24. Jahrgang | Nummer 8 | 12. April 2021

Villen am Starnberger See

von Mathias Iven

Alles begann im Jahre 1825. Da wurde am Ostufer des Starnberger Sees, im heutigen Leoni, die erste moderne Villa gebaut. Dieses Haus hatte allerdings nichts von den elitären Privatrefugien der späteren Jahre. Es war ein Gasthaus, ein Ausflugslokal, das quasi über Nacht zu einem Treffpunkt der Münchner Kunstszene werden sollte. Wohl kaum jemand dachte zu diesem Zeitpunkt ernsthaft daran, sich hier dauerhaft anzusiedeln. Als drei Jahrzehnte später die Eisenbahnlinie von München nach Starnberg eröffnet wurde, sah das schon anders aus. Der Würmsee, wie er damals noch hieß, war näher an die Großstadt herangerückt – warum sollte man sich da nicht ein Wochenendhaus oder einen Sommersitz bauen?

Die noch heute vorhandenen, zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg rund um den See entstandenen Villen und Landhäuser stehen beispielhaft für das breite Spektrum architekturhistorischer Strömungen im damaligen Deutschland. Ließ man sich anfangs vom Klassizismus inspirieren, so schaute man nur wenig später zurück auf die Romantik, auf das einfache Landleben. Die oberbayerischen Bauernhäuser oder auch die sogenannten Schweizerhäuser wurden zur Inspirationsquelle der Architekten. In Italien hatte man die toskanischen Landhäuser kennengelernt. Als Variation dazu entwickelte sich der sogenannte Maximilianstil. In der Prinzregentenzeit herrschte der Historismus mit seinen an mittelalterliche Burgen erinnernden Bauten vor. Und schließlich brachten Jugendstil, Reformarchitektur und Neue Sachlichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige kühne, noch heute überraschend modern wirkende architektonische Entwürfe hervor.

Schon vor Jahren hat sich Katja Sebald auf den Weg gemacht, um all das Vorhandene zu dokumentieren. Aufgewachsen in Feldafing, am Rande der Villenkolonie am Höhenberg, entwickelte sie schon früh ein Interesse für die bayerische Kulturgeschichte. Das jetzt vorliegende Ergebnis ihrer Recherchen ist, wie sie selbst sagt, „kein Fachbuch zur Villenarchitektur des 19. und 20. Jahrhunderts“. Vielmehr wurde sie von „der – vielleicht journalistischen – Neugier“ getrieben, „hinter Hecken und Fassaden zu blicken, die Türen der wunderschönen alten Häuser zu öffnen und zu erfahren, was ihren Bewohnern widerfahren ist“.

Schauen wir uns ein paar der 44 von Sebald besprochenen Objekte etwas näher an. Beginnen wir in Feldafing, am nordwestlichen Ufer des Sees. Dort befindet sich die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Kommerzienrat Sigmund Bergmann errichtete Parkvilla. Mit dem Entwurf beauftragte der Generaldirektor der 1891 gegründeten und nach ihm benannten Berliner Bergmann-Elektricitäts-Werke AG den Architekten Eugen Drollinger, der unter Ludwig II. als Hofoberbaurat unter anderem für den Innenausbau von Schloss Neuschwanstein verantwortlich war. Berühmt-berüchtigt wurde das heute in Eigentumswohnungen aufgeteilte Haus während der Zeit der NS-Diktatur. Seit 1934 war dort die „Nationalsozialistische Deutsche Oberschule Starnberger See“ untergebracht, die 1938 in „Reichsschule der NSDAP Feldafing“ umbenannt und durch mehrere Bauten ergänzt wurde. Erst am 23. April 1945 wurde der Schulbetrieb eingestellt, eine Woche später richtete die US-amerikanische Militärverwaltung auf dem Gelände ein Lager für „Displaced Persons“ ein.

Nur wenige Schritte entfernt steht die um 1903 gebaute Villa Columbia. Bauherr war Joseph Pschorr, Spross der Münchner Bierbrauerdynastie. Bereits 1897 hatte er die damals 19-jährige Louise Bergmann, die Tochter seines späteren Nachbarn, geheiratet. Auch für dieses Haus hatte Eugen Drollinger die Entwürfe geliefert.

Zwischen 1910 und 1912 entstand in der Feldafinger Höhenbergstraße die Villa Carl. Im Auftrag des Chemikers Hans Carl, Chef des wichtigsten, noch heute in Nürnberg ansässigen Fachverlages für die Brauwirtschaft, entwarf Richard Riemerschmid das zweigeschossige Gebäude. Riemerschmid, der mitverantwortlich für die Gesamtplanung der zeitgleich entstehenden Gartenstadt Dresden-Hellerau war, gestaltete auch den Außenbereich der Villa, der einen Teil des aus den 1860er Jahren stammenden Lenné-Parks einschloss.

Knapp zwanzig Kilometer südlich von Feldafing liegt Bernried. Hier kaufte der in Landshut geborene und durch seine militärhistorischen Bücher bekanntgewordene Karl Tanera 1893 das ehemalige Raffl-Anwesen. Tanera war der erste „Zuagroaste“, der sich in Bernried niederließ. Da er viel auf Reisen war, stand das Haus zumeist leer. So kam man auf die Idee, Zimmer zu vermieten, und es entstand die erste Ferienpension. Vor allem Künstler zog es in den Ort. Zum illustren Kreis derer, die immer wieder kamen, gehörten der Schriftsteller Max Halbe, der Maler Lovis Corinth oder auch der Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer.

In der Gemeinde Seeshaupt zieht zwar das schlossartige Landhaus „Seeseiten“ weitaus mehr Blicke auf sich, dennoch sollte man auch einen Abstecher zur Villa Ebers einplanen. Darf doch dieses Haus, wie die Autorin betont, zu Recht „als Ort der Literaturgeschichte – und übrigens auch der Kunstgeschichte – gelten“. Im Jahre 1909 hatte der Maler und Schriftsteller Hermann Ebers das fünf Jahrzehnte zuvor errichtete Anwesen erworben und zu einer großbürgerlichen Villa umbauen lassen. Zu den ersten Gästen gehörten Thomas und Katia Mann, mit deren Brüdern Peter und Heinz Pringsheim Ebers zur Schule gegangen war. Mit den 16 von ihm geschaffenen Lithografien zur biblischen Josephs-Geschichte, die Thomas Mann erstmals im Mai 1922 sah, wurde Ebers zum „Anreger der Josephsromane“.

Zu den Schriftstellern, die sich am See ansiedelten, gehörte auch Waldemar Bonsels, Schöpfer der Biene Maja. In dem am Ostufer gelegenen, zur Gemeinde Münsing gehörenden Ambach fand er nach dem Ersten Weltkrieg ein passendes Haus: die 1888 errichtete Villa Benczúr. Gebaut wurde sie für den ungarischen Porträt- und Historienmaler Gyula Benczúr, entworfen hatte sie dessen Bruder, der Architekt Béla Benczúr. Mehr als drei Jahrzehnte lebte und arbeitete Bonsels in Ambach. Er starb im Juli 1952, die Urne wurde im Garten seines heute der „Waldemar-Bonsels-Stiftung“ gehörenden Hauses beigesetzt.

Beenden wir die kleine Rundreise in Starnberg, am nördlichsten Punkt des Sees, und wenden wir uns hier der Villa des „Malerfürsten“ Franz von Lenbach zu. Kurz vor seinem Tod – sein Stern war bereits am Verblassen – begannen in der Prinz-Karl-Straße im Stadtteil Söcking die Bauarbeiten. Mit der Planung hatte Lenbach Gabriel von Seidl beauftragt, der schon die heute als Museum bekannte Münchner Stadtvilla des Malers entworfen hatte. Blickt man auf das opulente Haus, kann man mit der Autorin fragen, „ob Lenbach an einen Fluchtort außerhalb der Stadt dachte oder ob er mit diesem überaus repräsentativen Landsitz noch einmal eindrucksvoll demonstrieren wollte, wer er war?“ Die Fertigstellung hat er jedenfalls nicht mehr erlebt. Lenbach starb am 6. Mai 1904.

Der großformatige, reich bebilderte und mit zahlreichen historischen Fotografien ausgestattete Band ist eine Einladung. Eine Einladung, abseits der ausgetretenen Touristenpfade auf Spurensuche zu gehen. Und nicht nur das. Hören wir noch einmal die Autorin: „Dieses Buch ist, wenn man so will, eine dicke Klatschzeitschrift, deren 44 ,Homestorys‘ sich zu einer Kulturgeschichte fügen.“

Katja Sebald: Sehnsucht Starnberger See. Villen und ihre berühmten Bewohner im Porträt. Allitera Verlag, München 2021, 196 Seiten, 29,90 Euro.