von Ingeborg Ruthe
Auf Renaissance-Stimmung stehen die Zeichen im United Kingdom derzeit eher nicht. Umso deutlicher werden Zeichen der Kooperation zwischen Londons National Gallery und der Gemäldegalerie Berlin für diese grandiose Bilderschau eigener Schätze und zahlreicher Leihgaben, etwa aus den Uffizien Florenz, aus Venedig, Washington, São Paulo, Paris, Kopenhagen, Dresden, Frankfurt.
In der Kunst gibt es keinen Brexit. Die Renaissance ist Europa-Geschichte, Werte-Geschichte mit Humanismus, mit Reformation. Mantegna und Bellini, zwei italienische Renaissance-Giganten, die sich schätzten, inspirierten, zu Höchstleistungen in der Malerei antrieben, führen uns vor Augen: Politische Sturheiten und Verwerfungen haben zu keiner Zeit Macht über die Kunst.
Nun, die klerikalen, feudalen wie bürgerlichen Machtverhältnisse ihrer Zeit dürften Andrea Mantegna, geboren 1431 nahe Padua, gestorben 1506 in Mantua, und sein Schwager Giovanni Bellini, 1435 geboren in Venedig, daselbst gestorben 1516, zur Genüge zu spüren bekommen haben. Beide brachten in damaligen Gemengelagen Weltkunst hervor. 100 ihrer Bildwerke sind in der Wandelhalle der Gemäldegalerie versammelt: Kunst zweier Brüder im Geiste.
Die Kuratoren Neville Rowley und Dagmar Korbacher haben die Bilder und dazu thematisch ausgewählte Zeichnungen und Grafiken in 17 Kapiteln auf stimmungsvoll grün, marienblau, tiefrot, schwarz, braun und violett gestrichene Wände gehängt – und alle Motive vergleichend. Wir dürfen staunen, wie zwei Maler einer Ära derart intensiv, zugleich neidlos rivalisierend die gleichen Themen wählten, im Austausch standen, sich respektvoll, neugierig, freimütig aufeinander bezogen, mit Eleganz und Schönheit. Was auf den ersten Blick so ähnlich in der Motivwahl erscheint, unterscheidet sich stilistisch doch erheblich. Mantegnas Bildwelt steckt noch im Antiken, Bellinis Heilige, Adlige, Patrizier leben schon im geerdet Alltäglichen.
Mantegna, der Ältere, Ehemann von Bellinis Schwester, war beeinflusst von alten Meistern wie Donatello oder Squarcione. Seinen früh gefundenen Stil belegen das streng Lineare der Komposition, die fast statuarische Plastizität der Figuren; ganz die Florentiner Schule. Er erfand spektakuläre Szenen, in denen biblische und römische Mythologien sich feierlich und emotional vereinen mit einer humanistischen Weltsicht. In vielen Szenen hielt Mantegna sich noch an die mittelalterliche Tradition. Dann aber steuerte er seine Madonnen in einen perspektivisch konstruierten Bildraum. Erstmals in der Geschichte der sakralen Malerei hatte Mantegna mit seinen tonigen Temperafarben für eine illusionistische Verbindung von Realem und als Fiktion gemaltem Raum gesorgt. Die Handlung führt in einen freien Himmel.
Das ist jene Methode, die später so typisch ist für die Malerei des Barock. In Mantegnas Malerei und unvergleichlichen Zeichnungen, etwa vom Eremiten Hieronymus oder von Christus in der Vorhölle, wimmelt es nur so von fast surrealen Allegorien, mythologischen Szenen. Und humanistischen Idealen. Bezeichnend die ineinandergreifenden Bild-Raum-Folgen, dazu die perspektivischen Verkürzungen der Gestalten.
Letztere Stilmittel setzte der jüngere Bellini noch weit kühner ein. Er verwandelte Mantegnas entrückte, wie in Stein gehauene Gestalten, die unwirklichen Felsenformationen, leidenschaftlich mit seinen leuchtenden Ölfarben. Es entstanden lichte, lebensnahe Szenen und atmosphärische Landschaften. Manchmal lässt die Sfumato-Technik die Details leicht verschwommen wirken. Der Spross einer venezianischen Maler-Dynastie etablierte Heiligenmotive ganz nach der „Sacra Coversazione“ Mantegnas – führte sie zur typisch venezianischen Gattung der Altarbilder.
1483 wurde Bellini zum Staatsmaler der Republik Venedig ernannt. Das halbfigurige Porträt des Dogen Loredan um 1501/02 aus der National Gallery London macht das beredt: Das leuchtende Kolorit, die penible, zugleich leichte Pinselführung war wohl auch Ergebnis des Austausches mit seinen jungen, dem modernen Zeitgeschmack folgenden Schülern Giorgione und Tizian. Ging es beiden, Mantegna wie Bellini, in ihrer Kunst um den Menschen als Maß aller Dinge, damit auch ums Körperliche, erleben wir den Älteren als detailversessenen Dramatiker und den Jüngeren als Maler in sich gekehrter, sich ihres Wertes stolz bewusster Renaissance-Charaktere.
„Mantegna + Bellini, Meister der Renaissance“, Staatliche Museen, Gemäldegalerie Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz. Bis 30. Juni, Dienstag, Mittwoch, Freitag 10–18 Uhr / Donnerstag bis 20 Uhr / Samstag und Sonntag 11–18 Uhr; Katalog (Hirmer) 39,90 Euro.
Berliner Zeitung, 1. März 2019. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages.
Schlagwörter: Andrea Mantegna, Gemäldegalerie Berlin, Giovanni Bellini, Ingeborg Ruthe