von Thomas Behlert
Wehrdienst in der DDR fand nicht immer mit der Waffe in der Hand statt, Wehrdienst in der DDR bedeutete auch: Gummiknüppel in die Hand! Ich war so ein „Pops“, so die Bezeichnung für jedes arme Schwein im ersten Diensthalbjahr, das so ein Ding aus Hartgummi zeitweise am Koppel hängen hatte. Als eine Art Volkspolizist, bloß mit unberührten grünen Schulterklappen und ganz ohne Dienstgrad, gab ich 18 Monate meiner Jugend für die innere Sicherheit der DDR hin. Dass ich zur kasernierten Bereitschaftspolizei musste, erfuhr ich erst in die Kaserne. Das bedeutete es für mich: Bei jedem Fußballspiel der heimischen Mannschaft – mit dem Rücken zum Spielfeld – die Fans beobachten, bei Staatsbesuchen Feldwege bewachen und bei Staatsjagden die betäubten Hasen aus dem LKW schmeißen, die Honecker, Mielke & Co dann doch verfehlten.
Gleich in den ersten Tagen saß ich mit weiteren Grundwehrdienstlern in einem unfreundlichen Speisesaal der Deutschen Reichsbahn und wartete auf den Einsatzbefehl, denn es war Oberligaspielzeit. Auf dem Gehweg vor unserem Aufenthaltsort vergnügten sich einige unscheinbare Jugendliche bei Vita Cola und Bockwurst, lustige Sprüche machten die Runde. Plötzlich stürmte unser Zugführer, ein frisch zum Leutnant „geschlagener“ Dödel, zu uns in den Raum und befahl mit lauter und eindringlicher Stimme die sofortige Mobilmachung. Schlagstöcke wurden gezückt, die Koppel enger geschnallt und die Haltegurte der Mützen unter das Kinn gezogen. Noch an nichts gewöhnt, wurde es meinen Kameraden und mir Himmelangst. Was wollen wir denn da draußen? Sollen wir wirklich Fußballfans mit diesem unheimlichen „Gummidings“ auf den rechten Weg zurück bringen und wohin darf man schlagen? Es kam der Befehl, die fröhlichen Jugendlichen vor unserem Fenster zur Ruhe zu bringen. Ein LKW fuhr vor, wie stürzten aus allen Türen und Fenstern auf die Gruppe und rangen eine Weile mit ihr. Unsere Argumente waren stärker und die Jugendlichen ziemlich verängstigt. Zack, alle verschwanden auf der Ladefläche des Einsatzfahrzeugs und dieses gleich um die Ecke zu den extra bei Fußballspielen eingerichteten Arrestzellen. Nicht lange danach sickerte die Wahrheit durch, Vorgesetzte konnten nicht dicht halten: Unser Leutnant hatte uns Ordner der FDJ verhaften lassen, die für die Regelung des Verkehrs eingesetzt werden sollten und sich auf dem Bahngelände trafen.
Was macht ein Uniformierter nach solch ansträngendem Tagwerk? Er versucht, sich mit Musik oder Kinofilmen am Leben zu erhalten. Musikalisch gab es nur dämliche Neue Deutsche Welle-Hits und den entsprechenden DDR-Abklatsch, mit dem sehr schlechten Song „Computerkarriere“ von den Puhdys und dem Krach der längst wieder vergessenen Combos Smokings, Juckreiz und Datzu. Also auf ins Kino, das in der Kaserne von einem Freund betreut wurde.
Das Armee-Kino hatte gerade den Streifen „The Last Waltz“ bekommen. Was war denn das für ein herrliches Zeug? Da gab es keine Offiziere, die den Tag bestimmen, keine sowjetischen Kampfgenossen, die mit bloßen Händen jede Menge Nazis erwürgen, sondern Musiker, die sich 1976 von ihren Fans in San Franciscos „Winterland Ballroom“ verabschiedeten. Es spielte die Band The Band, die 16 Jahre durch die Welt getingelt, durch Höhen und Tiefen (zum Beispiel ausgebuht beim Woodstock-Festival) gegangen war und berühmte Musiker begleitete. Viele Songs waren bekannt, denn, wenn man nicht gerade bei der Fahne war, zog man mit langen Haaren, als Blueser und Gammler, durch die Dorfkneipen der DDR und erlebte die Lieder frisch gecovert.
Unter den Superlativen der Pop-Geschichte rangiert das Abschiedskonzert von The Band ganz vorn mit: Bob Dylan, Neil Young, Eric Clapton, Muddy Waters, Emmilou Harris, Van Morrison, Ringo Starr und der Mann mit der erotischen Stimme, Dr. John, interpretierten mit den Mannen um Robbie Robertson gern gehörten Blues, Country und Rock Songs.
Manche mochten den Film und die Musik langweilig finden, denn Heavy Metal nagte gerade an den zarten Ohren, doch mich trug der Film, den ich mir 13 Mal mit Freude antat, durch eine hässliche Zeit.
Nun gibt es den Film wieder, nebst der Musik auf CD, denn man beging kürzlich 40 Jahre „Last Waltz“. Ein Blick in den Streifen lässt heute aber doch Langweile aufkommen, da nicht viel passiert auf der Bühne und Kino mittlerweile anders ist: In einem schönen Theater erscheinen nacheinander Musiker und zelebrieren noch einmal mit ihrer alten Begleitband die Lieder, durch die sie reich geworden sind. Dazwischen werden die The Band-Musiker Ricko Danko, Levon Helm, Garth Hudson, Richard Mamel und Robbie Robertson porträtiert. Da wird gebluest, genölt, die Gitarre geschlagen und auch mal echter Pop durchs Mikro genäselt.
Schade, die tolle Erinnerung verblasst, auch wenn es die Doppel-CD oder die 4-CD Box mit dem gesamten Audiomitschnitt und schließlich die opulente 6er-LP gibt. Nostalgiker werden besonders über die auf 2500 Exemplare limitierte 4-CD/2-Blu-Ray-DVD-Box jubeln, denn sie enthält das komplette Konzert, den Film „Last Waltz“ und als Zugabe von einigen Künstlern Songs, die nicht auf dem Konzert gespielt wurden, sowie Interviews und Texte von renommiertem Musikfachmännern.
The Band, „The Last Waltz“ (40th Anniversary Edition), Rhino/Warner Bros., verschiedene Formate, verschiedene Preise.
Schlagwörter: The Last Waltz, Thomas Behlert, Wehrdienst DDR