von Kurt Tucholsky
Das deutsche Volk ist ausgesogen,
bis zum Hemde ausgezogen
durch die Reichswehr, durch Inflation …
Noch nicht genug –?
Offenbar nicht.
Da gibt es noch eine freche Schicht.
Weiß und unschuldsvoll wie die Lilien:
zweiundzwanzig Fürstenfamilien.
Die armen Luder –!
So wenig Lakain!
Nur siebzig Schlösser! Und so wenig Wein!
Wenig? Die Republik, nach dem Krachen,
warf ihnen Vermögen in den Rachen.
Vornweg dem Oberdeserteur
ein ganzes Vermögen mit Zubehör:
Gemälde, Nachttöpfe, Thermometer,
Spitzenjacken – und sein Vertreter
will immer noch mehr – prozessiert immer weiter.
Die armen, armen Schwerarbeiter!
Mecklenburger und Hannoveraner,
Bayern und Sachsen und Anglikaner.
Sie kommen aus ganz Europa gelaufen;
sie brauchen Geld für das Auto, zum Saufen.
Bis zum Königreich beider Sizilien
zweiundzwanzig Fürstenfamilien.
Scheißt ihnen was,
die Euch geschunden:
Willi, der Vater von 6 gesunden
Söhnen – nach einem solchen Krieg!
Aus dem er in seinen Salonwagen stieg …
Blast ihnen was –!
Keinen Pfennig der Bande!
Raus mit den Fürsten aus dem Lande!
Was heißt hier: Enteignung? Lächerlich!
Nur einen enteignen sie: nämlich Dich.
Nicht eher gibt der Reichstag Ruh:
nur einer wird enteignet:
Du.
Die Regierung will ihnen das Leben versüßen.
Sie sträubt sich gegen uns mit Händen und Füßen –
Genug!
Jagt die Kompromißler fort!
Genug!
Das Volk hat jetzt das Wort.
Das Volk, das im Kriege geblutet hat,
das Volk, das im Kriege gehungert hat;
die Arbeiterwitwe ohne Ernährer,
der verarmte Kleinbeamte, der Lehrer,
das Volk mit vier langen Kohlrübenwintern,
das Volk klopft die Fürsten auf den Hintern!
Fürsten raus –!
Es ist hohe Zeit!
Alle Mann auf Deck!
Zum Volksentscheid –!
(1926)
Schlagwörter: Fürsten, Kurt Tucholsky, Volksentscheid