21. Jahrgang | Nummer 15 | 16. Juli 2018

Bilder einer Ausstellung, bei Licht betrachtet

von Angelika Leitzke

Irgendwie hatte ich vergessen, wie es in der Geisterbahn zugeht: sich fallen lassen, nicht nachdenken, nicht umkippen, heil wieder herauskommen.
Pech für einen, der sich in die immersiven Räume einer „Welt ohne Außen“ im Martin-Gropius-Bau begibt. Daher stieß ich mir als Geisterfahrer beim Kriechen durch einen roten Raumtunnel erst einmal saftig den Kopf an, den Künstler und sein Machwerk verfluchend. Zuvor stellte ich beim Betrachten von spiegelblanken Glaswänden fest, dass ich mal wieder dringend zum Friseur müsste. In einer kunstfreien, aber durch Türen fest verriegelten Zone erschrak ich als noch nicht ärztlich diagnostizierter Klaustrophobiker. Zudem wurde ich von drei wild tanzenden Aufsehern unter dem Ruf „This is so contemporary“ umzingelt. Wenigstens fuhr keine Kasperle-Pritsche aus einer Ecke hervor, die mich auf contemporary prügeln wollte.
Nicht prädestiniert war ich auch für das Verweilen in einer Dunkelkammer, in der ich, auf knirschendem Sand taumelnd, mit einem neunminütigen virtual reality trip made by Raumschiff Enterprise konfrontiert wurde. Das Ganze akkustisch-hermetisch berieselt und bestrahlt von Techno-Sound. In den christlichen Katakomben von Paris herrschen zumindest mehr Licht und Ruhe, wenn auch die Durchreise etwas länger währt.
Im „Tea-Room“, hübsch ausstaffiert mit japaneskem Zubehör, nur dass hier kein Tee angeboten wurde, hielt ich die junge grazile Ostasiatin, die reglos vor einem Computer verharrte, tatsächlich für ein Kunstwerk. Also bloß nicht ansprechen! Das dahinterliegende Kabinett, abgedämmt mit Vorhängen und Fußbodenmatten, erinnerte mich an eine kostenlose Yoga-Schnupper-Stunde, neuerdings unterlegt mit Synthesizer Music. Immerhin waren einige Kandidaten so mutig, auf den Matratzen das Relaxen zu üben.
Unter der Vorwarnung der Ausstellungsmacher, „für Epileptiker und Migräne-Patienten nicht geeignet“, setzte ich rasch meine Sonnenbrille mit dem Ultra UV-Schutz gegen Hochgebirgssonne auf die Nase, als ich eine Stroboskop-Wand passierte, die Angst im Nacken, ich könnte hinterrücks vom Blitz erschlagen werden.
Den schneeweißen leeren Raum, an einer Front ein ebenso schneeweiß leuchtendes Lichtobjekt, würde ich hingegen Kunstinteressierten mit progressivem Katarakt keineswegs empfehlen. Er hat auch den Nachteil, dass er den Tinnitus befördert, da er sogar das Husten der Flöhe hören lässt – dank der lärmdämmenden Filzschlappen, die man sich als Parkettschoner und stiller Performanceteilnehmer überzuziehen hat.
Denjenigen Besuchern, die mit VR-Brillen auf Einlass in Séparées warteten, hinter denen ich eigentlich ein besseres Nagelstudio vermutete, wollte ich mich nicht anschließen. Und eine „Duftorgel“ der sensitiven Gerüche hätte meine bereits überstrapazierten Sinne komplett überfordert. Demzufolge verweigerte ich auch meine Mitwirkung an den in raffiniertem Timing angebotenen Workshops, die meinen Gang durch die Ausstellung auf etwa vier bis sechs Stunden ausgedehnt hätten.
Interessanterweise bekam ich erstmals die sonst allein dem Personal zugänglichen Hintertreppenhäuser des Gropius-Baues zu Gesicht. Nur als ich beim Blick von meiner Geisterbahn aus der ersten Etage hinunter in das Atrium des Hauses ein Spiegelbassin zum Bestandteil meiner Geisterfahrt erklärte, wurde ich von einem Wärter eines Besseren belehrt: Das sei nicht Teil der Ausstellung.
Auch eine „Welt ohne Außen“ hat eben ihre Grenzen. Sie liegen jedoch vor allem in der Gesundheitstauglichkeit der Besucher, egal, ob sie nun wissen, dass contemporary-being heute eben einfach absolut contemporary ist.

„Welt ohne Außen – Immersive Räume seit den 60er Jahren“ – noch bis 5. August im Martin-Gropius-Bau, Berlin.