von J. Joachim Moskau, Ottawa
Am 2. Mai kam der Osterhase noch einmal zu uns. Und bescherte dem zweitgrößten Flächenstaat der Erde, Kanada also, einen Aufbruch in die Moderne. Zumindest im politischen Sinne.
Erstmals nämlich in der nordamerikanischen Geschichte stellen Sozialdemokraten auf Bundesebene die federführende Hauptopposition mit einem echten Schattenkabinett. Und erstmals auch wird eine muntere Grüne, Elizabeth May, aus dem westlichen British Columbia ins Unterhaus in Ottawa entsandt.
Mehr noch, plötzlich verkümmert die Partei der Sezession, der Bloc Québecois, und stellt nunmehr weniger als eine Handvoll der insgesamt 308 Unterhausabgeordneten. Ist damit die Gefahr eines Zerfalls Kanadas gebannt? Das vielleicht diesmal noch nicht. Gleichwohl, auch Québec bekennt sich momentan, vielleicht mit Blick auf globale Unwägbarkeiten, zur konstruktiven politischen Mitarbeit in Ottawa.
Und auch dies noch: Die Kanadier gehen wieder in größerer Zahl an die Wahlurnen. Zugegeben, die Wahlbeteiligung von jetzt wieder 61,4 Prozent (Bundeswahlen 2008: 58,8 Prozent) ist nur wenig mehr als die halbe Miete, ein Schritt voran ist sie trotzdem.
All dies hat natürlich auch seinen Preis. Als Regierungschef im Amt deutlich bestätigt sieht sich nämlich Premier Stephen Harper plötzlich mit einer absoluten Mehrheit der Unterhaussitze ausgestattet. Nötigenfalls kann er sich jetzt für die kommenden fünf Jahre relativ sorglos an die Gestaltung einer konservativ orientierten Politik machen. In der Wahlnacht selbst ging er auf das Wählervolk unerwartet behutsam zu. Der Mann, den man bislang eher nur von seiner starren, kaum je flexiblen Seite kannte, signalisierte plötzlich eine Bereitschaft, entsprechend der Erwartungen und Hoffnungen des ganzen kanadischen Wählervolkes amtieren zu wollen. Auf die Umsetzung dieses Versprechens darf man gespannt sein.
Unter dem Strich ergibt sich eine Bilanz, die eine spürbare Polarisierung nach rechts wie nach links erkennbar werden lässt.
Zu den ausschlaggebenden Faktoren darf man mit absoluter Gewissheit die harten Schockwirkungen der japanischen Katastrophen rechnen. Auch in Kanada bahnt sich eine vermutlich kontroverse Debatte über das Wenn und Aber einer Energiepolitik ab, bei der die Nutzung von Kernkraft im Vordergrund stehen wird und bei der auch das sehr heiße Eisen des Ausbaus der Ölgewinnung aus Teersanden in Alberta nicht ausgeklammert werden kann. Dafür werden Grünen-Chefin Elizabeth May und der linke Flügel der sozialdemokratischen New Democratic Party unter Oppositionsführer Jack Layton sorgen.
Einer der besten Gründe, warum Kanadier ein so erfreulich eindeutiges Bekenntnis zu den übergreifenden Zielen einer breitgefächerten parlamentarischen Demokratie lieferten, wurde auch in dem für viele Kanadier erschreckenden Ausgang der vorherigen US-Kongresswahlen vom letzten November gesehen. Kanadier leben neben einer Großmacht, die sie manchmal ängstigt. Wenn dort von führenden Politikern behauptet wird, die Kämpfe im Mittleren Osten seien „eine Aufgabe von Gott“, dann zucken viele Kanadier zusammen.
Einschlägige Meinungsumfragen untermauern die verbreitete Skepsis in Kanada, wie in den meisten anderen Ländern. Bereits vor längerem veröffentlichte das Wochenmagazin Newsweek ein Umfrageergebnis, wonach 55 Prozent der US-Amerikaner an die wortwörtliche Wahrheit biblischer Texte glauben. Für 60 Prozent der Amerikaner gibt es keine Zweifel, dass Noah eine Arche baute und Moses das Rote Meer teilte. Und nicht weniger als 45 Prozent der Christen in den USA sind davon überzeugt, dass der Weltuntergang einher geht mit einer Entscheidungsschlacht zwischen Jesus und dem Antichrist.
Diese USA schüchtern auch Kanadier massiv ein. Wie geht man mittel- und längerfristig konstruktiv mit einem Partnerland um, in dem nur 28 Prozent der republikanischen Mehrheitspartei glauben, dass der Mensch der Hauptverursacher der globalen Erwärmung ist? Mit einem Partnerland, das die Genfer Konvention schlicht missachtet? Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey D. Sachs schrieb dazu bereits 2008: „Das Problem ist ein aggressiver Fundamentalismus, der die moderne Wissenschaft nicht anerkennt, und ein aggressiver Antiintellektualismus, der Experten und Wissenschaftler als Feinde ansieht.“ (1)
Auch vor dem Hintergrund dieser durchaus Furcht einflößenden Strömungen ist das Wahlergebnis in Kanada vom 2. Mai zu sehen. Mehrheitlich lehnen Kanadier Hassprediger ab, die beispielsweise dem Milliardär und Kulturmäzen George Soros Komplottabsichten in einem Stil nachsagen, wie man ihn vor langen Jahren im NS-Organ „Der Stürmer“ finden konnte.
Man muss hoffen, dass es dem politischen Kanada gelingt, in dieser prekären Zeit und nach diesen Wahlen einen Kurs zu steuern, der auch in der internationalen Debatte um Ziele einer umweltverträglichen Wirtschaftspolitik, um Friedenssicherung und Erhaltung einer stabilen Finanz- und Geldwirtschaft wahrgenommen wird.
(1) – Jeffrey D. Sachs: Die antiintellektuelle amerikanische Bedrohung, in: Project Syndicate / Economics and Justice (www.project-syndicate.org/commentary/sachs145/German)
Schlagwörter: Elizabeth May, J. Joachim Moskau, Jack Layton, Kanada, New Democratic Party, Stephen Harper, USA