22. Jahrgang | Nummer 7 | 1. April 2019

Limes, Schwoof und Wein

von Bettina Müller

Augen zu und durch! Dieser Tipp richtet sich an Touristen, die mit dem Zug nach Bad Hönningen reisen und gezwungen sind, den einer 1000-Jahr-Feier unwürdigen Bahnhofstunnel – Hoheitsgebiet der Deutschen Bahn – zu betreten, für dessen Instandhaltung und Reinigung sich offensichtlich niemand verantwortlich fühlt. Dieses Schicksal teilt der Bahnhof noch mit anderen verlorenen Haltepunkten an der Regionalbahnstrecke von Köln nach Koblenz.
Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels. Man erreicht schließlich die viel beschworene „Sonnenseite des Rheins“, mit der der Tourismusverein die Stadt bewirbt und der es heutzutage vor allem auf Weintrinker, Wellness-Fans und Spaziergänger abgesehen hat. Geht einer von den Letzteren nun offenen Auges durch die Straßen, sieht er zu seinem Bedauern den langsamen Niedergang der einst blühenden Fußgängerzone, den Leerstand mancher Geschäfte und die verwaiste Schmiedgasse, die in vergangenen Tagen eine Rüdesheimer Drosselgasse im Miniaturformat war. Dann bestellt der ahnungslose Besucher in einem Café an der Rheinpromenade auch noch den schlechtesten Kaffee von ganz Rheinland-Pfalz.
Heerscharen von Kegelclubs, amüsier- und paarungswillige Junggesellen und -gesellinnen, Weintrinker und Tanzwütige machten in Bad Hönningen einst die Nacht zum Tag, zu einer Zeit, als viele beim Begriff „Schwoof“ noch leuchtende Augen bekamen und sich automatisch in den Schunkelmodus begaben. Damals verwandelten die Amüsierjunkies den Ort am Wochenende in einen temporären Hexenkessel, bevor sie dann zum Beispiel im altehrwürdigen „Hotel Rüssel“ (entgegen aller Gerüchte nicht nach einem Elefanten, sondern nach einem Bad Hönninger Hotelier benannt) ihren Rausch ausschliefen, und am Montagmorgen gesenkten Hauptes die Heimreise mit dem Zug antraten oder dehydriert und übernächtigt in den „Clubbus“ einfielen.
Diese Hardcore-Zeiten mit klingelnden Kassen sind jedoch längst vorbei. Die Zäsur scheint der Ort bis heute nicht ganz überwunden zu haben, er tut sich etwas schwer mit neuen längerfristig erfolgreichen Konzepten. Das Rüsselsche Hotel steht zwar noch, bietet mit seinem desolaten Leerstand jedoch einen traurigen Anblick, bis 2021 soll auf dem Gelände neuer Wohnraum entstehen. Eine Reise nach „Malle“ mit dem Billigflieger ist heutzutage vermutlich allemal preiswerter als ein Aufenthalt im in manchen jüngeren Augen angegrauten Bad Hönningen.
Doch diese Schmähung hat der Ort nicht verdient. Er ist zwar eindeutig ein Greis an Jahren, aber dennoch ein durchaus idyllischer Ort, der nicht nur im Kontext mit „Vater Rhein“ und dessen hohem Freizeitwert sowie den leicht zu erreichenden Städten am Fluss wie Andernach, Köln, Koblenz und Neuwied gesehen werden muss, sondern vor allem mit den benachbarten Weinorten Erpel, Leubsdorf, Leutesdorf, Linz, Rheinbrohl und Unkel, die ebenfalls etliche historische Kleinode aufweisen und über den Fernwanderweg Rheinsteig miteinander verbunden sind.
Die gesamte erwanderbare Weingegend umfasst mit insgesamt 67 Hektar die größte Weinbergsfläche im nördlichen Rheinland-Pfalz. Der Wein hält auch in Bad Hönningen fest das Zepter in der Hand – die Stadt hat lange Zeit ein eigenes Weingut unterhalten, das mittlerweile erfolgreich in privater Hand ist und stolze zehn Rebsorten anbietet – wird es wohl nie wieder loslassen und bestimmt neben den kirchlichen Festen so vor allem die saisonalen Termine und somit auch das Leben der Menschen, die es verstehen zu feiern. Der Veranstaltungskalender von Bad Hönningen ist über das Jahr gut gefüllt, unter anderem von den Karnevalsveranstaltungen im Winter über die Römertage im Mai, das Weinblütenfest im Juni bis hin zu den Winzerfesten im Herbst und zum Nostalgischen Weihnachtsmarkt am letzten Novemberwochenende.
Ist man nun als gemeiner Wanderer unterwegs, weil man zwar am Ende des Tages zwar auch etwas mit Wein, aber nichts mit Wellness und der Bad Hönninger Thermalwasserquelle am Hut hat, bietet sich zunächst das Erklimmen der Weinberge mit ihrem schon von weitem sichtbaren Wahrzeichen der Stadt an, die vor 1000 Jahren als Hohingen zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde: Schloss Arenfels, dessen Vorgängerbau eine Wehranlage war, die in den Jahren 1258 und 1259 auf einem Felsen geschaffen wurde.
Das heutige neugotische Äußere des Schlosses entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Innenräume und -gemächer kann der Besucher jeden Montag bei einer Schlossführung erkunden. Für Privat- oder Firmenfeiern können die exklusive Räumlichkeiten gemietet werden, und auch der Außenbereich mit spektakulärer Aussicht steht dafür zur Verfügung. Ein dauerhaftes gastronomisches Konzept für das Fußvolk gelang jedoch bis heute nicht und ist in der Zwischenzeit wohl wieder aufgegeben worden. Wer dennoch nicht vom Fleisch fallen will, kann in der Wildkammer des Forsthauses von Schloss Arenfels, ein Stück weit hinter demselben gelegen, Wildspezialitäten kaufen, die aus dem Jagdrevier des Freiherren von Geyr stammen.
Stundenlang kann der geübte Wanderer in diesem riesigen Waldgebiet in den Ausläufern des Rheinischen Westerwalds, in dem schon die Römer auf Kriegspfaden waren, umherschweifen und dabei gelegentlich auch noch lebendem Wild in Rehform begegnen. Die römischen Mannen hinterließen viele Spuren, und weil sie es mit anderen Völkern nicht so hatten, setzten sie mit ihrem Grenzwall Limes deshalb ein klares Statement: Bis hierhin und nicht weiter! Spuren des Walls, der in Rheinbrohl seinen Anfang nahm, kann man noch heute an vielen Stellen im Wald finden.
Ganz besonders im Herbst verleiht das Wissen um diese Historie dem Wald oft eine mystische Aura und einen ganz besonderen Zauber. Ein neuer Limes-Wanderweg wurde geschaffen und an der Wegstrecke ein Römischer Wachturm rekonstruiert sowie ein Limes-Radweg angelegt, der von Bad Hönningen bis nach Regensburg führt. Mittlerweile informiert die „RömerWelt am Caput Limitis“ in Arienheller bei Bad Hönningen über das kriegerische Volk und dessen Alltag.
Nicht aufgeben, heißt heute die Devise. Der römische Kampfgeist scheint auf die Bad Hönninger abgefärbt zu haben. Zudem versichert die eigens für das 1000-Jahr-Jubiläum eingerichtete Homepage den Besuchern, dass ein Aufenthalt alles andere als langweilig werden wird: „Wir Hünnijer sind gut drauf.“