14. Jahrgang | Nummer 13 | 27. Juni 2011

Kabinettstück: Stefan Kaminskis „On Air“

von Reinhard Wengierek

Das Format gibt es seit 2004. Stefan Kaminski, damals fest engagiert am Deutschen Theater Berlin, erfand es einst für sich aus Lust und Laune als „Live-Hör-Spiel“. Und präsentierte es – auch aus Jux und weil man „was Kreatives“ suchte für das neue Studio namens Box – unter dem griffigen Etikett „Kaminski on Air“ der Intendanz. Die fing sofort Feuer. Das Publikum auch. Seither ist es Kult.
Dabei ist uns dieser extrem wandlungsfähige und dabei hoch präzise Schauspieler noch immer fest ins Hirn gebrannt mit seinem sagenhaften Elfriede-Jelinek-Solo „Ein Sportstück“. Doch „On Air“ offenbarte: Dieses tolle Theaterblut verfügt auch über besonders packende, weil dramatisch grundierte Entertainer-Qualitäten. Und über eine selten derart ausgeprägte Fähigkeit zum Virtuosentum. Denn „Live-Hör-Spiel“ meint: Die Produktion ist das Schauspiel. Und Kaminski, auch das eine Seltenheit, ist ein feinnerviger Meister des so genannten Stimmenmorphing.
Man agiert im Sitzen, bei sich die Geräuschemach-Gerätschaften. Das schaut aus, als wurde ein Sperrmüllcontainer ausgekippt: Kisten, Hölzer, Bleche, Steine, Erden, Wassertöpfe. Dazu ein Dschungel aus Ton- und Lichttechnik. Und neben sich ein paar Musiker an teils exotischen Instrumenten. Und dann imaginiert dieser genialisch angehauchte Kindskopf mit akrobatischer Flinkheit im Hand-, Bein- und Stimmbetrieb alle nur denkbaren Welten und Figuren,. populäre Stücke wie Richard Wagners kurz gefassten „Ring“ (ein Sensationserfolg, mit dem man durch halb Deutschland tourt) oder beliebte Filmklassiker („King Kong“, „Der weiße Hai“, „Liebesgrüße aus dem Engadin“). Aber alles mit höchstem Respekt vor den Autoren, doch eben geistreich eingedampft zur Ein-Mann-Show.
Da ist alles geballt. Da explodiert Kraft, vibriert die Luft. Da ist es grell, zwielichtig, rabenschwarz. Da überwältigt ein komplexer Sinn für Komik, Tragik, Trash. Für menschlich Höchstes, Tiefstes, Banalstes. Ein begnadeter Perfektionist in diesem Kondition wie Konzentration extrem fordernden Fach intensiven Monologisierens, in dem schauspielerische Könnerschaft einhergeht mit der eher selten beherrschten Kunst des Extemporierens, des charmant Spontanen.
Dabei ist klar: Dieser Kerl hat offensichtlich das Zeug zum starken Charakterspieler. Nach Abschluss der Berliner Schauspiel-Hochschule „Ernst Busch“ vor zehn Jahren von ersten Häusern angebotene Festengagements verschmähte er trotz seines Senkrecht-Starts am DT alsbald zugunsten frei schaffenden Künstlerdaseins. Dabei hören wir in Gedanken, wie Schiller, Shakespeare oder Kleist ihm begeistert, hoffentlich am Ende nicht vergebens zurufen: Kaminski, mach mir endlich den Homburg, den Hamlet, den Romeo, Ferdinand, Karlos!
Stattdessen überrumpelt der Ur-Ostberliner seine unentwegt anwachsende Fangemeinde mit verrückten Fantastereien, die alle DT-Intendantenwechsel überlebten und ein beständiger Glanzpunkt sind im Programm der Kammerspiele: „Es kam von oben“ heißt ganz lapidar sein neues nostalgisches Science-Fiction-Hörspiel, basierend auf einem Mix entsprechender Stoffe aus den 1950er Jahren, gespickt mit delikaten Verweisen auf diverse populäre Phänomene der Kulturgeschichte. Kaminski nennt das Schwarz-Weiß-Hör-Spiel; und der Schwarz-Weiß-Effekt, den man an alten Filmen liebt, wird denn auch tatsächlich frappierend und trickreich ins Akustische übertragen.
Die krimihafte Story, durch die auch ein Liebesgeschichtchen hüpft, geht so: In Sandberg Zitty notlanden friedliche Außerirdische; anverwandeln sich heimlich den Einheimischen, werden entdeckt und sollen prompt aus Angst der Bürger vor dem Unbekannten bekämpft werden. In letzter Minute retten sie sich zurück ins Raumschiff, düsen ab nach Hause.
Diese politisch anspielungsreiche, düster poetische 80-Minuten-Show funkelt nur so vor hellem Witz, Sarkasmus, Sentiment; dazwischen wird gelegentlich ironisch mit dem pädagogischen Zeigefinger gewackelt (Integration, Fremdenhass). Ein feinsinniger Jux also in faszinierender Perfektion – gemeinsam mit Sebastian Hilken (Perkussion und Störfrequenzen) sowie Stefan Brandenburg als Macher der „Humanoiden Jukebox“ – was das wohl ist, wird nicht verraten. Überraschung!