21. Jahrgang | Nummer 5 | 26. Februar 2018

Sinneswandel?

von Klaus-Dieter Felsmann

Es muss um die Weihnachtszeit gewesen sein, da wurde Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke offenbar von einer Erleuchtung gesegnet. Seine dabei gewonnenen Erkenntnisse hat er in einem Interview dem dpa-Journalisten Rochus Görgen mitgeteilt. Mit gewissem Erstaunen konnte man davon in den Neujahrsausgaben einiger Zeitungen lesen. Woidke hatte entdeckt, dass das Erneuerbare Energiegesetz (EEG) zur größten Geldumverteilung von unten nach oben seit 1945 geführt habe. Jeder einzelne Deutsche zahle dafür über seine Stromrechnung aktuell zirka 350,00 Euro pro Jahr. Der Empfänger einer Mindestrente wird also in gleichem Maße zur Kasse gebeten wie ein Einkommensmillionär. Der gut Betuchte habe im Gegensatz zum Rentner allerdings die Möglichkeit, seinen Obolus mit geradezu sittenwidriger Rendite zurück zu bekommen. Er müsse nur in einen Fond für Windturbinen oder Biogasanlagen investieren und sein Vermögen vermehre sich auf geradezu märchenhafte Weise. Laut Woidke haben aktuell rund acht Millionen Deutsche auf entsprechende Art investiert. Gewinne sind garantiert, weil entsprechend EEG jedem Windkraftanlagenbetreiber aus dem Aufkommen der Stromkunden verbindlich Geld gezahlt wird. Egal ob seine Anlage bei Flaute still steht, oder ob er bei Stürmen so viel Strom liefert, dass der an Nachbarländer verschenkt werden muss, weil er hierzulande nicht verbraucht werden kann.
Das alles müsse zu einem Umdenken führen, so forderte Woidke. Der empörte Aufschrei der EEG-Lobby war kurz, dafür aber umso heftiger. Die Grünen als deren politisches Sprachrohr geißelten den Ministerpräsidenten Brandenburgs als „Torpedierer“ des Klimaschutzes, und sie zielten dabei in gewohnt moralisierender Weise wirkungsvoll auf dessen Achillesferse, den Braunkohlentagebau in der Lausitz. Der Ministerpräsident tauchte daraufhin sehr schnell ab. Dabei haben es seine Kontrahenten nicht einmal für notwendig erachtet, auf dessen eigentliche Fragestellung einzugehen.
Nun kann man zwar versuchen, signifikante Probleme hinter einem ideologischen Nebel zu verbergen. Bekanntermaßen breiten sie sich nunmehr im Verborgenen umso hartnäckiger aus. Via Vergleichsportal Check 24 konnte jeder Interessierte aktuell erfahren, dass in Deutschland vermittels EEG-Umlage europaweit inzwischen die höchsten Strompreise gezahlt werden. Nach Preissteigerungen von 39 Prozent in den letzten zehn Jahren konnte man gerade mit Dänemark als Spitzenreiter gleichziehen. Zirka 30,5 Cent/kWh werden hier im Durchschnitt verlangt, in Polen gerade mal 14,6 Cent/kWh. Dort, wo besonders viel Windstrom erzeugt wird, werden die Kunden darüber hinaus noch besonders gebeutelt. Zahlt eine Standardfamilie in Bremen für 5000 Kilowattstunden jährlich 1376 Euro, so müssen im Woidke-Land für die gleiche Strommenge 1707 Euro aufgebracht werden. Das ist alles ärgerlich, betrifft aber die Menschen in Potsdam noch in ähnlicher Weise wie jene auf der Nauener- oder Lebuser-Platte. Wer allerdings in letztgenannten ländlichen Regionen lebt, wird darüber hinaus von immer mehr Windturbinen geplagt, die nicht nur wegen der damit verbundenen Landschaftszerstörung die Lebensqualität erheblich einschränken. Wer wissen will, worauf das hinausläuft, der muss nur einmal auf der A 9 gen Süden fahren und sich den Windpark zwischen Weißenfels und Naumburg ansehen. Dort hat sich eine Industrieanlage ausgebreitet, die in Nichts den dort nahe gelegenen Leuna-Werken zu besten Auslastungszeiten nachsteht. Jeder kann sich fragen, ob er in solcher Umgebung leben will.
Woidkes SPD und die mit ihr verbandelte Linke hatten Anfang Februar Gelegenheit, mäßigend in die in Brandenburg schon längst aus dem Ruder gelaufene Energiewende einzugreifen. Die Fraktion BVB/Freie Wähler bot mit einem Antrag zur Ausweitung des Schallschutzes bei Windkraftanlagen eine entsprechende Vorlage. Hierzu muss man wissen, dass zwar immer behauptet wird, Rotorgeräusche und Infraschall hätten keine gesundheitsschädigenden Auswirkungen, eine aussagekräftige Studie dazu verweigern aber die Investoren und sie werden von der Politik dazu auch nicht aufgefordert. Dabei besagt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 2 Absatz 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Wer beispielsweise ein Medikament in Umlauf bringen will, muss nachweisen, dass damit keine erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden sind. Ähnliches wird mit Blick auf Windkraftwerke nicht gefordert. Hier zeigt sich eine Ignoranz, die schließlich auch die jüngste Abstimmung im Brandenburger Landtag bestimmte. Gemeinsam mit den Grünen schmetterte die Koalition den Schallschutzantrag ab. In Konsequenz dessen hätte man über die viel zu geringen Abstandsregeln zwischen den Industrieanlagen und der Wohnbebauung nachdenken müssen. Eintausend Meter sind bei über 200 Meter hohen Anlagen viel zu wenig. Doch Investorenschutz zählt offenbar mehr als Bevölkerungsschutz. Ach Dietmar Woidke, neu gewonnenes Bewusstsein muss trainieren werden, sonst ist man schnell wieder von alten Gedanken vereinnahmt!
So rumort es folgerichtig in den Dörfern weiter. Wie das in etwa aussieht, hat Juli Zeh in ihrem Bestseller „Unterleuten“ ganz schön beschrieben. Doch gerade dieses Buch macht auch deutlich, wie wenig Literatur heute im öffentlichen Diskurs tatsächlich bewegen kann, Die von Zeh aufgegriffenen sozialen Konflikte im Umfeld der Energiewende bleiben zwischen den Buchdeckeln, weil die Meinungsführer des Landes davon nichts wissen wollen.
Wenn sich Gemeindevertretungen oder Bürgerinitiativen in den ländlichen Räumen nahezu flächendeckend gegen den weiteren Ausbau der Windenergie positionieren, werden sie regelmäßig durch übergeordnete Instanzen diszipliniert. Versteckt im Regionalteil der diversen Medien wird das immerhin noch reflektiert. In der Märkischen Oderzeitung vom 18. Januar 2018 etwa unter der wahrlich mutmachenden Schlagzeile: „Don Quijotes Kampf geht weiter“.
In der überregionalen Öffentlichkeit merken Zeitungsleser und Fernsehzuschauer kaum etwas von den Konflikten. Immerhin hatte der Magdeburger Umweltökonom Joachim Weimann im Berliner Tagesspiegel im September letzten Jahres Gelegenheit, das entsprechende Problem zu benennen. Bundesweit gibt es nach seinen Aussagen über 1000 registrierte Bürgerinitiativen, die sich gegen die Errichtung von Windkraftanlagen richten. In Kürze werde das 10 Prozent aller deutschen Gemeinden betreffen. Zusammengenommen betrifft das mehr Menschen, als einst in Wackersdorf oder im Wendland gegen die Atomkraft protestiert haben. Kann man das wirklich folgenlos ignorieren?
Offenbar sind die Weihnachtstage eine Zeit, wo entsprechende Zweifel aufkommen können. Das heißt aber leider nicht, dass damit auch ein nachhaltiger Sinneswandel verbunden wäre. Geldvermehrungsmaschinen haben halt so ihre gewisse Faszination.