von Liesel Markowski
Sie waren alle Mitglieder des Leipziger Thomanerchors und fanden sich vor bald zehn Jahren zusammen, um in Quintett-Besetzung zu singen, Musiken von einst und jetzt. Als „ensemble amarcord“ haben sie inzwischen ein breites Repertoire erarbeitet, sind international bekannt und erfolgreich. Fünf Männerstimmen – zwei Tenöre (davon ein Counter), ein Bariton, zwei Bässe – faszinieren, mit reinem A-cappella-Gesang. Das ist ungewöhnlich, ja wohl kaum sonst wo anzutreffen. Und diese Leipziger Sänger – Wolfram Lattke, Martin Lattke, Frank Ozimek, Daniel Knauft und Holger Krause – bieten nicht altbackenen Männergesang sondern subtilst gestaltete Vokalkunst in geistvoll-witziger Ausstrahlung, die fast wie ein kabarettistisches Spektakel gefangen nimmt. Aber natürlich auf hohem musikalisch-artifiziellem Niveau.
An einem Abend im Berliner Konzerthaus war dies in voller Bravour zu erleben. Ein umfangreiches Programm vom 16. Jahrhundert bis heute verkündete „Mordlust und andere Lebenslagen“: Von Liebe und Eifersucht, Rache, Lust, auch Krieg und Schmerz war zu hören. Menschliches, vorwiegend humorvoll verschmitzt in wundervoller gesanglicher Homogenität und mit fesselndem Charme dargeboten.
Dass die jungen Sänger im berühmten Leipziger Chor mit gemeinschaftlichem Singen und dessen Disziplin aufgewachsen sind, ließ ihre sichere Intonation, ihre Abgestimmtheit spüren – gleichsam als Grundlage einer äußerst flexiblen Interpretationsweise. Souverän und lustvoll erklang Madrigalkunst des 16. Jahrhunderts mit Kompositionen von Baldissera Donato über Josquin des Prés und Orlando di Lasso bis Heinrich Schütz im ersten Teil. Gesänge, die oft in drastischen Worten vom Leben berichten und etwa im Erotischen nichts auslassen. Es sind feinst geformte polyfone Vokalsätze, geschrieben für damalige obere Gesellschaftsschichten; beneidenswerte Unterhaltungsmusik von einst. Die „amarcord“-Vokalisten haben sie mit hinreißendem Temperament und komödiantischer Ausstrahlung interpretiert, dabei alle Texte in der jeweiligen Originalsprache präzis artikuliert. (Heute ist solche Wortdeutlichkeit selten.) Die Sprache selbst wurde zum geradezu plastischen Gestaltungsmittel, wie das virtuose Kriegsgetön in „La guerre“ von Clément Janequin oder im Jagdlied eines Anonymus. Überhaupt geht es hier sehr unverblümt zu, wie die deutschen Textabdrucke im Beiheft verraten. So in den frech-erotischen Stücken von Orlando di Lasso oder in Pierre Certons Eifersuchts-Selbstmord-Gesang. Trotz auch verhaltener Stimmungen, wie Schütz’ todesnahes „Cosi morir debb’io“, bestimmen Lebenslust und Lebensgenuss dieses madrigalistische Feld.
Der zweite Teil, dem 19. und 20. Jahrhundert gewidmet, brachte keineswegs feierliche Vokalschönheit, sondern Grotesken. Von einer „Saltarelle“ über den Karneval des Franzosen Camille Saint-Saens, Franz Schuberts gruseligem „Geistertanz“, Felix Mendelssohns nicht weniger schaurigem „Zigeunerlied“ oder Heinrich Marschners köstlich ironischer „Liebeserklärung eines Schneidergesellen“ führt die Vokalreise zu komisch skurrilen Trivialliedern, die Marcus Ludwig (geb. 1960) für „amarcord“ geschrieben hat. Volkslieder: Deutsches („Ein Jäger längs dem Weiher ging“), Australisches („Waltzing Matilda“), Schwedisches („Smedsvisa“) und ein Rhythmic Spiritual („Dry Bones“) sind effektvoller Abschluss. Beifallsturm und Zugaben, zuletzt ein zartes englisches Liebeslied als bewegender Abschied.
Schlagwörter: a capella, ensemble amarcord, Liesel Markowski, Thomaner