22. Jahrgang | Nummer 2 | 21. Januar 2019

Multi-kulti in der Prime Time

von Frank Burkhard

Etwas unbeholfen bedauerte Bezirksbürgermeister von Dassel (Bündnis 90/Die Grünen), dass der Berliner Wedding seit einigen Jahren Teil des Bezirks Mitte sei („Mitte ist schitte“ heißt es im Theater-Song). Nach längerem Kramen in Schubladen hatte er im Rathaus noch eine Ehrenmedaille des früheren Bezirks Wedding gefunden, die er dem Theaterleiter Oliver Tautorat nach der Jubiläumsveranstaltung überreichte. Dassel dabei: Er wisse nur nicht, was man da eingravieren solle. Tautorat wird ihn schon aufgeklärt haben.
Auch der Berliner Parlamentspräsident Wieland und die Wahlkreisabgeordnete Högl (beide SPD) waren zur Premiere ins direkt neben dem Kurt-Schumacher-Haus der SPD gelegene Prime Time Theater gekommen, um das 15-jährige Jubiläum des wohl einzigen Berliner Volkstheaters (Tautorat nennt es gern modern „Pop-Theater“) zu feiern.
Die Berufsanfänger Constanze Behrends und Oliver Tautorat hatten das Prime Time Theater mit Parodien aufs TV-Programm im Dezember 2003 gegründet, um sich in komödiantischen Rollen präsentieren zu können, und im Januar 2004 die weltweit erste fortlaufende Theater-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ (GWSW) aus der Taufe gehoben, die etwa acht- bis zehnmal im Jahr in neuen Fortsetzungen aufgeführt wird und aktuell bei Folge 120 steht. Behrends (die nach Folge 100 ausschied), Tautorat und Philipp Lang (der 2017 als Autor und zuvor schon als Schauspieler einstieg) haben bisher an die 200 Figuren erfunden, wie man sie im Weddinger Umfeld entdecken kann. Denn neben der realen Multi-kulti-Gesellschaft des Wedding mit Türken, Deutschen, Griechen und Franzosen kommen typische Bewohner anderer Berliner Bezirke, etwa die Friedrichshainis oder die Prenzl-Wichser, ja sogar Zugereiste aus der Uckermark dazu.
Beim Berliner Stammpublikum (und inzwischen vielen begeisterten Touristen) steht GWSW hoch im Kurs, so dass die Theatermacher ein Experiment wagten. Die Zuschauer wurden aufgefordert, für die Jubiläumsfolge nicht nur Ideen, sondern ganze Sketche einzureichen. Der Erfolg überwältigte die Macher. Aus 51 Einsendungen wählten sie die passendsten 15 aus. Sechs Ensemblemitglieder schlüpfen voller Spielfreude in 40 Rollen: Die unzertrennlichen Türken-Jungs Orkan und Taifun (Philipp Lang und Ryan Wichert) gehen plötzlich eigener Wege, Tina Tonne (vom Hausherrn mit viel Selbstironie verkörpert) wird Burlesque-Tänzerin, und als spanischer Tanzlehrer Manolo mit Sprachfehler brilliert Tautorat nicht minder. Passend zur neuen Saison gibt es einen Besuch im Dschungel-Camp, und als Ausflug in ein anderes Genre erlebt man überdies eine geheimnisvolle Parodie auf Kafkas „Prozess“.
Regisseur Philipp Hardy Lau brachte in der Sketch-Parade alles gut unter einen Hut.
Nicht nur im Publikum sitzen neben eingeborenen Berlinern immer auch solche mit „Migrationshintergrund“. Tautorat hat griechische Wurzeln, Cecilia Hafiz verbirgt ihre arabische Herkunft jetzt leidlich, indem sie den Familiennamen ihres berühmten Großvaters, des Regisseurs Hagen Mueller-Stahl angenommen hat, Schauspielerin und künstlerische Leiterin Alexandra Marinescu-Lang wurde in Rumänien geboren, Noemi Dabrowski hat sogar französisch-polnisch-amerikanische Wurzeln. Der Deutsch-Brite Ryan Wichert war bis vor kurzem nur britischer Staatsbürger, aber nach dem angekündigten Brexit hat er nun doch lieber von der Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft Gebrauch gemacht. Bei diesen vielfältigen Hintergründen allein im Ensemble ist man nicht bange, dass die Ideen für „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ in den nächsten 15 Jahren ausgehen könnten!

Jubiläumsfolge „15 Jahre GWSW“: bis 17.02., jeweils Donnerstag bis Montag, 20:15 Uhr im Prime Time Theater, Berlin-Wedding, Müllerstaße 163.