von Gertraude Clemenz-Kirsch
Die Pariser Universität war schon vor 800 Jahren ein Glanzpunkt für die Studiosi vieler Länder. Große Gelehrte rangen hier um die Vervollkommnung und Vermittlung ihres Wissen: Guilleaume de Champeaux und dessen Schüler Pierre Abélard, der heilige Bernhard von Clairvaux oder Thomas Becket, der spätere englische Lordkanzler und Erzbischof von Canterbury. Es waren Champeaux und Abélard, die den Anstoß gaben, aus der Kapitelschule von Notre-Dame auf das linke Seineufer um die Abtei von Sainte-Geneviève zu wechseln. Allmählich wuchs daraus ein neues Gebiet für die Studiosi, das Quartier Latin, in dem Latein die offizielle Sprache war.
Das Gründungsstatut der Universität nennt zwar das Jahr 1210, „das berühmteste aller Kollegien aber ist jenes geworden“, Hermann Schreiber feststellt, „das der Bauernsohn Robert, der aus dem Dorfe Sorbon nach Paris gewandert war, mit Hilfe seines Königs in den Jahren 1254 – 1263 gründete und 1280 als Collège de Sorbon zehntausend Studenten aufgenommen hatte.“
In bescheidenen Kollegiumsherbergen hausten sie und oft waren es Martinets, mittellose junge Leute, die sich am Rande des Gesetzes über Wasser hielten. Sie brachten ein Bündel Stroh mit, auf dem sie während der Vorlesungen saßen, die die Professoren von den höher gelegenen Fenstern der umliegenden Häuser aus hielten. Die Rue du Fouarre, von der noch ein kleiner Abschnitt aus jener Zeit erhalten ist, zeugt davon – Fouarre ist eine Abwandlung des Wortes feurre, Stroh.
Abélard, der berühmteste Gelehrte, litt grausam auf Grund seiner Liebe zu Héloïse. Auf dem Pariser Friedhof Pierre Lachaise fanden beide in einem prächtigen Grabgewölbe ihre letzte Ruhe.
Hört die Geschichte: Der streitbare Philosoph Abélard, der 1114 in Paris Logik und Theologie lehrte, verliebte sich in die schöne, junge Studentin Héloïse, die bei ihrem Onkel, dem Kanoniker Fulbert lebte. Dieser nahm den jungen Gelehrten zur Ausbildung seiner Nichte in sein gastliches Haus auf. Abelard entbrannte in heißer Liebe zu Héloïse, die seine Gefühle erwiderte und schwanger wurde. Sie flohen sie zu Abélards Familie in die Bretagne, wo Héloïse einen Knaben zur Welt brachte. Fulbert, wahnsinnig vor Wut und Schmerz, sann auf Rache. Abélard, schlug ihm die Ehe mit Héloïse vor, allerdings sollte die Vermählung geheim bleiben.
Fulbert gab sich einverstanden und bekräftigte die Aussöhnung durch Handschlag, hatte aber Schreckliches vor. Héloïse warnte den geliebten Mann, dennoch ließen sie sich kirchlich einsegnen. Fulbert verriet das Geheimnis der Eheschließung, so dass sich Abélard veranlasst sah, Héloïse zu ihrem eigenen Schutze in ein Kloster zu bringen. In seinem Zorn nun bestach Fulbert den Diener, Abélard zu entmannen. Der, zutiefst gedemütigt, überlebte und zog sich in die Abtei Saint-Denis zurück. Sein Ruf war jedoch so groß, dass er später wieder Vorlesungen halten konnte. Leichter aber sollte sein Leben nicht mehr werden. Die Liebenden lebten nun getrennt voneinander und führten einen intensiven Briefwechsel.
Héloïse war inzwischen Priorin in ihrem Kloster geworden, doch die Nonnen wurden von Abt Suger vertrieben. Abélard leistete ihnen Beistand und holte sie in das Paraklet-Kloster, das er gegründet hatte. Er verfasste eine Ordensregel und schrieb Hymnen und Predigten für die Nonnen. Aus einem Brief von Petrus, des Abtes von Cluny, an Héloïse, geht hervor, dass Abélard seine letzten Tage im Kloster von Cluny verbrachte. 1142 starb er. Der Abt von Cluny sorgte dafür, dass Abélard im Paraklet-Kloster seine letzte Ruhe fand. Des Weiteren erfüllte er den Wunsch von Héloïse: „Schicket mir auch ein weiteres Schriftstück mit Eurem Siegel, das die Absolution unseres Meisters mit klaren Worten ausspricht, auf das wir es auf seinem Grabe anbringen!“
Héloïse starb 1164, und es war ihr Wunsch, neben dem geliebten Gatten und Lehrer bestattet zu werden.
Während der Französischen Revolution wurden das Kloster geschlossen und das Grab verwüstet. Erst 1817 wurden die sterblichen Überreste der Liebenden auf den Friedhof Père-Lachaise nach Paris gebracht. Seither ruhen sie vereint wieder in würdiger Umgebung.
„Im Grund bleibt jeder aufgerufen, sich ein eigenes Urteil zu bilden, ob der Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloisa eine Fiktion, eine Dichtung ist oder doch Wahrheit, ein Stück gelebter Wirklichkeit in dem so unerhört vielgestaltigen romanisch-frühgotischen XII. Jahrhundert Europas war,“ umreißt Walter Berschin das Dilemma der Nachgeboren seit Jahrhunderten.
Inzwischen hat sich allerhand geändert, doch die alten Quartiers finden wir noch vor. Natürlich ist viel Touristisches zu spüren, aber das ist auch gut so. Gut für uns und gut für die Stadt. Tausende und Abertausende leben davon. Schaut nur in die unzähligen Cafés und Restaurants hinein! Alle sind ständig gefüllt, die Gäste möchten gut und schnell bedient sein, möchten hervorragend speisen! Tische, Fußböden und Toiletten müssen sauber gehalten und gepflegt werden. Welch hoher Aufwand an Personal ist notwendig, um das alles zu bewerkstelligen.
Lasst uns unsere Schritte durch das Quartier Latin etwas beschleunigten und schauen, wo Picasso sein Atelier hatte und wo seine Geliebte Dora Maar wohnte.
Zwischen der Rue Gît-le-Cœur und der Rue Mazarine verläuft die Rue des Grands Augustins. „Die Straße war nach einem Kloster benannt, das während der Revolution abgerissen wurde. Diese Umgebung war so ganz nach Picassos Geschmack, mitten in Paris, mitten im Quartier Latin, im Universitätsviertel. Er hatte die beiden oberen Etagen des Patrizierhauses bezogen“, heißt es bei Erik Hazan.
Hier entstand 1937 sein großes Gemälde Guernica, sein Beitrag für den spanischen Pavillon zur Pariser Weltausstellung, und es war die gemeinsame Zeit seiner Liebe mit der Fotografin Dora Maar. Sie war es, die die Entstehung des Werkes in 45 Vorstudien mit ihrer Kamera festhielt. Tausende von Aufnahmen fertigte sie. Die künstlerische Zusammenarbeit festigte ihre Liebe, die sieben Jahre währen sollte.
Durch Picassos Untreue seelisch gebrochen und nie mehr von ihm loskommend, lebte Dora Maar zurückgezogen bis zu ihrem Tode im Juli 1997 ganz in der Nähe des Ateliers in der Rue de Savoie.
In einem der unzähligen kleinen Bistros in diesem Viertel kann man etwas essen und einen quart rouge dazu trinken, um Kräfte für die nächste Tour zu sammeln.
À propos Bistro! Das ist aus dem Leben des Parisers nicht fortzudenken. Er kann dort essen und trinken, Alkoholisches zu sich nehmen, Gepäck unter der Theke oder im Kellergeschoß aufbewahren und vor allen Dingen seine Zeit verbringen. Jeder Pariser hat sein eigenes Stamm-Bistro, das er niemals wechseln würde! Es muss nicht unbedingt in seinem Quartier sein. Wichtiger ist ihm die Nähe zu seiner Arbeit, dem Büro und der Métro. Aber … ob er das eine oder das andere Bistro zu seiner Niederlassung wählt, ist nicht etwa das Resultat eines Zufalls, es ist ein wohlbedachtes Abstraktum seines öffentlichen und privaten Lebens. Das Wort Bistro allerdings ist ziemlich unfranzösich. Es entstand, nachdem man Napoleon I. vertrieben hatte. 1814 kamen russische Truppen in die Pariser Region und auf der Place du Tertre kampierten die Kosaken. Unter Androhung strengster Strafen war es den Männern der Truppe untersagt, irgendwelche Schankwirtschaften aufzusuchen. Aber ничего, nicht mit uns, sagten sich die wilden Gesellen, und schrien schon im Hineingehen in die Wirtschaft: быстро, быстро! rasch rasch! Nachdem sie hintergestürzt hatten, was ihnen serviert worden war, verschwanden sie so schnell, wie sie gekommen waren. Die Pariser, immer auf Neuigkeiten versessen, tauften daraufhin ihr gutes altes Caféhaus in Bistro um. Geschehen an der Place du Tertre, im heutigen „A la Mère Cathérine“.
So entstehen Begriffe!
Santé et à demain!
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Bistro, Gertraude Clemenz-Kirsch, Paris, Picasso, Quartier Latin