22. Jahrgang | Nummer 20 | 30. September 2019

Antworten

Dietmar Bartsch, Die Linke, Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion – Ihre Partei dümpelt in der Wählergunst seit längerem still vor sich hin. Und zwar rückläufig. Bei der jüngsten Europa-Wahl reichte es gerade noch für magere 5,5 Prozent. Auch bei den jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen – herbe Verluste. Da würde Stagnation wohl schon als Fortschritt empfunden.
Das führt zu der Frage, ob Sie, der Sie alle Namensänderungen, Krisen und bisherigen Chefs Ihrer Partei überlebt haben, vielleicht Teil des Problems sind? In der Berliner Zeitung wurden Sie unlängst jedenfalls folgendermaßen charakterisiert: „Ohnehin ist er längst Teil des Establishments. Bartsch duzt sich mit dem halben Kabinett von Angela Merkel, ist mit Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU befreundet und kommt mit FDP-Chef Christian Lindner gut klar. Wenn Bartsch, ein Fan von Borussia Dortmund, über dessen ihm bekannten Geschäftsführer Hans Joachim Watzke, einen CDU-Mann, spricht. dann sagt er ‚Aki‘. Schwer vorstellbar, dass Bartsch an den Sozialismus glaubt.“
Wenn nur die Hälfte davon zutrifft, dürfte es selbst mit einem scharfen Dementi für Ihre Partei kaum wieder aufwärts gehen!

Christian Schlüter, beschäftigt sich ausgiebig mit Tieren und Menschen – behaupten jedenfalls die Netzredakteure der Berliner Zeitung, bei der Sie im „Team Gesellschaft“ tätig sind. Ach, würden Sie doch dabei bleiben! Wir mögen die kleinen Glossen der „Tierkastenredaktion“. Aber dieser Tage durften Sie mal wieder was richtig Großes schreiben. Auch noch über was richtig Großes, den Flughafen der chinesischen Hauptstadt Peking-Daxing. Klar doch, ein „Propagandabau“. Klar doch, „geradezu aufdringlich und auftrumpfend“. Und „selbstverständlich war man pünktlich in Peking“ – oh welch zarte Ironie! Selbstverständlich ist die verständlich, wenn man seit Jahren immer wieder nur über die Verschiebung der Eröffnungstermine des eigenen – vergleichsweise mickrigen – Airports berichten darf. Dann lästern diese Chinesen noch über das größte Berlin von allen ab!
Wir verstehen vollauf, dass einem Schreibenden da auch mal die Feder platzt …
Aber dann haben Sie messerscharf erkannt – Chapeau, Tierkasten schult halt in Sachen Mimikry und Wölfe im Schafspelz –: „[…] der neue Beijing New International Airport […] ist in jedem Fall ein Symbol einer nach innen repressiven und nach außen aggressiven Morgenröte. Die leuchtet uns Europäern schon länger heim und verdrängt uns unter dem Projekttitel Neue Seidenstraße von allen angestammten Plätzen.“ Natürlich entkolonialisieren wir die Hauptstadt. Es liegt sowieso zuviel Gerümpel in den Depots der Museen. Können die alles zurückhaben! Aber von unseren angestammten Plätzen in der Mongolei, in Mittelasien, am Hindukusch, im Zweistromland und in Anatolien lassen wir uns nicht vertreiben! Schon unser letzter Kaiser verlangte, dafür Sorge zu tragen, „daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ Es wurde aber auch Zeit, dass endlich mal wieder klare deutsche Worte gesprochen wurden! Die tausend Jahre, die Wilhelm II. prophezeite, sind noch lange nicht vorbei.

Luigi Colani, Visionär mit dem Zeichenstift – Von den Vielen, die sich jetzt mit diversen Nachrufen großtun, einst als Großmaul geschmäht und als Spinner belächelt, einmal abgesehen, gehören wir schon länger zu den eher stillen Bewunderern ihrer fantastischen Entwürfe. Und wir erlauben uns darauf hinzuweisen, dass Sie tatsächlich daran glaubten, dass mit dem fachlichen Können und der Leidenschaft der ostdeutschen Arbeiter und Ingenieure für ihre Arbeit ganz große und wegweisende Projekte auf den Weg gebracht werden könnten. Im Fernsehgerätewerk Staßfurt zum Beispiel, für das Sie Mitte der 1990er Jahre den inzwischen legendären „RFT TV 72-40000 H“ entwarfen. Geplant war eine ganze Serie – versemmelt hats wie so oft das Management. Für runde 3400 DM ließ sich das Gerät schon damals nicht mehr verkaufen. Dafür lebt eines Ihrer Produkte für eine Firma im Staßfurt benachbarten Städtchen Hecklingen immer noch: die Fläschchen der in regionalen Restaurants angebotenen „Gourmet-Linie“ von Gaensefurther Mineralwasser. Die haben eine zeitlos-schöne Form. Kommen wir mal wieder in die Gegend, schauen wir genauer hin, wo wir einkehren werden. Versprochen, Luigi Colani!

Götz Aly, der mit dem Finger in der Wunde – Wen Sie auf dem Kieker haben, dem schmettern Sie’s aber gehörig ins Stammbuch: „Das rot-rot-grün regierte Berlin verkommt: Die Parks degenerieren zu Drogen-, Kot-und Unratwüsten: in Neukölln wurden 2018 fast 10.000 Kubikmeter Sperrmüll auf die Straßen und Parks geworfen […]. Es ist verantwortungsfaule Augenwischerei, wenn grüne und linke Politiker lamentieren, dieses asoziale Verhalten sei Folge von Armut. Zum Vergleich: In Marzahn-Hellersdorf wohnen 20 Prozent weniger Menschen als in Neukölln. Dort wurden 2018 lediglich 203 Kubikmeter illegalen Mülls festgestellt, rund 40-mal weniger pro Kopf als in Neukölln. Liegt dieser drastische Unterschied etwa am unerhörten Reichtum des Ostbezirks? Nein! Die Marzahn-Hellersdorfer sind durchschnittlich besser erzogen. Sie wissen, was sich gehört.“
Da kann man Ihnen nicht widersprechen.

Otto Nagel, Abgehängter – Am 27. September jährte sich zum 125. Mal Ihr Geburtstag. Keine Jubiläumsausstellung, nirgends. In Marzahn-Hellersdorf – Ihre letzten Lebensjahre seit 1951 verbrachten Sie in dessen Ortsteil Biesdorf – bemüht sich inzwischen ein rühriger Initiativkreis um Ihr Andenken. Selbst dem dortigen Otto-Nagel-Gymnasium und seinen Schülern gelang es durch bürgerschaftliches Engagement, zwei Ihrer Bilder zu erwerben, um jungen Leuten künftig die Begegnung mit „Original-Nagel“ zu ermöglichen. Die Staatlichen Museen zu Berlin? Die Akademie der Künste? Das Berliner Stadtmuseum? (Alle drei übrigens im Besitz wichtiger Werke ….) Die kommunalen Galerien von Berlin-Mitte und Marzahn-Hellersdorf? Allesamt Fehlanzeige. Dafür wird gelegentlich herumschwadroniert, man wolle Sie endlich „vom Sockel“ herunterholen. Welch trivialer Unsinn! Sie stehen auf keinem Sockel, sie liegen im Keller. Ein Künstler, dessen Werke nicht gezeigt werden, ist toter als tot.
Aber vielleicht besinnt sich die Stadt im nächsten Jahr. Die Initiativkreisleute sind beharrlich. Der Kultursenator hat immerhin einen Kranz an Ihrem Grabe niedergelegt, pardon, niederlegen lassen …

Anna Ewers, Prêt-à-porter-Star – Sie gelten als das erfolgreichste deutsche Supermodel seit unserer Claudia. Ihre Gedanken machen Sie sich trotzdem: „Die Mode muss mehr in Richtung Nachhaltigkeit gehen, wenn sie weiterhin geliebt und ernst genommen werden will.“ Und Sie bekannten, da Sie berufsbedingt wahnsinnig viel reisten: „Da kann ich […] nicht glaubwürdig behaupten, die Welt retten zu wollen.“
Immerhin.
Auf so viel Ehrlichkeit wartet man bei so manchen Protagonisten im Klimadrama vergebens. Und was Sie anbetrifft – vielleicht fahren Sie ja wenigstens nicht parallel auch noch so einen Wahnsinns-SUV …

Aleksander Świętochowski, Schriftsteller, Kritiker und politischer Publizist – Sie wussten: „Ein trauriger Pole philosophiert immer.“ Das galt auch für Sie. So beklagten Sie 1905: „Wenn wir die Untugenden und Mängel der gegenwärtigen Kultur bedenken, dann stellen wir leicht fest, daß sie uns nicht so sehr mit ihrer Ohnmacht schadet als vielmehr damit, daß sie den niedrigsten Instinkten freien Auslauf öffnet.“
Oh, Sie Bedauernswerter! Wie glücklich würden Sie sich geschätzt haben, hätten Sie nur im Ansatz zu ahnen vermocht, wie die Sache 114 Jahre später stehen würde.