24. Jahrgang | Nummer 25 | 6. Dezember 2021

La Bohème aus dem Malsaal

von Joachim Lange

Im Staatstheater Meiningen inszeniert Markus Lüpertz gerade Puccinis „La Bohème“. Der Maler empfing Autor Joachim Lange im Malsaal des Theaters …

Der neue Meininger Intendant Jens Neundorff von Enzberg hat allein schon mit dieser Einladung einen Coup gelandet: Markus Lüpertz wird bei ihm nicht nur für die Ausstattung von Puccinis „La Bohème“ sorgen, sondern auch Regie führen. Maler seines Kalibers prägen eine Inszenierung; und zwar unabhängig davon, wer noch auf dem Besetzungszettel steht. In Erinnerung bleibt dann eben Jörg Immendorffs „Nase“ in Berlin, der „Parsifal“ von Georg Baselitz in München oder Neo Rauchs „Lohengrin“ in Bayreuth. Lüpertz wird nicht nur mit seiner Ästhetik als Maler und Bildhauer zu erleben sein. Er wird auch seine ganz eigenen Auffassungen zum Musiktheater einbringen, mit denen er zum Teil quer zum herrschenden Mainstream in Sachen Regie liegt. Eigentlich müsste man sagen steht. Denn bei ihm werden die Sänger betont deutlich an der Rampe stehen und von dort aus singen.

Da der Intendant den Besucher in den Malsaal führt, kann der miterleben, wie offen und konstruktiv gemeinsam nach einer Form gesucht wird, um die Texte zu platzieren, die Lüpertz eigens für diese Produktion geschrieben hat. Vom Malerfürsten und dem immer hochästhetisch inszenierten Gesamtkunstwerk Markus Lüpertz’ ist hier nichts zu sehen. Hier kann man einen lustvoll arbeitenden Künstler erleben, der nach Lösungen sucht und der sich über ein gerade fertiggestelltes, kleinformatiges Bild freut. Sein Alter erwähnt er selbst einmal verpackt in ansteckenden Humor. Und zwar bei der Antwort auf die Frage, was denn nun mit den Kirchenfenstern in Hannover wird, die Altkanzler Gerhard Schröder gestiftet hat und gegen deren Einbau der Urenkel des Architekten der Kirche schon über mehrere Instanzen klagt. Da meinte Lüpertz, er sei ja nun auch schon Achtzig und würde den Einbau schon gerne noch erleben … Verbittert klang das aber nicht, wie er überhaupt eine gut gelaunte, in sich ruhende Vitalität ausstrahlt.

Noch nicht entschieden ist, wie seine Texte in die Bohème eingebaut werden. Nach diesem Gespräch ist man aber sicher, dass sich eine passende Lösung finden wird. Und wenn der Meister sagt, dass er ja nicht stur, sondern überzeugbar ist, dann glaubt man ihm das.

Auch, dass er den Protagonisten nicht im Detail vorschreibt, wie sie ihrer Rolle rein schauspielerisch ausfüllen sollen. Er lässt da jedem Freiheiten, ja verlangt sie sogar. „Jeder hat seine eigene Art, einen anderen Menschen zu umarmen.“ Aber: „Jedes zweite Wort bei mir ist: nach vorne! Das sogenannte Regietheater hat ja die Sänger konsequent von der Rampe vertrieben. Die haben heutzutage regelrecht Hemmungen, von dort ins Publikum zu singen. Aber ich bin ein Belcanto-Verfechter. Bei mir können, ja müssen sie sogar an der Rampe in den Saal singen. Denn die Musik ist die Handlung.“ Sagt er und meint das so grundsätzlich wie es klingt.

Lüpertz macht keinen Hehl daraus, dass er von Moden wie der Verwendung von Videos auf der Bühne rein gar nichts hält. Die Frage, ob seine Text-Einfügungen da nicht inkonsequent seien, kommt ein klares Nein. „Nur wenn man sie hineinprojizieren würde. Wenn sie gesprochen werden, dann nicht. Damit habe ich kein Problem. Mir wäre es natürlich lieber, wenn sie von einer sichtbar auf der Bühne platzierten Person gesprochen und nicht nur aus dem Off eingespielt würden.“ Und dann kommt so ein typischer Lüpertz-Satz, der die Unterhaltung mit ihm zum Vergnügen macht: „Dann müsste eigentlich ich da sitzen und das machen. Das kann sich das Theater aber nicht leisten“ sagt er und lacht!

Die entscheidende Frage an den Maler ist aber, ob er auch als Regisseur in Bildern denkt, also eigentlich, ob er klingende Bilder inszeniert und welche Rolle dabei dann die singenden Menschen spielen. „Meine Interpretation oder besser Intention kommt aus der Musik. Es ist gerade das Fremde, das mich reizt. Ich will die Musik zum Klingen bringen. Puccini schreibt eine Oper in vier Bildern. Ich versuche das vor einem gedeckten Hintergrund umzusetzen. Die großen Prospekte stammen von mir. Dazu kommen die Kostüme, die auch alle von mir entworfen und bemalt werden. Alles zusammen formiert sich auf der Bühne zu einem Bild, wenn der Vorhang aufgeht. Bei mir gibt es natürlich beim Essen auch keine Würste, in die man reinbeissen kann. Auch die Tische und Stühle sind zweidimensional, perspektivisch überzeichnet. Für die Protagonisten ist das nicht einfach. Die dürfen die Kulisse nicht anfassen und können sich auch nicht auf einen Stuhl setzen. Der ist ja nur gemalt. Sie müssen den Stuhl eigentlich ignorieren und sich ihre Wege wie durch ein Labyrinth suchen. Dadurch kommt eine gewisse Burleske hinein. Ich bin ja mehr eine Wanderbühne. Da darf es ruhig klappern.“

Mit Lüpertz kommt man im Gespräch schnell vom Wege ab, was einfach daran liegt, dass er seine Berufskollegen kennt und als aktiver Operngänger einfach sehr viele, auch exemplarische Produktionen gesehen hat. … Auch zu der Zeit unmittelbar um die Wiedervereinigung hat er Persönliches beizusteuern, so sollte er als Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie auch Prorektor in Dresden werden, was dann nichts wurde …

In seinem klingenden Bohème-Bild wird es „auch einen Totenkopf geben, der wie der Mond schwebt und immer größer wird. Alles, damit die Ironie nicht zur kurz kommt! Ohne Ironie geht gar nichts. Ich will auf der Bühne eine künstliche Atmosphäre erzeugen. Und das Künstlichste ist der Humor. Heutzutage ist Lachen ja nicht mehr erlaubt. Den von mir sehr geschätzten Ministerpräsidenten Armin Laschet zum Beispiel hat das Lachen im Wahlkampf den Sieg gekostet. Bei dem ganzen Spießertum, das sich da meldet, wird mir schlecht. Im Moment gibt es geradezu einen Terror, wie man sich zu verhalten hat. Dieses ganze Betroffenheitsgetue steht mir bis hier …“, sagte Lüpertz und unterstreicht das mit einer eindeutigen Geste.

Grundsätzlich sieht der Maler die Oper als einen Hort der Kunst und nicht des Events. „Früher war eine Forderung an die Kunst, die Menschen besser zu machen. Was es heute gibt, ist vor allem Event. Heute haben wir eine Gesellschaft, die Unterhaltung, Event will. Und die Künstler gehen drauf ein und liefern Revue. Aber eines ist klar: Kultur ist kein Event!“ Lüpertz meint, dass man damit auch bei der Jugend in Sachen Oper nicht landen kann. „Man kriegt die Jungen nur mit den Geheimnissen der Kunst, und nicht dadurch, dass man ihnen einfach Recht gibt.“

Auf die unvermeidliche Frage, wie er denn das traditionsreiche Theater und Meiningen findet, meinte Lüpertz: „Ich habe keine Probleme mit kleineren Häusern. Den Begriff Provinz gibt es für mich nicht. Wo ich bin, da ist keine Provinz.“