von Manfred Orlick
Seit dem 21. September 1868 verrichtet ein gusseisernes Löwenpaar seinen symbolischen Wächterdienst am Portal des Hauptgebäudes der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 1694 war die alma mater halensis durch den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. eröffnet worden. Die „Academia Fridericiana“ war zunächst im Gebäude der ehemaligen Ratswaage auf dem Marktplatz untergebracht. Als 1817 die Vereinigung mit der Universität Wittenberg unter dem Namen „Vereinte Friedrichs-Universität“ erfolgte, war das Gebäude jedoch den wachsenden Aufgaben einer Universität nicht mehr gewachsen.
Nach zwei „königlichen Spenden“ Friedrich Wilhelms III. entstand an der gerade erbauten Alten Promenade (heute Universitätsring) auf dem abschüssigen Gelände eines ehemaligen Franziskanerklosters zwischen 1832 und 1834 ein neues Hauptgebäude nach den Plänen von Ernst Friedrich Zwirner (eines Schinkel-Schülers), Heinrich Matthias und August Stapel. Der spätklassizistische Bau, auch Zwirner-Bau genannt, blieb jedoch unvollendet, denn geplant waren für einen zweiten Bauabschnitt zwei Seitenflügel. Doch dazu kam es nie. War die „königliche Zuwendung“ zu gering oder waren die Baukosten gestiegen?
Wegen seiner kompakten Würfelform hieß das Gebäude im Volksmund schnell „Kaffeemühle“. Außerdem zeigte die Vorderfront mit einer breiten Freitreppe nicht nach Osten zur prächtigen Alten Promenade, sondern in die damals wenig anziehende entgegengesetzte Richtung. So war man in den folgenden Jahrzehnten stets um eine Aufwertung der Vorderseite des Gebäudes bemüht. Eine „Verschönerungsmaßnahme“ war 1868 die Versetzung des Löwenpaars (nach einem Modell von Johann Gottfried Schadow), das zuvor fast ein halbes Jahrhundert einen Brunnen auf dem Marktplatz geziert hatte.
Als Heinrich Heine in Halle weilte, hatte er das Löwenpaar noch dort gesehen und dichtete darauf den Spottvers:
Zu Halle auf dem Markt,
Da stehn zwei große Löwen.
Ei, du hallischer Löwentrotz,
Wie hat man dich gezähmet!
Das war eine Anspielung auf die zweimalige Schließung der Fridericiana-Universität durch Napoleon 1806 und 1813. Zugleich prangerte Heine damit die politischen Verhältnisse in ganz Deutschland an. Übrigens war das Löwenpaar ein Geschenk des Magistrats der Stadt Halle – mit ausdrücklichem Hinweis auf Heine. Das war sicher auch der Grund, warum die (immer noch „gezähmte“?) Universitätsleitung das Geschenk erst nach halbjährigen schwierigen Verhandlungen annahm.
Seit 150 Jahren flankieren die beiden Löwen nun die Freitreppe vor dem Universitätsgebäude, das die Hallenser aber nur „Löwengebäude“ nennen. Längst blicken die Figuren mit den üppigen Mähnen auf einen ansprechenden Vorplatz mit einem Ensemble von klassizistischen Universitätsgebäuden und dem neuen Auditorium maximum (2002). Seit der Restaurierung im Jahr 1992 befindet sich im Bauch des einen Löwen eine Kapsel mit verschiedenen Zeitdokumenten. Der Anthrazit-Farbton der Figuren entspricht jetzt wieder dem ursprünglichen Aussehen. Inzwischen ist das Löwenpaar auch ein Erkennungsmerkmal der Alma Mater geworden, so ziert neben dem bekannten Doppelsiegel auch ein Löwenkopf etliche Publikationen und Internetauftritte der Universität.
Natürlich sind die beiden Löwen auch ein beliebtes Fotomotiv, doch man sollte möglichst der Versuchung widerstehen, eine der Figuren zu erklimmen. Eine studentische Erfahrung lautet nämlich: Wer einen der Löwen sattelt, der fliegt durch das nächste Examen.
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