Ein bedeutendes Künstlerleben hat sich vollendet. Noch ist es unfassbar – der Maler, Zeichner, Bildhauer und Objektkünstler Walter Libuda ist nach einer Herz-Operation 71-jährig am 6. Juli verstorben. 1950 im thüringischen Zechau-Leesen geboren, war er zunächst Theatermaler am Landestheater Altenburg, studierte 1973 bis 1979 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, war Meisterschüler bei Bernhard Heisig und lehrte dann selbst an der Hochschule. 1985 zog er nach Berlin und lebte seit 2004 zurückgezogen in Schildow im Mühlenbecker Land.
So karg seine biographischen Daten sind, so vielgestaltig und facettenreich erweist sich sein künstlerisches Werk, das durch die Beziehung von Innen und Außen, von Sichtbarem und Unsichtbarem, Wahrnehmung und Vorstellung, Objektivierbarem und Subjektivem bestimmt wird. Libudas Interesse zielte neben den kostbar strukturierten, die optischen Sinne ansprechenden malerischen Oberflächen immer auch auf das ideelle Wesen einer Erscheinung, ihren inneren Gehalt ab. Seine Arbeiten – Bilder, Skulpturen, Keramiken, Objekte, Reliefkästen, respektive mit Papierarbeiten gefüllte Objektkästen – sind Boten aus einem Zwischenreich, weder Traum noch Realität.
In seinen malerischen Körpern kreiste Walter Libuda seine Bildthemen ein, dabei ganz unterschiedliche Techniken, Materialien und Kunstgattungen wählend. „Hand an der Nase“, „Nicht vorn, nicht hinten“, „Kleiner Fischschlucker“, „Wie man sich sieht“, „Drei Tage-Viertel“ oder „Gelb-Kragen“, so einige Bildtitel. Doch die sind trügerisch, nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Es sind Vexierbilder, die alles verkehren, den Betrachter narren, unterschiedliche Bildinhalte wahrnehmen lassen, Suchbilder, die außer dem scheinbar erkennbaren Sujet, der Figur auch Anderes, nicht gleich Erkennbares enthalten. Schnappschüsse des Unmöglichen. Es ist das surrealistische Verfahren, wie man eine Bildvorstellung hervorruft durch unerwartete Assoziationen und anscheinend zufällige Zusammenstellungen, die sich dann als bewusst herausstellen. Ein Ding zu betrachten und ein anderes zu sehen. Oder ein Ding verändert durch sein Vorhandensein die Bedeutung eines anderen, Und so läuft durch Libudas Arbeiten eine Kette von sich summierenden Bedeutungen.
Wie bei einem Blick durch ein Vergrößerungsglas oder ein Mikroskop gesehen eröffnet sich dem Betrachter eine metaphernreiche Bildwelt, der Irrgärten freier Assoziation, kühner Konstrukte und Apparaturen, fremdartiger Geschöpfe, mit Bildfallen versehener Örtlichkeiten – eine eigenen Gesetzen folgende „Schöpfungsgeschichte“ von überquellendem Erfindungsreichtum.
Die reliefartige Oberfläche von Libudas Bildern entstand in einem steten Ringen mit der Farbmaterie, dem Farbbrei, Schicht wird neben Schicht gesetzt, neue Farbe darübergelegt, bearbeitet, gleichsam durchgeknetet. So schafft der Künstler die Voraussetzung für die Realisation des Bildes als malerischer Körper. Eingesetzt in die leuchtenden, juwelenartig funkelnden und wie magnetisch geordneten Ströme lassen sich dann auch Figurationen ausmachen, nicht zur Figur zusammengezogen, aber zugleich auch vor dem Verschwinden im Grund gerettet. Sie stehen bewegungslos im (Bild-)Raum, suggerieren aber eine oft aggressive Vehemenz des Handelns. Das Bild – eine Bühne, Poesie, Verwandlung, Verwechslung, Farce, Magie, Zauber, Zirkus, venezianischer Karneval, Puppenspiel, Tag- und Nachttraum, auch „Alice im Wunderland“, aber eher noch „Alice hinter den Spiegeln“. Denn dahinter steht ja die moderne Erfahrung von Abgründigkeit und Bodenlosigkeit, die sich in Libudas zwei- und dreidimensionalen Arbeiten so auswirkt, dass ihre Darstellungsmittel auseinandertreiben und sich nicht mehr zu einer sofort erkennbaren bildlichen Darstellung fügen wollen.
Libudas Kunstwerke drängen über die Bildfläche hinaus, verdichten sich zu Reliefs, wuchern als halb organische, halb geometrische Konstruktionen in den Raum aus, werden zu gebauten Architekturen, runden sich zu Figuren, Gestalten, Menschenbildern, führen als Fabelwesen ihr geheimnisvolles Eigenleben. Seine Skulpturen mögen überfüllt und impulsiv scheinen, aber das machen sie durch die Intensität des Gefühls wieder wett, aus dem sie eruptiv entstanden sind.
Bieten Libudas bemalte und verglaste Objektkästen Schutz vor bösen Geistern – wie seine ausgemalten Höhlen, die den Berg füllen –, helfen sie das Außen im Innen zu reflektieren? Seine Kästen sind eine Synthese aus der illusionistischen surrealistischen Malerei und der scheinbaren Festigkeit des surrealistischen Objekts. Er benutzte dazu den Theatereffekt: Die „vierte Wand“ jedes Kastens besteht aus Glas, so kann man wie auf einer Miniaturbühne alles sehen, was drinnen vor sich geht. Was Libuda hier aus Karton, Pappmaché und Papier in sorgfältiger Kleinarbeit zusammenbaute, gleicht einem Archiv, zu dem die Alltagswelt keinen Zutritt hat. Die Stücke sind vor dem zersetzenden Anhauch der Realität durch die Glasscheibe geschützt. Libudas Kunst ist hier sehr verinnerlicht, und seine Phantasien haben nirgendwo Bezug zum Leben, weder dem vergangenen noch dem gegenwärtigen. Die Vielfalt der Papier- und Kartongebilde schien unerschöpflich, obwohl Libuda nur Dinge in sein „Erinnerungstheater“ aufnahm, die einen gewissen Stil hatten.
Wenn die Arbeit für Zufallseffekte, unvorhergesehene Kombinationen und unbeabsichtigte Metaphern offenbleibt, wenn sie sich selbst erst im Verlauf des Herstellungsprozesses „entdeckt“, nicht aber bewusst geplant und durchgeführt wird, dann kann das Unbewusste in ihr wirken. Das Unterbewusste – ein Instrument, mit dem man neue Formen erfinden kann.
Seine Objektkästen sind voller Leben, aber es ist kein Leben, das morphologisch einen Sinn ergibt: Sie werfen einen Blick auf die Innenseite der Körper, nicht auf ihre Außenseite. Libuda hat sie als „Welträume“ bezeichnet. Es sind verschachtelte, geheimnisvolle, unüberschaubare Welten, mechanische Getriebe, Papier in künstlerischer Verwandlung, sie sind statisch und dynamisch, geschlossen und offen zugleich. Der reiche Formenschatz – losgelöst von konkreten Inhalten – lässt Gestaltungen zahlloser Variation zu, nichts wiederholt sich, nichts gleicht dem anderen. Die Vielzahl der Formen, die miteinander korrespondieren, eröffnet Freiräume für die unterschiedlichsten Assoziationen. Eine konstruktive Durchdringung kann zu einem sinnhaften Deuten der Gegenstände führen.
Die ganze Tragödie und Komödie des Menschenlebens, Gefährdungen, Lockungen, Täuschungen, Verletzungen und Entblößungen, ohnmächtiges Auflehnen und Selbstzerstören, der Kampf um Selbstbehauptung, ums Dasein auch gegen sich selbst, der notwendige wie erfundene – ein Formwerden aus Farbe, eine verdichtete Ahnung. Wenn die Farbe sich wie ein waberndes Gespinst verdichtet zu einem Körper, soll die Malerei einen festen Körper erhalten. Gegen die Gefährlichkeit der Auflösung der Malerei als Erinnerung setzt Libuda die schwere Körperlichkeit der malerischen Mittel, die Wolkenbrüche der Farbe und die Pinselschläge. Aber die Strukturen bleiben immer offen.
Sein Werk wird weiter mit uns leben – Walter Libuda wird unvergessen bleiben.
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