19. Jahrgang | Nummer 22 | 24. Oktober 2016

Schutzengel für einen Solitär

von Thaddäus Faber

Den Baugrund für die protestantische Dreifaltigkeitskirche in Speyer schuf gewissermaßen Ludwig XIV., katholisch und König von Frankreich. Und zwar aufgrund seiner Verschwägerung mit der in Heidelberg gebürtigen Elisabeth Charlotte, Prinzessin von der Pfalz, besser bekannt als Liselotte von der Pfalz. Die war nämlich durch (dynastische) Verheiratung mit des Regenten Bruder zur Herzogin von Orleans nobilitiert.
Um sich Liselottes Erbe zu sichern, brach Ludwig den sogenannten Pfälzischen Erbfolgekrieg vom Zaune, der neun Jahre (1688–1697) währen sollte. Ziemlich zu Beginn wurde auf des Königs Befehl hin die überwiegend protestantische Stadt Speyer dem Erdboden gleich gemacht. Das geschah am 29. Mai 1689, der passenderweise – sowohl die Täter als auch die Opfer waren Christen – ein Pfingstsonntag war. Der Siedlungsplatz war daraufhin jahrelang fast völlig verwaist.
Im Zuge der Neubesiedlung, der Trümmerbeseitigung und des Wiederaufbaus erfolgte 1701 auch die doppelte Grundsteinlegung für die Dreifaltigkeitskirche – nämlich sowohl durch die Gemeinde als auch durch den Rat der Stadt. Letzterer ließ eine Zinntafel beilegen, der zu entnehmen war, dass man „nach der barbarischen Zerstörung der Stadt durch gallische Hände diese Kirche zum Ruhme Gottes und zur Zierde der Stadt“ errichte. Das zog sich bis 1717 hin.
Doch die Zeit wurde gut genutzt, denn die Speyerischen Protestanten stellten sich keine nüchterne Betscheune hin, wie sie seit der Reformation in vielen deutschen Landen aus dem Boden geschossen waren. Sie zeigten vielmehr, dass auch Protestanten Barock konnten: Sie gaben ihrem Gotteshaus nicht nur ein entsprechend gefälliges Äußeres, sondern statteten es im Inneren überdies mit einer begehbaren Bilderbibel aus – die komplette Holzdecke sowie sämtliche Paneele der entlang der Wände des Kirchenschiffes verlaufenden Doppelempore wurden mit biblischen Motiven bemalt. Die insgesamt 21 farbenfrohen großen Deckengemälde (1712–1714 geschaffen von Johann Christoph Guthbier) und 70 Emporenbilder (in Öl auf Nadelholztafeln 1714–1717 von Guthbier und Georg Leonhard Danner gemalt) sind überwiegend erhalten, ebenso wie vier weitere Tafeln mit Motiven aus der Kirchengeschichte, um die Max Theodosius Veiel den Emporenzyklus 1824 ergänzte.
Dieses Gesamtensemble sucht seinesgleichen unter den protestantischen Kirchen Europas. Welche Pracht die Leuchtkraft der Farben einst entfaltete, lässt sich seit vielen Jahren allerdings nurmehr erahnen, denn trotz wiederholter und nicht immer glücklicher Restaurierungen in der Vergangenheit sind die Bilder heute vor allem eines – dunkel. Die Malereien sind mit einer dicken Schmutz- und Rußschicht überzogen. Hinzu kommen weitere Schäden.
Seit Mitte 2015 ist die Dreifaltigkeitskirche im Zuge einer Gesamtsanierung geschlossen. Die begann 2007 und soll bis zum 300. Geburtstag der Kirche, ihrem Weihetag am 31. Oktober 2017, beendet sein.
Während die Renovierung des Außenbaus bereits erfolgt ist, fehlt es für die Sanierung im Inneren, einschließlich der Restaurierung der Bilder, trotz der erheblichen finanziellen Beiträge von Denkmalspflege, Land, Bund, Stadt und Kirche vor allem an einem – an Geld. Zumal auch die alte Orgel durch eine neue ersetzt werden muss, was allein mit 900.000 Euro zu Buche schlagen wird. Die Restaurierung eines Deckengemäldes ist auf 20.000 Euro veranschlagt, die eines Paneels auf immerhin ebenfalls 5000 Euro.
Das Gesamtvorhaben Dreifaltigkeitskirche wird nach seinem Abschluss mindestens 4,6 Millionen Euro erfordert haben. Damit soll, so Henri Frank, der Vorsitzende des 2007 für das Projekt ins Leben gerufenen Bauvereins, „die Kirche für die nächsten 80 bis 100 Jahre zukunftsfähig gemacht werden“. Unter anderem wird ein Anschluss des Gebäudes an die Fernwärmeversorgung nicht zuletzt sicherstellen, dass sich auf den inwändigen Gemälden nie wieder Ruß ablagern kann.
Angesichts der finanziellen Situation scheut der Bauverein auch originelle Wege und Mittel nicht. „So suchen wir nach Paten, die wir auch Schutzengel nennen“, erläutert Henri Frank, „und die mit einer entsprechenden Spende die Restaurierung eines Deckengemäldes, eines Emporenbildes, das sie selbst auswählen können, oder anderer Ausstattungsgegenstände wie etwa der Engelsfiguren an den Säulen des Kirchenschiffes sicherstellen. Infrage kommen interessierte Einzelpersonen ebenso wie Gruppen und auch Unternehmen. Die Namen dieser Paten werden künftig im Eingangsbereich der Kirche zu lesen sein.“
Unter den bisherigen Spendern befindet sich neben dem Oberbürgermeister der Stadt, Hansjörg Eger, und dem Mozartchor Speyer auch der Maler, Grafiker und gewesene Kunstlehrer Reinhard Johannes Zink. Er hat sich, eingedenk seines zweiten Vornamens, unter den Emporenbildern die „Geburt des Johannes“ ausgesucht.
Zink ging aber noch einen Schritt weiter. Er setzte sich mit „seinem“ Emporenmotiv sowie mit weiteren auch künstlerisch auseinander: Er schuf Variationen dieser Motive – in Gestalt von Tuschezeichnungen, die er mit verschiedenen Rotweinen lavierte und in einigen Fällen auch noch farbig aquarellierte. Zudem legte Zink fünf Motive auf, die er als Zinkographiken im DIN A3-Format in kleiner Stückzahl vervielfältigte, jedes separat mit Wein versah und überdies jeweils ein zusätzliches Element nachträglich einzeichnete und sie so ebenfalls zu Unikaten machte.
Die Idee, mit Wein zu arbeiten, geht bereits auf das Jahr 2003 zurück, als Zink nach neuen Aufgaben für seine Schüler im Kunstunterricht suchte – unter dem Motto „Malen mit Naturpigmenten“. Daraus entwickelte sich, wie Zink selbst es ausdrückte, „eine eigene Sparte meiner künstlerischen Arbeit“. Joachim Hanisch, eine Kollege Zinks am Hans-Purrmann-Gymnasium in Speyer prägte, dafür die Genre-Bezeichnung „Vinello“.
Was die Inhalte seiner Variationen anbetrifft, so hat Zink teilweise drastische Gegenwartsbezüge nicht gescheut. Auf einem Blatt zu dem Emporenbild „Mose sieht das gelobte Land“ (Moses 5,34) drückt ein eher touristisch gewandeter, mit breitkrempigem Hut versehener Prophet noch auf den Auslöser seines auf den Dom zu Speyer, den größten romanischen Kirchenbau des Kontinents, gerichteten Fotoapparates, als gerade die Kuppel des Gotteshauses in einer Explosion auseinanderfliegt und aus ihr heraus ein seltsamerweise völlig unverletzter Bischof in vollem Ornat geschleudert wird.
Alle Vinellos lobte Zink zu Preisen zwischen 100 und 250 Euro für weitere Spender aus. Und am 23. September hatte der Bauverein in die nur einen Steinwurf von der Dreifaltigkeitskirche entfernte, säkularisierte Heiliggeistkirche zu einer Vernissage geladen, auf der die Grafiken zu sehen und zu erwerben waren und Zink in einem humorvoll-ironischen Zwiegespräch mit sich selbst Auskunft zu seinen Arbeiten gab.
Passend zum Anlass hatte der Künstler überdies einige von den Weinen, mit denen er laviert hatte, zur Verkostung spendiert …