„Lebst also im Osten“, sagte der Mann, und ich bestätigte das, obwohl mein Bleiben dort noch gar nicht feststand. „Na, dann sieh mal zu, dass du wieder dorthin kommst – zu den Russen.“
Walter Kaufmann,
„Heimkehr 1955“
Es war eine Filmproduktionsfirma aus Berlin-Kreuzberg, die bekanntgab, dass Walter Kaufmann am 15. April gestorben ist. Nach einem Jahrhundertleben, das auf verschlungenen Wegen verlief, die ihn zu dem einzigartigen Zeitzeugen machten, der er war. Mit Film und Fernsehen hatte er nur beiläufig zu tun. Nur einmal entstand 1978 beim Fernsehen der DDR ein Fernsehspiel nach seiner Vorlage: „Der Fall Brian O’Hara“. Dafür verdingte er sich gelegentlich als Nebenrollendarsteller bei der DEFA (unter anderem „Die gefrorenen Blitze“, 1968) und beim Moskauer Gorki-Studio („Das Schicksal des Residenten“, 1970). Zerschlagen hatte sich Wolfgang Staudtes Plan, Kaufmanns ersten Roman „Kreuzwege“ zu verfilmen. Denn Schriftsteller, das war seine Hauptprofession. Der erste Roman erschien 1953 in Melbourne. Auch wenn Kaufmann ab 1956 in der DDR ein deutscher Schriftsteller werden wollte, schrieb er noch lange auf Englisch. Sein lakonischer Stil war geprägt durch die anglo-amerikanische Short Story – ähnlich wie bei Stefan Heym, der im amerikanischen Exil das ernsthafte Schreiben begann. Heyms Frau Gertrude Gelbin leitete in Ostberlin den englischsprachigen Verlag Seven Seas, wo Kaufmanns Geschichten bis 1972 erschienen, ehe sie ins Deutsche übertragen wurden.
Was er schrieb, zeigte seine Lebenserfahrung, die er seit jüngsten Jahren gewann. Als Jizchak Schmeidler kam er als unehelicher Sohn einer polnischen Jüdin 1924 in Berlin zur Welt. Sein Glück war, dass er mit drei Jahren vom Duisburger Ehepaar Kaufmann adoptiert wurde und im Ruhrgebiet behütet aufwuchs. Auch Kaufmanns waren Juden. Sie schafften es, dass Walter, wie er nun hieß, an seinem 15. Geburtstag im Januar 1939 mit einem der letzten Kindertransporte nach England entkommen konnte. Sally und Johanna Kaufmann wurden im KZ Auschwitz ermordet.
Auch für Walter war es nicht einfach. Nach Kriegsausbruch galt er als feindlicher Ausländer und wurde nach Australien deportiert, wo er ein Jahr in einem Internierungslager zubrachte. Immerhin erhielt er dort eine gewisse Schulbildung. Später arbeitete er als Obstpflücker, Transport- und Hafenarbeiter, Fotograf und fuhr zur See. Seine Erfahrungen ließen ihn zum Linken werden. Als er 1953 und 1955 seine Heimatstadt Duisburg besuchte, schlug ihm Ablehnung entgegen, unausgesprochen als Jude und deutlich ausgesprochen als Linker. Er zog in die DDR nach Kleinmachnow, behielt aber die australische Staatsbürgerschaft und konnte reisen, um darüber unter anderem im Magazin, der Weltbühne und in der Illustrierten Freie Welt zu berichten. Er heiratete die erfolgreiche Schauspielerin Angela Brunner, mit der er zwei Töchter bekam. (Die jüngere, Deborah Kaufmann, ist ebenfalls eine bekannte Schauspielerin geworden.)
Zu Kaufmanns umfangreichem Werk zählen neben Romanen, Kurzgeschichten und Reiseberichten auch Kinder- und Jugendbücher, und in der DDR war er viele Jahre lang Generalsekretär des PEN-Zentrums. Hier und im Schriftstellerverband setzte er sich immer wieder für eine liberale Kulturpolitik ein, wusste aber auch, wie weit er gehen konnte. Es war nicht immer leicht.
In der DDR erschienen seine Bücher bei verschiedenen Verlagen, und auch ab 1991 wechselte er oft. Insofern änderte sich nichts für seine Arbeit. Ein besonders schönes Buch war 2013 „Entführung in Manhattan – Das verschwundene Hotel“, das die 2011 verstorbene Angela Brunner (ursprünglich Malerin) illustriert hatte. Es erschien in der kleinen Pinnower edition digital, in der weitere Werke von Kaufmann greifbar sind.
Bis in die letzten Wochen hatte er unermüdlich geschrieben, etwa für Ossietzky, junge Welt und neues deutschland. Als Zeitzeuge können wir ihm bald in Karin Kapers Film „Hart am Wind – Welch ein Leben!“, der dem Jahrhundertzeugen gewidmet ist, noch einmal wiederbegegnen.
Schlagwörter: F.-B. Habel, Walter Kaufmann