24. Jahrgang | Nummer 14 | 5. Juli 2021

Ein Kloster und seine Gäste 

von Renate Hoffmann

Vor den Toren der Stadt Heidelberg, neckaraufwärts, rechtsufrig und umgeben vom lieblichen Flusstal. In der Hanglage zwischen Streuobstwiesen angesiedelt, uralt – aber lebendig. Die Benediktinerabtei Stift Neuburg. Man glaubt, ein Motiv von Caspar David Friedrich vor Augen zu haben, wäre da nicht der rege Verkehr unten auf den Uferstraßen. – Das Kloster mit der wechselvollen Vergangenheit, die von tiefer Gläubigkeit nach den Regeln des heiligen Benedikt von Nursia bis zu weltlichen Zwischenspielen, von Blütezeiten, Niedergängen und Wiedererstehen bestimmt wurde.

Die Gründung von Neuburg ging von der Reichsabtei Lorsch aus. Dort stiftete ein „frommer und begüterter Anshelm die Zelle zu Niwenburg; er ließ da eine Kirche bauen und sie zu Ehren des heiligen Apostels Bartholomäus weihen […]“. 1130 trafen die ersten Mönche in Neuburg ein. Dieses Jahr wird als bekundeter und besiegelter Ursprung der Abtei angesehen. Im Fortgang geschieht der Wandel in ein Benediktinerinnenkloster. Und späterhin der Wechsel zum Reformorden der Zisterzienser. Dann kehren die Nonnen zum Regulativ des heiligen Benedikt zurück. Die Reformation hält Einzug in Neuburg. Das Kloster wird aufgelöst. Es dient neun Jahre lang als „Fürst-Gräff-und Adeliches Fräulein und Jungffern Stift“, in dem eine „Gesellschaft von tugendhaften Frauenzimmern“ ihre Tage verbringen sollte. Aus dieser Zeit verblieb die Bezeichnung „Stift“ Neuburg. – Die Jesuiten nahmen das Kloster in Besitz. Mit dem Verbot ihres Ordens begann der Übergang der Abtei und ihrer Liegenschaften in private Hände.

In rascher Folge geschehen Kauf und Wiederverkauf. Im Jahr 1804 übernimmt der Regierungskommissar Ludwig Hout das Stift. Aus dem ehemals geistlichen wird ein geistiges Leben. Hout führt ein offenes Haus. Carl Maria von Weber ist zeitweilig sein Gast. Er findet in der Stiftsbibliothek das soeben erschienene und von August Apel und Fiedrich Laun herausgegebene „Gespensterbuch“. Und darin die Geschichte vom „Freischütz“. Webers gleichnamige Oper hatte ihr Motiv gefunden. – Nach mehrmaliger Weitergabe erwarb der Kaiserliche Rat Johann Friedrich Heinrich Schlosser (auch Fritz gerufen) aus Frankfurt die Abtei für 56.000 Gulden als Sommersitz. Sie verbleibt bis 1925 in der Familie. Im Jahr darauf kauft die Erzabtei Beuron die Benediktinerabtei Stift Neuburg zurück. Der Kreis ist geschlossen.

Von Ludwig Hout begonnen und von „Fritz“ Schlosser im großen Stile fortgeführt, wandelt sich das vormalige Kloster zum Musentempel. – Der angesehene Jurist und Inhaber hoher Ämter in seiner Vaterstadt, der Sammler, Mäzen, Schriftsteller, Übersetzer und Privatgelehrte wählte Neuburg auch als einen Begegnungsort für Künstler, Gelehrte, Kirchenleute und Staatsdiener. Die Zauberworte hießen Aufgeschlossenheit und Toleranz. Hinzu kam Neuburgs idyllische Umgebung, eingebunden in den Zeitgeist der Spätromantik.

Schlosser über das Stift: „[…] durch den Reiz seiner Lage und seiner äußeren Verhältnisse nicht minder als durch seine innere Beschaffenheit“, […] bot es „in einem seltenen Grade jene Annehmlichkeiten, die von einem zu Lust und Genuß bestimmten Landsitze gefordert werden können.“

Die Gästelisten waren gefüllt und die Gesprächsrunden der bunten Gesellschaft lebhaft und weitgreifend. Zu kürzeren und längeren Besuchen fanden sich, neben anderen, ein: Justinus Kerner, der Dichterarzt aus Weinsberg, Clemens Brentano und Ludwig Tieck; die Maler Johann Friedrich Overbeck und Philipp Veit (Schlosser hatte sie und den Kreis der Nazarener auf einer Italienreise kennengelernt); Kardinäle und Bischöfe; Heinrich Friedrich Carl vom und zum Stein, bedeutender preußischer Staatsmann. Und Jahr für Jahr Frau Rat Marianne von Willemer, von Goethe zu seiner Suleika erhoben. Auch des Herrn Geheimrats Enkelsöhne Walther Wolfgang und Wolfgang Maximilian sah Neuburg als Gäste.

Die Verbindung Schlosser / Goethe entstammte den frühen Frankfurter Tagen. Die Brüder Hieronymus Peter Schlosser (der Vater von Fritz), ein geschätzter Jurist, ebenso wie sein jüngerer Bruder Johann Georg, gehörten zu Goethes Freunden. Johann Georg heiratete in erster Ehe Goethes Schwester Cornelia. Zu Hieronymus Peter bestand ein bewährtes Vertrauensverhältnis. 

Friedrich ließ die Stiftsgebäude großzügig umbauen, schuf Raum für die wertvolle Bibliothek von mehr als 30.000 Bänden und für seine umfangreiche Kunstsammlung. Wohnbereich und Gästeunterkünfte sorgten für eine wohlbefindliche Atmosphäre. –

Bereits vom Vater aufbewahrt und übernommen, erweiterte der Stiftsherr die Goetheschen Schauobjekte durch Autographen, Bilder, Schriften, Erinnerungsstücke. Auf diese Weise entstand in Neuburg eine der ersten Goethe-Gedenkstätten. 

Friedrich Schlossers Ehebund mit Sophia Charlotte du Fay blieb kinderlos. Nach dem Ableben des Paares, erbten Marie du Fay, eine Verwandte, und ihr Ehemann Franz von Bernus das Anwesen. Unter dem letzten Eigentümer des gastfreien Hauses, Alexander Oskar von Bernus, wiederholte sich das Bestreben, Treffpunkt bekannter Vertreter des geistig-kulturellen Lebens zu sein. Unter anderem hielten Einkehr und Austausch die Schriftsteller und Dichter Stefan George, Richard Dehmel, Karl Wolfskehl und der Maler Wilhelm Trübner; der Lyriker Rainer Maria Rilke und Klaus Mann. Letzterer war mit Stift Neuburg auf Ausflügen nach Heidelberg bekannt geworden und äußerte den dringenden Wunsch, (nach Abbruch seiner Odenwaldschulzeit) an diesem Ort eine gewisse Zeit zu verbringen. Thomas Mann gewährte dem Sohn die Bitte. 

In „Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht“ schildert Klaus Mann ausführlich den Aufenthalt im Stift und seinen Bewohnern. Einen tiefen Eindruck hinterließ auch bei ihm die Poesie der Landschaft: „Das Panorama […] war in der Tat von einzigartiger Lieblichkeit. Zwischen den alten Linden und Apfelbäumen des Stiftsgartens öffnete sich der Blick zum Neckar, der im goldenen Licht des späten Nachmittags wie in heiterer Verklärung dahinfloß. Auf dem gegenüberliegenden Ufer standen die sanften Hügelketten freundlich beglänzt vor einem sehr klaren Himmel. In der Ferne trat die Silhouette des Heidelberger Schloßes zart und ehrwürdig aus silbrigem Dunst hervor.“

Als ich den Weg zur Benediktinerabtei Stift Neuburg hinauf ging, ebenfalls als Gast für „eine gewisse Zeit“, bewegte mich der Anblick auf ähnliche Art.