von Frank Burkhard
Bis zuletzt konnte man Ursula Karusseit auf der Bühne erleben – wenn die Bühnen auch kleiner geworden waren und sie vor allem autobiografische Lesungen bestritt – noch zwei Wochen vor ihrem Tod am 1. Februar. In ihren Erinnerungen erzählte die 1939 in Westpreußen geborene Tochter einer Baptistenfamilie auch von ihren künstlerischen Anfängen, die der Familie zunächst gar nicht recht waren. Sie spielte Kabarett und nahm ihr Schauspielstudium in Berlin-Schöneweide ohne familiäre Unterstützung auf. Ihr damaliger Freund war der Regisseur und Schauspieler Hagen Mueller-Stahl, der ihr jedoch abverlangte, bei Heirat die Schauspielerei aufzugeben. Das ihr, die damals noch ungeformt war, später aber das Urbild einer emanzipierten Frau! Eine Entscheidung blieb ihr erspart, weil Mueller-Stahl 1961 im Westen blieb. Die Berliner Volksbühne, an die sie Wolfang Heinz 1963 verpflichtete, blieb das wichtigste Haus in ihrer Laufbahn, auch wenn sie zwischenzeitlich bis 1970 am Deutschen Theater (auch unter Heinz) einige Spielzeiten verbrachte und ihren Mann Benno Besson kennenlernte. Unter seiner Regie spielte sie große Rollen, wie die Elsa in „Der Drache“.
An der Volksbühne konnte sie endlich auch Brecht spielen. Als Shen Te und deren angeblicher Cousin Shui Ta in „Der gute Mensch von Sezuan“ feierte sie unter Bessons Regie Triumphe, bei Gastspielen auch in anderen Ländern. Ihr letzter großer Volksbühnen-Erfolg war 1985 die Kommissarin in Wischnewskis „Optimistischer Tragödie“, die sie weiblicher, auch irrender als ihre Vorgängerinnen anlegte. Später führte sie selbst Regie, und im Umbruchjahr 1990 bewarb sie sich um die Intendanz des Hauses. Wie hätte wohl das Volksbühnen-Profil ausgesehen, wenn sie statt Castorf das Sagen gehabt hätte? Da wären auch sehr linke Alpdrücke auf die Berliner zugekommen, wenn auch weniger experimentell.
Damals spielte die Karusseit am Kölner Schauspiel. In Berlin ließ man sie nicht Brechts „Courage“ spielen – in Köln wurde sie damit gefeiert und per ZDF konnten auch die Berliner miterleben, was sie in Sachen Brecht auf dem Kasten hatte. Ein Brecht-Stoff bot ihr auch eine ihrer schönsten Filmrollen. Der Fernsehfilm „Tod und Auferstehung des Wilhelm Hausmann“ entstand unter Christa Mühls Regie 1977. Karusseit spielte eine Witwe, die sich aus sozialer Not in ihren Mann verwandelte, um dessen Arbeitsstelle einzunehmen – eine Meisterleistung an Verwandlungskunst!
In Hosenrollen hatte sie immer wieder Erfolg. Als 1980 auf den Proben zu „Der Biberpelz“ mit Marianne Wünscher als Mutter Wolffen (eine Rolle, die die Karusseit später selbst spielte) ein Schauspieler erkrankte, schlug Usch Karusseit vor, den Amtsdiener Mitteldorf zu übernehmen. Sie hatte großen Respekt vor der Aufgabe, unterstützte aber damit die Regieabsicht von Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering, die Inszenierung „nicht im Naturalismus versinken zu lassen“ (Hering).
Unter ihren Arbeiten für Fernsehen und Film gab es gerade in den letzten 20 Jahren einige Schmonzetten, die gern wiederholt werden, weil Usch Karusseit immer eine Spur Realismus mitspielen ließ. Dabei hat sie spätestens 1968 in dem Mehrteiler „Wege übers Land“, in dem sie einen Flüchtling spielte (wie sie 1945 einer gewesen war) bewiesen, wie sie einen Menschen zwischen Erschütterung und Optimismus spielen konnte. Dafür bekam sie den Nationalpreis, später den Kunstpreis und einige weitere Auszeichnungen. Besonders viel bedeuteten ihr Publikumspreise, wovon sie den einen 1969 vom Jugendmagazin neues leben erhielt, und 1972 von der Prager Illustrierten Květy, viel später dann die Goldene Henne der SUPERillu. Da war sie schon beliebt durch ihre Rolle der Charlotte in der Cafeteria der seit 1998 wöchentlich laufenden ARD-Serie „In aller Freundschaft“. Auf diese anfangs recht uninteressante Rolle konnte sie Einfluss nehmen und sie sich nach und nach anverleiben. Nach ihrer krankheitsbedingten Pause kehrte sie als Gast wieder zurück. Auch die Zuschauer, die sie in anderen Rollen liebten, werden sich wohl ihren letzten Auftritt in der „Sachsenklinik“ am 19. März nicht entgehen lassen.
Schlagwörter: Deutsches Theater Berlin, Fernsehen, Frank Burkhard, Ursula Karusseit, Volksbühne Berlin