20. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2017

Lamento

von Theobald Tiger (1931)

Der deutsche Mann
Mann
Mann –
das ist der unverstandene Mann.
Er hat ein Geschäft, und er hat eine Pflicht.
Er hat einen Sitz im Oberamtsgericht.
Er hat auch eine Frau – das weiß er aber nicht.
Er sagt: „Mein liebes Kind … „ und ist sonst
ganz vergnügt –
Er ist ein Mann. Und das
genügt.
 
 
Der deutsche Mann
Mann
Mann –
das ist der unverstandene Mann.
Die Frau versteht ja doch nichts, von dem, was ihn quält.
Die Frau ist dazu da, dass sie die Kragen zählt.
Die Frau ist daran schuld, wenn ihm ein Hemdknopf fehlt.
Und kommt es einmal vor, dass er die Frau
betrügt:
Er ist ein Mann. Und das
genügt.
 
 
Der deutsche Mann
Mann
Mann –
das ist der unverstandene Mann.
Er gibt sich nicht viel Mühe, wenn er die Frau umgirrt.
Und kriegt er nicht die eine, kommt die andere angeschwirrt.
Daher der deutsche Mann denn stets befriedigt wird.
Hauptsache ist, dass sie bequem und sich
gehorsam fügt.
Denn er ist Mann. Und das
genügt.
 
 
Der deutsche Mann
Mann
Mann –
das ist der unverstandene Mann.
Er flirtet nicht mit seiner Frau. Er kauft ihr doch den Hut!
Sie sieht ihn von der Seite an, wenn er so schnarchend ruht.
Ein kleines bißchen Zärtlichkeit – und alles wäre gut.
Er ist ein Beamter der Liebe. Er läßt sich gehn.
Er hat sie doch geheiratet – was soll jetzt noch
geschehn?
Der Mensch, der soll nicht scheiden, was Gott
zusammenfügt.
Er ist ein Mann. Und das
genügt.