von Clemens Fischer
Ich habe mal gehört, das Erkennen eigener Vorurteile wäre der erste Schritt zu deren Überwindung. Also gebe ich hier mal einfach zu, was ich spontan dachte, als mir zur Kenntnis gelangte, dass sich Mark Schlichter, ein nicht ostdeutsch sozialisierter Regisseur, der Alfons-Zitterbacke-Geschichten angenommen hätte: „Oh Gott, das kann doch nur Murks werden!“
Alfons Zitterbacke war nämlich erstens ganz und gar ein DDR-Gewächs und zweitens Bestandteil auch meiner Kindheit im ostdeutschen Teilstaat, an die ich mich ausgesprochen gern erinnere. Von dem von Gerhard Holtz-Baumert erfundenen Pechvogel konnte man gar nicht genug bekommen, obwohl sich dessen literarisches Leben zu DDR-Zeiten nach Erscheinen des zweiten Bandes („Alfons Zitterbacke hat wieder Ärger“) 1962 praktisch bereits vollendet hatte. (Einen dritten Band legte der Autor erst 1995 vor.) Doch nicht zuletzt ein DEFA-Film von 1966 und eine sechsteilige Serie des DDR-Fernsehens von 1986 sorgten für regelmäßige Wiederbegegnungen.
Dass Holtz-Baumert darüber hinaus „SED-Funktionär“ gewesen ist, wie ein Berliner Boulevard-Blatt meinte, im Zusammenhang mit der jetzigen Neuverfilmung unbedingt mitteilen zu müssen – er war unter anderem bis 1990 Mitglied des ZK der SED und Vizepräsident des Schriftstellerverbandes der DDR –, minderte mir im Übrigen weder damals noch heute das Vergnügen an seiner Figur.
Nun also „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“. Trotz meiner Befürchtung hatte ich mich nach Kenntnisnahme der Besetzungsliste schon halb zum Kino-Besuch entschlossen: Devid Striesow, Alexandra Maria Lara, Katharina Thalbach, Olaf Schubert, Wolfgang Stumph, Thorsten Merten. Als dann mein Enkel Felipe jedoch den Wunsch äußerte … Und dafür bin ich ihm höchst dankbar, denn was es zu sehen gibt, ist nicht nur kein Murks, sondern eine ebenso liebevolle wie ersthafte Komödie. Für die ganze Familie, um ein hier zutreffendes Klischee zu bemühen. Und das liegt zuallererst an Tilman Döbler, dessen Alfons-Darstellung einfach anrührend und immer wieder auch saukomisch ist!
Zum Inhalt des Streifens – wie an dieser Stelle üblich – nix Konkretes, allenfalls so viel:
Für Fachleute kein Geheimnis, bestätigt der Film wieder einmal, dass es in Fällen unkompetenten Zusammenkippens von Chemikalien allemal von Vorteil ist, wenn sich der Chemieraum im obersten Stockwerk eines Schulgebäudes befindet (kein Schloteffekt!) und über eine Sprinkler-Anlage verfügt.
Zugleich handelt es sich bei diesem „Alfons Zitterbacke …“ um eine eindrückliche Parabel darüber, dass Naturgesetze wie „Wer andern eine Grube gräbt …“ oder „Hochmut kommt vor dem Fall“ auch mit allem Geld der Welt nicht auszuhebeln sind.
Darüber hinaus wird endlich die drängende Frage beantwortet, warum in Baumärkten das pyramidenhafte Übereinanderstapeln von Farbbüchsen zu Werbezwecken so völlig aus der Mode gekommen ist.
Gedreht wurde der Film in meiner Heimatstadt Halle an der Saale, wovon nicht viel zu sehen ist, aber mit der Burg Giebichenstein, der Kröllwitzer Brücke und der Hochstraße immerhin Markantes aus älterer, mittlerer und jüngerer Vergangenheit.
Eine hübsche Hommage sei noch verraten: An einer Wurstbude kommt es zu einer Begegnung zwischen dem gegenwärtigen Alfons sowie jenem des DEFA-Films von 1966, der Helmut Rossmann heißt, und zu einem Austausch über den Wert des Vornamens Alfons. Die Idee könnte übrigens bei Tarantino geklaut sein: In dessen „Django Unchained“ von 2013 parlierte Ur-Django Franco Nero aus Sergio Corbuccis Spaghetti-Western aus dem Jahre 1968 mit Tarantinos Django über Orthographie und Phonetik des Namens Django.
„Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ – Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Mark Schlichter. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Alfons Zitterbacke, Clemens Fischer, Gerhard Holtz-Baumert