von Liesel Markowski
Das klavierbegleitete Sololied ist leider zur Seltenheit auf den Konzertpodien geworden. Ein Verlust. Fehlt es heutigen Sängern an Bezug zur lyrischen Dichtung und zur vokalen Intimität? Es scheint so zu sein, denn oft versteht sich konzertanter Sologesang als Folge auf dem Tasteninstrument begleiteter Arien. Und dies trifft keinesfalls jene in unserer Kulturgeschichte so eigene Verbindung von Poesie und Singen. Karriere und Starwesen stehen offenbar für Viele im Vordergrund. Um so mehr sind Interpreten hervorzuheben, die Liedkunst adäquat und aus heutiger Sicht pflegen.
Ein Konzertabend der international bekannten Sopranistin Christine Schäfer und ihres Klavierbegleiters Eric Schneider in der Berliner Philharmonie kann als herausragende Ausnahme gelten, die Maßstäbe setzte: künstlerisch wie programmgestalterisch. Bescheidenheit des Auftretens, ganz auf die Lieder, ihren Text und gesangliche Deutlichkeit orientiert, bestimmt Christine Schäfers Interpretationen. Sie erstehen in wunderbarer Partnerschaft zwischen Sängerin und Pianist, dessen Spiel, feinfühlig und klangschön, jeweils Wesentliches einer Vertonung erfasst. Eric Schneiders Klavier gibt einen Klangkommentar, Eindringlichkeit und Virtuosität dienen dem Ganzen, sind nicht Selbstzweck, sondern pointieren Charme und Strahlkraft des Gesanges.
Und die Programm-Auswahl? Keineswegs ein belangloses Nebeneinander: Vielmehr schienen die Vertonungen von Bach, Gustav Mahler, Hugo Wolf und Anton Webern inhaltlich aufeinander bezogen wie „Geschichten“ über Leben, Liebe und Tod. Mahlers Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ in ihren bekanntlich volksnahen Versen künden – wie „Rheinlegendchen“ und „Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald“ – von Naturschönheit und Liebesglück, aber ebenso von der Lebenstragik der kleinen Leute wie die traurigen Soldatenlieder „Revelge“ oder „Wo die schönen Trompeten blasen“, bei denen es um Krieg, Verwundung und Tod geht. Ebenso „Das irdische Leben“, in dem eine übergeschäftige Mutter ihr Kind verhungern lässt. Dieses Programm fokussiert gleichsam das Thema Leben und Bedrohung der Existenz – nahe unserer heutigen Situation. Daher werden Abfolgen unterbrochen, nämlich Johann Sebastian Bachs schlicht, choralartige Bitte um Befreiung von Kummer und Not zwischen die Mahler-Gesänge geschoben, ehe schließlich sein „Urlicht“ von Not und Tod erklingen kann.
Faszinierend wie Christine Schäfer Umfang und Schwierigkeiten solcher Dramaturgie von mehr als zwanzig Liedern (auswendig) bewältigt: stimmlich variabel und intensiv, den stilistisch unterschiedlichen Vertonungen souverän gewachsen. Denn die folgenden Lieder nach Eduard Mörike von Hugo Wolf nehmen das Thema Natur und Liebe in strengerer Diktion auf, was sich (trotz gewisser Behäbigkeit mancher Verse des Biedermeierdichters) eindrucksvoll mitteilte: in jubelnder Bravour das bekannte „Er ist’s, Frühling lässt sein blaues Band“ und, nicht weniger charmant, „Zitronenfalter im April“. Den Lauf erneut unterbrechend, griffen Anton Weberns knapp formulierte, Atonales verwendende Aphorismen nach Stefan George ins Geschehen um Liebe und Natur ein. Dann noch einmal Hugo Wolf mit Mörikes düsterer „Karwoche“ und „Auf einer Wanderung“ zu kapriziöser Eleganz gesteigert. Den beglückenden Schluss brachte Mahlers Wunderhorn – Gesang vom „Himmlischen Leben“: voll Übermut und Humor, mit allen Köstlichkeiten des Daseins ausgestattet – der Erde entflohen in den fröhlichen, sehr menschlichen Himmel.
Poetische Liedkunst wurde zum Erlebnis wundervoller Ausgewogenheit von Gesang und Klavier, erfüllt von hintergründiger Ruhe und Raum zum Nachdenken.
Schlagwörter: Christine Schäfer, Eric Schneider, Kunstlied, Liesel Markowski