von Ulrich Kaufmann
Arme Poeten kennt die Literaturgeschichte seit es Dichtung gibt. 1812 stellt August von Kotzebue einen solchen auf die Bühne. Jahrzehnte später wird ein armer Dichter liebevoll-ironisch von Carl Spitzweg gemalt, mit Nachtmütze, kränkelnd im Sessel. Die gestandene Erzählerin Kathrin Groß-Striffler, Döblin-Preisträgerin, kennt die Härten, Tücken und Eitelkeiten des heutigen Literaturbetriebs genau. Durch einen Geschlechtertausch schafft sie Distanz, um grotesk übersteigert Schaffensprobleme Schreibender am Beispiel eines fiktiven männlichen Kollegen darzustellen.
Ein Literaturkritiker sollte mit Autoren sorgsam und vorsichtig umgehen. Er könnte sonst – wie im vorliegenden Buch – tragisch enden. In Anlehnung an Martin Walsers Roman „Tod eines Kritikers“ wird in der Buchmitte detailliert geschildert, wie der Schriftsteller und Ich-Erzähler Sven Bogner seinen Rezensenten bestialisch ermordet. Grund war ein Verriss in der Zeit: „Da lachen die Hühner.“ Ob dieser Tatbestand der „Wahrheit“ entspricht oder nur in den Tag- und Nachtträumen Bogners stattfand, möge der aufmerksame Leser erkunden.
Auf besondere Weise wurde der Titel „Der arme Poet“ auf das Cover gedruckt: Das „a“ im Adjektiv kippt nach vorn. Dies könnte auf Heiter-Komisches verweisen. Unser Protagonist hat wahrlich viele Probleme. Nach langer Bedenkzeit will er die Großstadt verlassen und zu seiner Frau, die ihn im mehrfachen Sinne aushält, in ein Kaff ziehen. Seiner Schreibkrise folgt nach der Umzugsdepression die Schreibblockade. Auch nach Fahrten auf die Dörfer und in die Natur, von Gattin Theresa angeregt, küsst ihn die Muse nicht. Zum Schreiben unfähig, schildert er dem Publikum (das er gelegentlich beschimpft) mündlich sein aktionsarmes Leben als erfolgloser Poet und lebensuntüchtiger Hausmann. Bogners ärmliches Dasein liefert den Stoff für dieses „Romänchen“, während der Protagonist selbst über Jahre vergebens auf Stoffsuche war. Bei den meisten der geschilderten Aktionen handelt es sich um Bogners immer finsterer werdende Fantasien.
In das Kaff passt Sven Bogner nicht. Er hält sich als Intellektueller in Lodenmantel mit hochstehendem Kragen für etwas Besseres. Immer wieder lässt er den Oberlehrer raushängen, spreizt sich als „Lateiner“, breitet sein literarisches Wissen aus. Um seinem Geschwätz einige Tiefe zu verleihen, befragt er stets und ständig sein „Etymologisches Wörterbuch“. Wiederholt stellt er sich neben Franz Kafka und Thomas Bernhard, auch um sich noch deutlicher von jenen „Schrottautoren“ abzuheben, die das Schaufenster des einzigen Buchladens im Kaff zieren. Bogners eigenes Buch hingegen ist dort nicht zu finden.
Ein Literaturliebhaber schätzt „seine“ Autoren, verzeiht ihnen manches. Dem Egozentriker Bogner aber, der sich gewaltig überschätzt, um sich anschließend tagelang selbst zu bemitleiden, gilt kaum die Sympathie des Lesers. Die aus Rumänien stammende pragmatische und solidarische Frau Theresa, sein „Ehegespons“, ist wesentlich sympathischer. Bogner betrachtet seine tüchtige Frau oft abschätzig, auch weil sie sich angeblich nur für Mankells Krimis interessiert.
Es ist bemerkenswert, wie die Autorin die Innenwelt der Männer im Allgemeinen und die Bogners im Besonderen beschreibt. In dessen Haut zu schlüpfen heißt, seine deftige, obszöne und abschätzige Sprache zu benutzen. Dabei übertritt Groß-Striffler, etwa in der Mordszene, gelegentlich die Grenzen des Zumutbaren.
Der Roman verzichtet auf eine Einteilung in Kapitel, wohl um Bogners Redeschwall nicht zu unterbrechen. Heiteres und viel Beklemmendes erlebt der Leser abwechselnd. Bei einem Drama würde man von einer Tragikomödie sprechen. Nicht nur heiter ist es, wenn Bogner, um endlich Geld zu verdienen, an der Volkshochschule seines Kaffs mehr als dürftig bezahlte Veranstaltungen zu Büchern Thomas Bernhards anzubieten gedenkt. Die Ortsschickeria, falls sie denn liest, bevorzugt „Schrottliteratur“. Viele Bürger in Bogners Wohnort beherrschen nicht einmal die grammatischen Grundregeln ihrer Muttersprache. Dies gilt auch für die üppige Eva, in die sich der Dichter in seiner Verzweiflung glaubt verliebt zu haben. Einige der Begegnungen finden gar in einem paradiesischen Garten unter Apfelbäumen statt.
Das Romancover nutzt ein Detail aus dem Gemälde „Schlaraffenland“ (1556) von Pieter Brueghel d. Ä. – was das Impressum verschweigt. Man sieht ein aufgeschlagenes Ei, das auf Hühnerbeinen steht. Im Buch kommt Groß-Striffler auf dieses Detail zu sprechen, auch als sie schildert, wie Bogner, Döblin-Preisträger wie sie, grübelnd-abwägend plant, Spiegeleier zu braten…
Der Autorin ist ein geistreicher, locker komponierter Roman mit einer imposanten und parabelhaften Exposition gelungen, die im Kontrast zu einem den Text umrahmenden knappen Schluss steht. Der wiederum verdeutlicht nochmals die fantastischen Züge des Erzählten. Kathrin Groß-Strifflers kaum zu bändigende Lust am Fabulieren, an der Sprache, am Wortwitz wirken ansteckend. Trotz des heiteren Sujets geht es um die große Frage, welchen Platz herausragende und andere Künstler in unserer sich hektisch wandelnden Gesellschaft haben ober haben sollten.
Kathrin Groß-Striffler: Der arme Poet. Roman. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2018, 232 Seiten, 18 Euro.
Schlagwörter: Kathrin Groß-Striffler, Roman, Ulrich Kaufmann