von Manfred Orlick
Der Leipziger Lehmstedt Verlag hat dem aus Bosnien stammenden, seit 1992 in Berlin wirkenden Fotojournalisten Nihad Nino Pušija einen opulenten Bildband gewidmet. Mit knapp 200 Fotografien (meist schwarz-weiß) ist es die erste umfassende Monografie zum mehr als 30-jährigen Schaffen des Künstlers.
Nihad Nino Pušija, 1965 in Sarajevo geboren, studierte an der dortigen Universität politische Wissenschaften und Journalismus und arbeitete danach als freier Fotograf in verschiedenen Kunstfotoprojekten und Fotostudien in Italien, Belgien, England und den USA. Seit 1992 realisiert Pušija Projektarbeiten in Berlin, unter anderem für das Kulturamt Friedrichshain-Kreuzberg, die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, das Museum Europäischer Kulturen und die Allianz Kulturstiftung.
Über Jahre hinweg hat Pušija die gesellschaftlichen Veränderungen im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien mit der Kamera festgehalten. Auf den beiden Auftaktfotos des Bildbandes riskieren Jugendliche einen wagemutigen Sprung von der berühmten Neretva-Brücke in Mostar im Vorkriegs-Jugoslawien des Jahres 1986. An der Backsteinmauer des dahinterliegenden Hausgiebels prangt noch Titos Porträt. Ein Freiheitssprung in einem multiethnischen Land, das geeint schien. So sind die ersten Bilder eine Referenz an ein noch friedliches Nebeneinander, die jedoch bald abgewechselt werden von Aufnahmen des Bürgerkrieges. Gewalt, Zerstörung, Vernichtung, Hass … verdeutlichen die Brutalität des mörderischen Krieges. Aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit wurden viele ihres als Heimat verstandenen Landes verwiesen. Besonders bedrückend dabei die Fotos von den Kriegskindern, die wie Soldaten mit scharfen Waffen hantieren.
Ein weiteres zentrales Thema im Schaffen des Fotojournalisten sind die Lebensrealitäten der in ganz Europa verstreut lebenden 12 Millionen Roma. Dem Schicksal der „vergessenen Europäer“ blieb Pušija stets auf der Spur. Sie gehörten zu den ersten Opfern des Bürgerkrieges. Ganze Roma-Familien mussten sich auf die Reise einer erzwungenen Migration über viele Stationen begeben. Pušijas Blick ist stets geprägt von einer tiefen Empathie für die Menschen. Ungeschminkt zeigt er den deprimierenden Alltag, ihre Verzweiflung, aber auch die Familienzusammengehörigkeit und ihre Feste.
In Berlin wurde Pušija mit seiner Kamera ebenfalls fündig und entdeckte Unbekanntes in der Stadt. So hielt er die letzten Spuren des Palastes der Republik kurz vor seinem endgültigen Abriss fest. Wie ein Abschied und gleichzeitig eine Mahnung ragen die Beton-Treppenhäuser vor dem Hintergrund mit dem Fernsehturm empor. Sie sind Zeichen eines Wandels, der auch eine Drohung sein kann. Weiteren Bildserien entstanden in einer Jugend-Disco, in der Travestie-Szene oder während einer USA-Reise.
Der zweisprachige (englisch/deutsch) Bildband, der als Titel eine Gedichtzeile des amerikanischen Poeten Miller Williams (1930–2015) trägt, ergänzt die aktuelle Ausstellung „SO IST DAS BEI UNS – Bilder vernachlässigter Europäer“ (28. September 2018 bis 9. Januar 2019) in der Galerie im Körnerpark, die zum Europäischen Monat der Fotografie eröffnet wurde. Wie der Lehmstedt Verlag mitteilt, ist das Buch die letzte Veröffentlichung, die der international hoch angesehene Berliner Fotobuchverleger und -buchhändler Hannes Wanderer noch selbst betreut hat, bevor er unerwartet am 9. September 2018 in Berlin verstarb.
Nino Nihad Pušija: „Down There Where the Spirit Meets the Bone”, THE LAST BOOK OF PEPERONI, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2018, 296 Seiten, 38,00 Euro.
Schlagwörter: Fotografien, Jugoslawien, Manfred Orlick, Nino Nihad Pušija