21. Jahrgang | Nummer 25 | 3. Dezember 2018

Von Aufsicht und Nachsicht

von Helge Jürgs

Mit viel Eifer, bei Populisten geradezu mit Schaum vor dem Mund werden derzeit die Vermögensverhältnisse von Friedrich Merz diskutiert. Als wenn es in der Frage, wie man hierzulande zu Reichtum kommt, so man nur über ein umfängliches und eng geknüpftes Netzwerk von politökonomischen Beziehungen verfügt, um Merz ginge. Nebbich!
Aber exemplarisch ist es schon, wie der Anwalt – in einer eh nicht als unterbezahlt beleumundeten Branche zugange – zum Millionäre werden konnte. Die perverseste Quelle, locker zu sprudelnden – und zwar nebengewerblichen – Einnahmen zu kommen, dürfte in der Politik, und so also auch bei Friedrich Merz, die verbreitete Tätigkeit im Aufsichtsrat eines Unternehmens sein, je größer, je einträglicher.
Und so ist (wieder nur beispielsweise, denn das ließe sich an vielen, vielen MdBs – um nur mal bei denen zu bleiben – exemplifizieren) Anwalt Merz eben noch tätig als Chef des Aufsichtsrates beim Vermögensberater Blackrock Deutschland. Er führt den Aufsichtsrat des Arnsberger Unternehmens Wepa, das zum Beispiel Klopapier herstellt. Merz leitet das Kontrollgremium des Flughafens Köln-Bonn und ist Aufsichtsratsmitglied bei der Privatbank HSBC Deutschland. Er sitzt zudem im Verwaltungsrat des Schweizer Zugbauers und Siemens-Konkurrenten Stadler Rail … Ein Aufstocker von Rang, keine Frage.
Nun ja, sofern man extrem leistungsfähig ist und die eigene Kraft und Zeit geschickt zu managen vermag, könnte das ja alles vielleicht gehen. Wenn man sich allerdings anschaut, worin die Aufgaben von Aufsichtsräten bestehen, wehen den Betrachter da gelinde Zweifel an: „Aufgabe des Aufsichtsrats ist es, die Geschäftsführung – also den Vorstand – zu überwachen (§ 111 AktG). Hierzu kann der Aufsichtsrat (oder einzelne Mitglieder) vom Vorstand jederzeit einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen. Der Aufsichtsrat kann die Bücher der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände prüfen oder prüfen lassen.“ So ist das bei Wikipedia nachlesbar und vermutlich zweifelsfrei.
Das allerdings stelle man sich nun praktisch vor: Neben seiner eigentlich ausfüllenden (und gewiss auch auskömmlichen) Haupttätigkeit als Anwalt und Politiker setzt sich ein Merz spätabends über die Bücher jedes der von ihm beaufsichtigten Konzerne, legt in Brechtscher Art den Finger auf jeden Posten (allerdings ohne das Damoklesschwert im Nacken, die Rechnung in einem Negativfall gegebenenfalls bezahlen zu müssen), prüft also, studiert das ökonomische nationale, regionale und globale Umfeld der jeweiligen Branche, eben um kompetente Aufsicht führen zu können. Allein ein Jahres-Geschäftsbericht eines Unternehmens hat viele Dutzend, oft genug hunderte Seiten, und alle, alle sind mit Zahlen bedeckt, denen ein Aufsichtswaltender auf den Grund gehen sollte.
Selbstverständlich ist dabei, dass ein Merz von all dem tiefe Kenntnis hat, was „seine“ Unternehmen wissen müssen, um erfolgreich zu sein. Und dass er all sein Herrschaftswissen ständig erweitert und niemals, niemals durcheinanderbringt – haben Klopapierhersteller und Aktienverwalter doch beide mit Papier zu tun, und können Aktien gelegentlich in den Gebrauchswert des ersteren zurückfallen. Nein, das alles schultern Aufsichtsräte wie also Friedrich Merz beispielsweise allzeit souverän. Und wer solches bewältigt, hat dann die damit verbundenen Aufwandsentschädigungen ebenso redlich verdient wie Nachsicht dafür, dass auf seinem Konto ein paar Euro mehr lagern als bei Otto Normalverbraucher. Und gegen Überlastung ist schon dadurch gesorgt, dass eine Person Aufsichtsratsmitglied nur bei höchstens zehn Gesellschaften mit gesetzlich vorgeschriebenem Aufsichtsrat sein darf. Und auch nicht mehr als maximal fünf Mandate als Aufsichtsratsvorsitzender sind zulässig, was streng genommen jeden Antidiskriminierungsbeauftragen angewidert schütteln müsste!
Ein wenig irritierend ist bei der Betrachtung der Merzschen Nebentätigkeiten allerdings seine Ankündigung, im Falle seiner Wahl zum CDU-Präses seine Aufsichtsratsmandate niederzulegen. Wieso eigentlich? Unterstellt er wirklich, dass ein Parteivorsitz seinen Inhaber so auslastet, dass er zu keinem Nebenverdienst mehr kommt? Das wäre denn doch ein (weiterer) Sargnagel für die eh geschundene Parteienlandschaft – wer wollte denn da noch Karriere machen wollen?