von Herbert Wulf
Es tut sich etwas in der Rüstungs-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik der EU. Ob zum Besseren, wie vor allem die EU-Kommission erklärt, bleibt abzuwarten. Seit Jahrzehnten steht die Schaffung einer einheitlichen und gemeinsamen europäischen Politik auf der politischen Agenda. Doch mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), mit dem Maastrichtvertrag im Jahr 1993 verabschiedet, und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), im Vertrag von Nizza im Jahr 2003 verankert, verhielt es sich bislang so ähnlich wie mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Das entsprach weder einer Nation, noch war es deutsch und schon gar nicht heilig. Die GASP wie auch die ESVP blieben bislang ein Widerspruch in sich selbst. Fast alles in der Rüstungs-, Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurde jeweils national und nicht europäisch, oft im Widerspruch zur Politik anderer Mitgliedsländer durchgeführt, aber keineswegs gemeinsam.
Betrachtet man die jüngsten Aktivitäten der EU-Kommission in diesem Bereich und auch in der Entwicklungszusammenarbeit, dann deutet sich ein Wandel an. Im Zeichen des Ukrainekonfliktes, des Syrienkrieges, des Flüchtlingsstroms nach Europa und der Terroranschläge in mehreren europäischen Städten, sah sich die EU einer Reihe von Gefahren und Bedrohungen ausgesetzt und die Außenbeauftragte Frederica Mogherini sprach von „einer Zeit existenzieller Krisen“. Vorbei scheinen die Zeiten als im Jahr 2003 in der ersten EU Sicherheitsstrategie Javier Solana von „einem sicheren Europa in einer besseren Welt“ sprach und der damalige Kommissionspräsident Prodi ein Europa „umringt von Freunden“ beschrieb. Kein Kontinent kämpft an seinen Grenzen mit so vielen Krisen und Konflikten.
Auf die neuen Herausforderungen reagierte die EU mit einer „Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU“, die von Mogherini am 28. Juni 2016 vorgelegt wurde. Verpackt in vielen unverbindlichen Absichtserklärungen werden dort fünf Prioritäten benannt: Erstens – die Sicherheit der Union, vor allem Schutz gegen Terrorismus, zweitens – Stärkung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) des Staates und der Gesellschaft in der östlichen und südlichen Nachbarschaft, drittens – ein umfassender oder integrativer Ansatz für Konflikte und Krisen, viertens – Unterstützung für regionale Ordnungen weltweit und fünftens – Unterstützung für global gute Regierungsführung im 21. Jahrhundert mit einer Stärkung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen. So weit, so gut.
Zwei Ereignisse der letzten Zeit haben diese Absichtserklärungen in der Strategie für ein autonomes Europa besonders relevant werden lassen. Einmal der Brexit; denn in der EU haben sich die Briten stets gesperrt, wenn es um eine Stärkung der Rolle einer EU-Rüstungs- und Verteidigungspolitik ging. Dieses Hindernis scheint mit dem beabsichtigten Austritt Großbritanniens aus der EU beseitigt und nun soll intensiver kooperiert werden. Zum anderen die kritischen Äußerungen des amerikanischen Präsidenten Trump zur EU und zur NATO und vor allem seine Forderung, die jährlichen Militärausgaben der NATO-Länder auf zwei Prozent des Bruttossozialproduktes zu erhöhen. Mehr Geld für was, fragen sich die Experten.
Es ist nachvollziehbar, dass die Rüstungsindustrie derartige Forderungen begrüßt. Doch warum befürworten Politiker in Deutschland und in der EU diesen Vorschlag eines erratischen Präsidenten, der durch tägliche Handlungen und Meinungswechsel seine Inkompetenz unter Beweis gestellt hat? Was steckt hinter der Idee erhöhter Militärausgaben? Welche Strategie wird damit verfolgt: mehr Waffen, mehr Soldaten, für Machtprojektion, für globale Interventionen? Dies sind ad hoc Maßnahmen ohne Kompass und Strategie. Das Militärische steht im Vordergrund, zivile Konfliktbearbeitung oder Prävention spielen keine Rolle. Wer höhere Verteidigungsausgaben fordert, mehr oder modernere Waffen beschaffen will, eine größere Zahl Soldaten verlangt, der sollte zunächst ein Konzept vorlegen, was mit diesen Ressourcen erreicht werden soll. Was soll die EU konkret in Krisensituationen tun?
Ein Jahr nach der Vorstellung der EU-Strategie für ein autonomeres Europa legte die EU-Kommission nach und stellte am 7. Juni 2017 den „Europäischen Verteidigungsfonds“ vor, der zunächst Rüstungsforschung finanzieren und sukzessive bis auf eine Milliarde Euro pro Jahr im Jahr 2020 erhöht werden soll. Wer die diversen EU-Initiativen zur Europäisierung der Rüstungsindustrie in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, muss zu dem Schluss kommen, dass hier nicht „das Geld des Steuerzahlers“ effizienter ausgegeben werden soll, wie die EU Kommission vorgibt. Rüstungsprojekte in der EU waren immer durch Ineffizienz, Dopplungen, Industrielobbyismus, nationale Alleingänge und Verschwendung von Ressourcen charakterisiert. Es ist zu fürchten, dass dieser neue EU Rüstungsfonds derartige Politiken zum Nutzen der Rüstungsindustrie eher verstärken wird.
Die Wahrnehmung neuer Bedrohungen und neue Diskurse über Sicherheit haben das national-staatlich orientierte Verständnis von Sicherheit verändert. Drei unterschiedliche Entwicklungen verlaufen in der EU parallel: Erstens – die Supranationalisierung, indem Kompetenzen für Polizei und Militär auf die EU-Ebene verlagert werden. Zweitens – die Verwischung von innerer und äußerer Sicherheit. Obwohl diese Sphären schon immer zusammen hingen, ist die klare konzeptionelle und praktische Trennung, vor allem durch die Terrorbekämpfung, aufgelöst und durch Konzepte „vernetzter“ oder „integrierter“ Sicherheit abgelöst worden. Streitkräfte werden stärker zu Aufgaben für innere Sicherheit herangezogen und polizeiliche Aufgaben wurden internationalisiert, auch außerhalb der Grenzen der EU. Schließlich drittens– transnationalisierte Sicherheit: Durch erweiterte Aufgaben oder „Externalisierung“ der Polizei wurden inzwischen Polizeistreitkräfte auch außerhalb nationalstaatlicher Grenzen und auch außerhalb der EU tätig. Unter dem Begriff „Ertüchtigungspolitik“ werden staatliche Sicherheitskräfte in Ländern mit schwachen oder fragilen staatlichen Strukturen unterstützt. Dies geschieht im Wesentlichen durch Ausbildung und Lieferung von Hardware bis hin zu Waffen. Ausländische Streitkräfte, so in Mali, der Zentralafrikanischen Republik, Niger, Afghanistan und weiteren Ländern sollen mit diesen Programmen der Sicherheitssektorreform in die Lage versetzt werden, Sicherheit zu gewährleisten.
Vernetzt und integriert heißt im EU-Jargon, dass die Außen-, Sicherheits-, Rüstungs- und Entwicklungspolitik aus einem Guss und nicht wie so oft zuvor vereinzelt und zum Teil mit widersprüchlichen Zielen verfolgt werden sollen. So lobenswert wie selbstverständlich eine Politik aus einem Guss ist, bleibt doch die Frage, welche Ziele damit verfolgt und welche Prioritäten gesetzt werden.
Die in der EU-Strategie von 2016 oder auch in den im Juni 2017 veröffentlichten Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ besonders betonte zivile Komponente bleibt in der Regel auf der Strecke. Die EU-Kommission hat inzwischen den Vorschlag gemacht, das entwicklungspolitisch orientierte Programm „Instrument für Frieden und Stabilität“, das das EU-Parlament 2014 aufgelegt hat, für Polizei- und Militärhilfe zu öffnen. Das Ergebnis „integrierter“ oder „vernetzter“ Sicherheit ist also eine erneute Prioritätensetzung zu Gunsten von Polizei und Militär und zu Lasten der zivilen Komponenten.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Justiz, Polizei, Militär und Geheimdiensten mag erforderlich sein, um den Terrorismus oder transnational organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Doch die notwendigen demokratischen Kontrollmechanismen wurden nicht im gleichen Maße entwickelt wie diese Zusammenarbeit jenseits des Nationalstaates. Gerade in der Europäischen Union sind Kontrollen in diesem Bereich generell notorisch unterentwickelt. Öffentliche, demokratische Kontrolle im Sicherheitsbereich ist sowohl für den Schutz der Bürgerrechte erforderlich als auch für die Legitimation der Sicherheitsorgane. Es müssen deshalb verbindliche Normen für das Verhalten der Sicherheitsorgane und deren Kontrolle vereinbart werden. Doch davon sind wir in der EU, die zu Recht den Schutz von Menschenrechten propagiert, weit entfernt.
Schlagwörter: demokratische Kontrollmechanismen, Entwicklungspolitik, EU, Herbert Wulf, Rüstung, Sicherheitspolitik