von Renate Hoffmann
Nach väterlicher Bestimmung sollte er die Juristerei erlernen (so geschah es auch), er trug sich aber mit der Absicht, zu malen und wurde – Dichter. Joseph Victor von Scheffel (1826-1886). Sein beruflicher Weg führte ihn als Rechtspraktikant Ende 1849 an das Bezirksamt in Säckingen. Man betraute ihn mit den Aufgaben eines Polizeirespizienten. Dem Staatsdienst abgeneigt und dem Humor zugetan, suchte er nach einem tröstlichen Argument, um widrige Amtsgeschäfte und Dichtersinn zu vereinen: „Polizei und Poesie sind eigentlich in ihrem Gegenstand identisch, … nur ist die Behandlungsweise etwas verschieden; ein und derselbe Gegenstand kann vom polizeilichen Standpunkte bei Wasser und Brot in den Turm gesteckt und vom dichterischen mit lyrischen Flötentönen verherrlicht werden.“ – Der Drang zu schreiben und zu fabulieren überwog jedoch beim Rechtspraktikanten Scheffel.
Mit offenem Sinn für Land und Leute und ihre Vergangenheit fand er in der Stadt eine Geschichte, die ihn bewegte und seine Neugier weckte. Sie gab nichts weiter her, als den etwas steinigen Weg eines „Ungleichen Paares“, und ließ deshalb genügend Raum, sie auszuschmücken. Die Dame – von Adel, der Herr – ein Bürgersohn. Wahr und nachweislich geschehen im 17. Jahrhundert. Scheffel, des ungeliebten Postens überdrüssig, verlässt die Stadt. Nicht ohne die Gedanken um das Säckinger Paar (Franz Werner Kirchhofer und Maria Ursula von Schönau) noch „allerhand träumerische Sprünge machen zu lassen.“ – 1852 reist er nach Italien. Eine Figur der später entstehenden Versnovelle reist bereits im geistigen Gepäck mit. Das Katzentier; Kommentator und kritischer Weltbetrachter.
Und am Tore von Pompeji
Saß der Kater Hiddigeigei,
Knurrend sprach er: „Laß die Studien,
Was ist all’ antiker Plunder,
… Gegen mich, die selbstbewußte
Epische Charakterkatze?
Victor nimmt die Mahnung an, lässt sich beim Apotheker in Sorrent „blaue Tinte mischen“, fährt über’s Wasser nach Capri und schreibt dort in einem fort. Den Gesang vom Rhein, welcher später „Der Trompeter von Säckingen“ heißen wird. Und der Kater – stets dabei – prüft gestreng die Schreiberei. Das Katzenvolk erfreut sich bekanntermaßen in Literatenkreisen besonderer Zuneigung, von Baudelaire über Hemingway bis Rilke. Hatte Goethe den Kater Hinze beim Wickel, E.T.A. Hoffmann seinen Murr, so hätschelte Scheffel eben Hiddigeigei, die eigenwillige, moralisierende „Charakterkatze“. Sie kommt aus Ungarn, lässt der Dichter wissen, sei Nachfahr eines „wilden Pußtakaters“ und der „Mutter aus Angorastamme“. Im Wesen stolz, im Umgang nobel mit Anstand. – Hiddigeigei mag aber, aus gutem Grunde, die deutschen Katzen nicht und mokiert sich:
„Zwar sie mögen“’ – also dacht in
stolzem Katerselbstgefühl er,
„Guten Herzens sein und einen
Fond besitzen von Gemüte,
Doch es fehlt an gutem Tone,
Fehlt an Bildung.“
Er ist ungestüm in Liebesangelegenheiten (der wilde Puszta-Vater!) und überaus neugierig. Hiddigeigei möchte nämlich wissen, warum sich junge Menschen küssen. – Auch ist er furchtlos und voller Ironie:
Wenn im Tal und auf den Bergen
Mitternächtig heult der Sturm,
Klettert über First und Schornstein
Hiddigeigei auf zum Turm …
Und die Katzenaugen sehen,
Und die Katzenseele lacht,
Wie das Völklein der Pygmäen
Unten dumme Sachen macht.
Mit den Jahren wächst die Weisheit. Und auch die Beschwerlichkeit des Alters. Da gibt es kein Entrinnen. Die Katzenseele lacht nicht mehr:
„Und wir fallen ihm zum Opfer,
Unbewundert und vergessen;
– O ich möchte wütend an der
Turmuhr beide Zeiger fressen.“
Noch einmal erinnert er sich an die Italienreise mit Scheffel, seinem Dichtervater; erinnert sich an Neapel, Sorrent, den Vesuvio und das blaue Meer – und an Carmela, die schönste aller Katzen… Dann hebt er an zum Schlussgesang:
Zürnend klingt euch in den Ohren
Hiddigeigeis Geisterwarnung:
„Rettet euch, unsel’ge Toren,
Vor der Nüchternheit Umgarnung!“
Richtigstellung: Debreczin im Ungarland ist nicht Geburtsort der „epischen Charakterkatze“. Blanker Schwindel. Sie lebte in Bruchsal. Leibhaftig. Als Haustier beim Hofgerichtsrat Preuschen. Dort verkehrte der Dichter und machte Hiddigeigeis Bekanntschaft. Unlängst erhielten Kater, Scheffel und Preuschen am Bruchsaler Kübelmarkt eine Gedenktafel.
Von der Nüchternheit doch umgarnt, begebe ich mich auf den Weg nach Bad Säckingen. Zum Hauptort des Geschehens. – Das Grabmal des „Ungleichen Paares“, dessen Geschichte Scheffel anregte und letztlich Hiddigeigeis literarische Geburt beförderte, steht an der Außenwand des Fridolin-Münsters. Imposant, wappengeschmückt, ein männliches Relief tragend. Die Übersetzung der lateinischen Inschrift lautet: „Ewige Ruhe der Seele und des Leibes suchte hier bei Lebzeiten und fand durch einen ruhigen seligen Tod das in gegenseitiger Liebe unvergleichliche Ehepaar Herr Franz Werner Kirchhofer und Frau Maria Ursula von Schönau… “ – Diese beiden ruhen sanft. Hiddigeigei hingegen posiert sprungbereit, im Vollgefühl seiner Katerkraft auf der Säule eines Brunnens hinter dem Rathaus. Faucht, buckelt, stellt den Schweif hoch und hat den Zorn auf die ganze Welt im Leibe. Die Worte seines Poeten-Vaters bekräftigend:
Einem Geist gleich steht er oben,
Schöner als er jemals war,
Feuer sprühen seine Augen,
Feuer sein gesträubtes Haar.
Auf der Rheinterrasse des Nobel-Hotels „Goldener Knopf“ begegne ich Hiddigeigei, dem Weisen. Wiederum sitzt er auf einem Sockel. Nunmehr diszipliniert, abgeklärt, erhaben über den irdischen Kleinkram. Ihm zu Füßen (zu Pfoten) schmettert der Trompeter von Säckingen seine rührselige Melodei. Doch gegen den Kater kann er nichts ausrichten. Die Überlegenheit des ergrauten Alten schmettert ihn souverän ab.
Schlagwörter: Hiddigeigei, Katzen, Renate Hoffmann, Säckingen, Victor von Scheffel