von Frank Ufen
Man nehme 48 Probanden, von denen sich die eine Hälfte als vehemente Gegner, die andere Hälfte als gnadenlose Verfechter der Todesstrafe versteht. Die Testpersonen werden gebeten, zwei (fingierte) wissenschaftliche Analysen gründlich durchzuarbeiten. Die Befunde der einen Untersuchung sprachen dafür, dass Hinrichtungen abschreckend wirken. Die Befunde der anderen sprachen eindeutig dagegen.
Als die amerikanischen Sozialpsychologen Charles Lord, Lee Ross und Mark Lepper dieses Experiment in den späten 1970er Jahren anstellten, machten sie eine verblüffende Entdeckung: Wer die Todesstrafe von vornherein abgelehnt hatte, lehnte sie jetzt noch entschiedener ab. Und wer sie von Anfang an befürwortet hatte, tat es nun noch leidenschaftlicher. Denn die Probanden fanden nur diejenige Analyse überzeugend, die ihre eigene Überzeugung bestätigte, wohingegen sie die andere Analyse als Machwerk abtaten.
Die israelische Sozialpsychologin und Neurowissenschaftlerin Tali Sharot und ihr Kollege Cass Sunstein haben ein ähnliches Experiment mit Versuchspersonen durchgeführt, die eine von Menschen verschuldete Aufheizung der Erdatmosphäre entweder leugneten oder sie für ein unbestreitbares Faktum hielten. Den Probanden wurde zunächst mitgeteilt, dass die Klimaforschung mit einem globalen Temperaturanstieg um 3,3 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 rechne. Einige Zeit später wurde der einen Gruppe mitgeteilt, dass nach dem neuesten Stand der Forschung ein Temperaturanstieg von bloß noch 0,5 bis 2,7 Grad Celsius zu erwarten sei. Die andere Gruppe erhielt die alarmierende Nachricht, die neuesten Erkenntnisse würden darauf hindeuten, dass ein Temperaturanstieg von 3,8 bis 6,1 Grad sehr wahrscheinlich sei.
Auch bei diesem Experiment kam heraus, dass die Probanden von ihrer vorgefassten Meinung nicht abzubringen waren. Diejenigen, für die kein Zweifel an einem Klimawandel bestand, beeindruckten ausschließlich die alarmierenden Nachrichten. Und diejenigen, die von einem Klimawandel nichts wissen wollten, waren bloß für die beruhigenden Nachrichten empfänglich. Sharot schließt daraus: Das Denken anderer Menschen werde gerade nicht verändert, wenn man sie mit Informationen konfrontiert, die mit ihrem Weltbild kollidieren.
Doch warum – fragt Sharot – hat die Evolution die menschliche Spezies mit einem Gehirn ausgerüstet, das dazu neigt, Informationen abzuwehren, die mit seiner Weltdeutung nicht im Einklang stehen? Weil – erklärt Sharot – in den meisten Fällen Behauptungen, die dem krass widersprechen, was man schon weiß, durch und durch falsch sind.
Doch müssten nicht Versuchspersonen, die gut mit Zahlen umgehen können und einiges von formaler Logik verstehen, gegen den Bestätigungsfehler gefeit sein? Auch das hat man empirisch erforscht, und wiederum ist etwas Überraschendes dabei herausgekommen. Nur wenn diese Versuchspersonen mit Fragen konfrontiert wurden, die mit ihrem Alltagsleben wenig zu tun hatten, werteten sie die Daten rational-objektiv aus. Doch bei Themen, die sie nicht kalt ließen, deuteten die Probanden die Daten so lange um, bis sie genau zu ihrer eigenen Sichtweise passten.
Im Zentrum des neuesten Buchs von Tali Sharot stehen die Strategien, die Menschen mehr oder weniger bewusst anwenden, wenn sie das Denken und Handeln anderer in eine bestimmte Richtung zu lenken versuchen. Sharot geht es in erster Linie darum zu zeigen, dass etliche dieser Strategien – beispielsweise Drohungen, Warnungen, moralische Appelle, das Einschränken von Handlungsspielräumen oder das Bombardieren mit Statistiken – schlecht funktionieren, weil sie nicht zur Kenntnis nehmen, wie das menschliche Gehirn arbeitet. Nach Sharot sollte man stattdessen auf Anreize, materielle und symbolische Belohnungen setzen. Man sollte bei den Emotionen, Bedürfnissen und Interessen der anderen ansetzen und an ihre Grundüberzeugungen andocken. Und man sollte ihnen so viel Handlungsautonomie wie möglich einräumen.
Tali Sharots Buch hat einige Längen und neigt mitunter zu Übervereinfachungen. Doch das fällt kaum ins Gewicht. Ein Buch, aus dem man ohne größere Anstrengungen viel lernen kann.
Tali Sharot: Die Meinung der anderen. Siedler Verlag, München 2017. 304 Seiten, 24,99 Euro.
Schlagwörter: Frank Ufen, Rezension, Sozialpsychologie, Tali Sharot