20. Jahrgang | Nummer 5 | 27. Februar 2017

Joffe & Bittner – oder: Klatsche vom BGH

von Sarcasticus

Mancher wird sich noch entsinnen, dass es im April 2014 eine Ausgabe des Satiremagazins „Die Anstalt“ gab, die sich mit einer besonderen Spielart des unabhängigen Journalismus hierzulande beschäftigte und um die es anschließend handfesten Zoff gab. Das ZDF nahm die Sendung dann ziemlich rasch aus seiner Mediathek. Und dort ist sie bis zum heutigen Tage auch nicht wieder aufgetaucht.
Konkret hatte Claus von Wagner sein Extempore damit begonnen, dass er eine Tafel ins Bild schob, auf der zwölf honorige Vereinigungen versammelt waren: die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), American Council on Germany, The American Academy in Germany, die Trilaterale Kommission, The German Marshall Fund of the United States (GMF), die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), The Aspen Institute, American Institute of Contemporary German Studies (AICGS), die Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V. (DAG), die Atlantik-Brücke, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik und die Atlantische Initiative. Von Wagner fasste zuspitzend zusammen: „All diese Organisationen haben auf sicherheitspolitische Fragen immer dieselben Antworten: mehr Rüstung. Das sind sozusagen NATO-Versteher. In diesen Vereinigungen treffen sich Militärs, Wirtschaftsbosse und Politiker in diskreter Atmosphäre.“ Max Uthoff brachte es auf den Punkt: „Transatlantische Swingerclubs.“
Unter den auf der Tafel namentlich aufgeblockten führenden deutschen Journalisten, die in diesen Vereinen nicht etwa recherchierten, sondern vielmehr „Mitglieder, Beiräte, Vorstände“ seien (von Wagner), befanden sich gleich zwei von der Wochenzeitung DIE ZEIT: Joseph Joffe (Herausgeber) und Jochen Bittner (Redakteur mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik, Europa, Geheimdienste). Und es waren jeweils Linien zu jenen Organisationen gezogen, mit denen die in Verbindung standen oder stehen. Das Bild hatte entfernte Ähnlichkeit mit einem Schnittmusterbogen beziehungsweise zeigte, wie Uthoff formulierte: „[…] ein ganz schön dichtes Netzwerk.“
Uthoff: Der Joffe ist aber viel unterwegs, was? Hat der überhaupt noch Zeit zum Schreiben?
von Wagner: Was glauben Sie, warum DIE ZEIT nur einmal wöchentlich erscheint?
Uthoff: Der Herausgeber der ZEIT ist also bei mehreren Lobbyorganisationen. Aber das ist doch ein unabhängiger Journalist. Führt das nicht zu Interessenkonflikten?
von Wagner: Nein. Interessenskonflikte gibt es nur da, wo es verschiedene Interessen gibt.“
[…]
Uthoff: Sagen Sie mal, wer ist das denn da?
von Wagner: Jochen Bittner von der ZEIT.
Uthoff: Kenn’ ich nicht, mag ich nicht.
von Wagner: […] Sie wissen noch – die Rede vom Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz?
Uthoff: […] O Gott, mehr Bundeswehreinsätze im Ausland.
von Wagner: Die ist vorbereitet worden von einem transatlantischen Thinktank, vom German Marshall Fund of the United States, und da war zufällig jemand dabei – Jochen Bittner von der ZEIT.
Uthoff: Ja Moment, er wird doch genügend Anstand besessen haben, sein Schreiben für Gauck zu trennen von seinem Schreiben für DIE ZEIT.
von Wagner: Das wär’ schön. Neee, er hat, nachdem Gauck seine Rede gehalten hat, positiv über Gaucks Rede berichtet – in der ZEIT.
Uthoff: Moment mal, ein Journalist der ZEIT arbeitet an einem Strategiepapier mit, das die Außenpolitik Deutschlands neu ausrichtet und schreibt dann hinterher wohlwollend über diese Strategie?
von Wagner: Ja. Vergisst aber leider nur zu erwähnen, dass er an der Strategie selber mitgebastelt hat.
Uthoff: Sagen sie mal, ist das nicht verboten?
von Wagner: Ja. Aber nicht bei uns. In der New York Times zum Beispiel dürften Sie als Journalist so was gar nicht.
Uthoff: Und bei uns?
von Wagner: Da heißt das Qualitätsjournalismus.
Uthoff: Aber dann sind ja alle diese Zeitungen [genannt oder im Bild gezeigt worden waren zuvor auch die Süddeutsche Zeitung, die FAZ, DIE WELT und BILDS.] nur so etwas wie die Lokalausgaben der NATO-Pressestelle.
von Wagner: Das haben jetzt Sie gesagt. – Aber Sie haben’s schön gesagt.
Anzusehen und anzuhören ist zumindest diese Passage der Sendung übrigens auf YouTube.
(By the way: Warum die Berichterstattung der deutschen Leitmedien über Russland und seinen Präsidenten spätestens seit Ausbruch des Ukrainekonflikts unisono feindselig ist und warum was in Syrien von diesen Medien Kriegsverbrechen Russlands genannt, im Falle Afghanistans, des Irak und Libyens Friedens- und Stabilisierungsmissionen geheißen wird, muss man sich angesichts der gerade skizzierten Netzwerkelei an sich auch nicht mehr fragen.)
Doch zurück zum in Rede stehenden Beitrag in der „Anstalt“. Ob auch andere der dort namentlich aufgeführten Journalisten – etwa von der Süddeutschen Stefan Kornelius (Leiter des außenpolitischen Ressorts) oder von der FAZ Günther Nonnenmacher (Mitherausgeber) und Klaus-Dieter Frankenberger (Ressortleiter Außenpolitik) – durch diesen Beitrag vergleichbar not amused waren wie Joffe und Bittner, ist nicht bekannt. Auf einen Rechtsstreit mit dem ZDF jedenfalls, dass damit von der „Anstalt“ Falschbehauptungen, ihre Personen und ihre Verbindungen zu den aufgeführten Organisationen betreffend, in die Welt gesetzt worden seien, haben sich nur die letzten beiden eingelassen.
Dieses Verfahren apostrophierte der Anwalt Markus Kompa auf Telepolis treffend als den „wohl peinlichste[n] Presseprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte“, in dem sich Joffe und Bittner nicht „entblödeten […], das ZDF wegen ungenauer Darstellung einer in der Sache zutreffenden Kritik ausgerechnet durch Satiriker zu verklagen“. Es nahm bisher folgenden Verlauf: Joffe und Bittner unterlagen vor dem Landgericht Hamburg und gingen in Berufung. Damit gewannen sie gegen das ZDF vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg. Das ZDF beantragte daraufhin seinerseits eine Revision beim Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH ließ diese Revision zu und hob am 10. Januar 2017 die Entscheidung des OLG Hamburg zugunsten des ZDF auf.
In der Urteilsbegründung heißt es unter anderem, dass „sich dem Sendebeitrag im Wesentlichen nur die Aussage entnehmen [lässt], es bestünden Verbindungen zwischen den Klägern und in der Sendung genannten Organisationen. Diese Aussage ist zutreffend.“
Wer sich ob dieser Lanze des BGH für die Presse- und Meinungsfreiheit nun versucht fühlte, wäre er Bürger eines Nachbarlandes, frohgemut den Hymnus „Noch ist Polen nicht verloren“ anzustimmen, der sei vor kurzschlüssiger Euphorie allerdings gewarnt: Zweifellos ist die BGH-Entscheidung positiv und begrüßenswert, an den in dem inkriminierten Beitrag öffentlich gemachten Vernetzungen und an jener Art von Qualitätsjournalismus, wie ihn Joffe und Bittner verkörpern, ändert dieses Urteil gleichwohl leider nichts.
Und zwar – überhaupt nichts.