Sozialismus scharfe Kritik an Budzislawski bezüglich seines Aufsatzes „Unsere Wahrheitssucher“ in der NWB. Den Hintergrund bildete der Streit um den ernüchternden Reisebericht „Retour de l’URSS“ (Zurück aus der UdSSR) von André Gide. Lion Feuchtwanger hatte in der Prawda die Schauprozesse verteidigt und Gide attackiert. Am 3. Dezember 1937 legte die Sozialistische Warte nach und erklärte, Budzislawski sei „vom grundsätzlichen Bejaher des Sozialismus zum besinnungslosen Anerkenner der Stalinschen Entartung des Sozialismus“ geworden. Er vermeide die leiseste grundsätzliche Kritik an der Sowjetunion.

Unter der Überschrift „Den Freunden der Sowjet-Union daemmerts!“ schrieb dieselbe Zeitschrift am 8. Juli 1938, zu denjenigen, „denen vielleicht bei dem geforderten Servilismus der KP-Presse etwas übel wurde, scheint auch die ‚Neue Weltbühne‘ zu gehören. Ihr Mitarbeiter Ernst Bloch hat sich einen der jüngsten Prozessberichte hervorgeholt und darin die Rede von Bucharin wert gefunden […] Bloch und die Weltbühne-Schreiber, die ja nach außen hin noch ‚Freunde der Sowjet-Union‘ darstellen können, und nicht als Parteiblatt-Mitarbeiter auftreten, was sie tatsächlich sind, auch wenn sie’s vielleicht selber nicht merken, haben sich überlegt, dass man auch ‚zu viel glauben‘ könne, nämlich den Prozessberichten.“

Im Juni 1938 wechselte die Redaktion der Neuen Weltbühne ins französische Sèvres, da die Zeitschrift in der Tschechoslowakei mehrfach wegen deutschlandkritischer Artikel konfisziert worden war. In Frankreich kam es schließlich zum Verbot. Die letzte Ausgabe erschien am 31. August 1939, Budzislawski wurde am 5. September ins Internierungslager eingeliefert. Am 19. September 1939 zitierte ihn Der Führer (Hauptorgan der NSDAP Baden) in einem Artikel zu „Britanniens Lügenkrieg“ mit den Worten: „Abschnüren müsste man die braune Eiterbeule, den neuen Militärstaat einkreisen, aushungern, verfemen, ächten!“